So entwickeln Kinder ein gesundes Körperbild
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So entwickeln Kinder ein gesundes Körperbild

Lesedauer: 7 Minuten

Frauen müssen schlank sein, Männer muskulös: So lautet das gängige, durch die Medien vermittelte Schönheitsideal. Seinen Kindern vorzuleben, dass der eigene Körper einzigartig ist, stellt Eltern vor Herausforderungen – die sie aber nicht scheuen sollten.

Text: Frauke Suhr
Bild: Keystone / Stefanie Aumiller

Seit ich Mutter einer Tochter bin, möchte ich sie am liebsten mit einer Superkraft ausstatten, die später jegliche Selbstzweifel an ihrem Aussehen direkt abschmettert. Denn sie wächst in einer Welt auf, die voll ist von Bildern von normschönen, dünnen Mädchen.

Es geht bereits im Vorschulalter los. Wenn meine Tochter und ich gemeinsam Serien oder Filme schauen, haben wir die Auswahl zwischen barbiehaften Elfenmädchen bei «Mia and Me», superdünnen Prinzessinnen wie Anna und Elsa in «Frozen» oder einer über­sexualisierten Superheldin Ladybug in «Miraculous», die im roten ­Latex-Einteiler auf Verbrecherjagd geht. Selbst die ehemals pummelige Biene Maja wurde mit der Zeit verschlankt. Ihr Bauch ist jetzt nur noch halb so rund wie früher.

Auch Jungen sind von unrealistischen Körperbildern in Kinder­medien betroffen, die Druck aufbauen können, allerdings in weitaus geringerer Zahl. Eine Studie unter der Leitung von Elizabeth Prommer, Medienforscherin an der Universität Rostock, zur audiovisuellen ­Diversität im deutschen Kinderfernsehen kam 2017 zum Ergebnis, dass die Hälfte aller weiblichen Figuren in animierten Kinderserien einen anatomisch unmöglichen Körper hat. Organe wie Herz, Magen, Leber und Milz hätten in der Realität keinen Platz darin. Auch einige männliche Figuren in Trickserien haben unrealistisch viele Muskeln oder eine übertriebene ­V-Figur. Bei ihnen sind es jedoch nur 6 Prozent, so das Ergebnis der Studie.

Soziale Medien und KI beeinflussen das Körperbild

Bei Jugendlichen kommen noch die sozialen Medien hinzu. Auf Tiktok und Instagram sind Teenager mit einer Bilderflut konfrontiert. Sie zeigen Influencerinnen mit Sanduhrfigur und glatter Haut oder Sportlerinnen und Sportler mit besonders definierten Muskeln.

Für das Selbstwertgefühl und die Körperwahrnehmung von Jugendlichen kann das dramatische Folgen haben. Während der Pandemie, als sie mehr Zeit mit sozialen Medien verbrachten, nahm der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Essstörungen in Deutschland deutlich zu; in der Altersgruppe der 15- bis 17-jährigen Mädchen um über 70 Prozent. Mädchen waren ­14-mal häufiger betroffen als Jungen. Und mit den Möglichkeiten von KI fluten noch mehr Bilder von vermeintlich perfekt aussehenden Menschen das Netz, die es in der Realität gar nicht gibt.

Wie können Eltern ihren Kindern trotzdem ein positives Körperbild vermitteln? Wie kann ich meine Tochter dafür wappnen, sich von den vermeintlich perfekten Bildern in ihrem späteren Leben nicht verunsichern zu lassen?

Mädchen stehen unter grösserem Druck als Jungs

Ronia Schiftan ist Ernährungs- und Medienpsychologin in Bern. Sie berät Eltern zum Einfluss der Familie und der sozialen Medien auf das Essverhalten von Kindern und Jugendlichen. Sie sagt: «Ab acht Jahren entwickeln die meisten Mädchen ein Gefühl für Schönheitsnormen. Viele empfinden sich dann erstmals als zu dick.» Bei Jungen gehe die kritische Bewertung des eigenen Körpers erst später los. Aber auch sie seien zunehmend von Körperunzufriedenheit betroffen, sagt die Expertin. Vor allem in Bezug auf Muskeln.

Wie wir auf unseren Körper schauen, wird zum grossen Teil in unserer Familie geprägt.

Ronia Schiftan, Psychologin

Mädchen stünden allerdings deutlich stärker unter Druck. Denn noch immer werden Mädchen und junge Frauen vor ­allem in Bezug auf ihr Aussehen bewertet, auch von sich selbst. Daran kann bislang auch die Body-Positivity-Bewegung nichts ändern. Aktivistinnen wie die Aargauerin Morena Diaz befreien den weiblichen Körper in den sozialen Medien aus dem engen Korsett geltender Schlankheits- und Schönheitsnormen, indem sie auf Instagram Bilder von Speckfalten, Pickeln oder Cellulitis zeigen. Ihre Botschaft lautet: Jeder Körper ist schön. Doch zu einem grossen Wandel hat das nicht geführt. Im Gegenteil: Bei den Modenschauen in New York und Paris gab es zuletzt wieder weniger Plus-Size-Models.

«Wie wir auf unseren Körper schauen», sagt Psychologin Ronia Schiftan, «wird zum grossen Teil in unserer Familie geprägt.» Wenn Mütter immer wieder sagten, dass sie sich zu dick fühlen oder sich vor dem Spiegel beäugten, würden Mädchen den kritischen Blick übernehmen. Und ihn irgendwann auf sich selbst anwenden.

Den eigenen Körper akzeptieren

Als Mutter solle ich deshalb versuchen, negative Kommentare über mein Aussehen vor meiner Tochter zu vermeiden. Statt auf der Waage zu seufzen: «Schon wieder zwei Kilo zugenommen», sollte ich lieber die positiven Seiten meines Körpers hervorheben. Sind Kinder noch klein, kann man ihnen als Mutter erklären, dass die Streifen am eigenen Bauch von der Schwangerschaft stammen und dass man stolz darauf ist, sagt Schiftan. Töchtern im Teenageralter könne man immer wieder vermitteln: Ich fühle mich schön so, wie ich bin, auch ungeschminkt und mit unreiner Haut.

Unter Vätern sei es weniger verbreitet, über ihre Figur zu klagen. Doch auch sie können darauf achten, ihre mangelnde Fitness, ihre Geheimratsecken oder ihren Bauch vor ihren Söhnen nicht zum Thema zu machen.

Ein gesundes Körperbild entwickeln: Junge zeigt seine Muskeln
Auch Jungen sind zunehmend von Körperunzufriedenheit betroffen, vor allem in Bezug auf Muskeln. (Bild: Stocksy)

Auf Diäten lieber verzichten

Es hilft, ein positives Körperbild zu entwickeln. Für viele Mütter und Väter ist das gar nicht so leicht, denn auch sie orientieren sich an Schönheitsnormen. In den frühen Nullerjahren war dünn sein nicht bloss eine Möglichkeit unter vielen. Es war vielmehr ein drohender Zeigefinger («Werde bloss nicht zu dick!»), der einem täglich aus der «Bravo», in Musikvideos auf MTV und von jeder Plakatwand entgegenfuchtelte. Es war die Zeit von Kate Moss, Size Zero und Victoria’s Secret. Knochen statt Kurven.

Auch ich machte schon mit zwölf Jahren meine erste Diät, um einen flachen Bauch wie Britney Spears zu bekommen. Drei Wochen lang ass ich nur kleine Portionen, bis mein Magen schmerzte und mich Schwindel plagte. Erst als ich bei Freundinnen im Schwimmbad sah, dass es ganz normal ist, dass ein Bauch im Sitzen kleine Rollen formt, fing ich wieder an, mich satt zu essen. Damit hatte ich noch Glück. Ein Mädchen aus meiner Schule kam mit einer Anorexie in die Klinik. Eine Freundin kotzte jahrelang heimlich auf der Toilette ihr Essen aus. Die Sorge um ihr Aussehen, das Zählen von Kalorien – all das möchte ich meiner Tochter unbedingt ersparen.

Es ist Gift, wenn ­Eltern das Essverhalten ­ihrer Kinder dauernd kommentieren.

Ronia Schiftan, Psychologin

Ronia Schiftan hält von Diäten nicht viel: «Wenn mir mein Körper das Signal sendet, dass ich Hunger habe, und ich dann nichts esse, vor meinen Kindern, dann bin ich ein schlechtes Vorbild», sagt sie. Was besser wäre? «Das natürliche Gefühl der Kinder für Hunger und Sattheit zu stärken. Und als Mutter oder Vater vor den Kindern genussvoll essen, Freude am Essen vorleben und einen entspannten Umgang damit zelebrieren.» Manche Eltern sind zwar zufrieden mit ihrem eigenen Aussehen, lästern aber über andere Menschen und deren Figur. Auch das sollte man lassen, sagt die Psychologin, und Kindern stattdessen zeigen, dass Vielfalt schön ist.

Aussehen nicht bewerten

Ganz wichtig: Eltern sollten das Aussehen ihrer Kinder nicht bewerten, sagt Schiftan. Und den Kindern auch kein schlechtes Gewissen machen, wenn sie zweimal vom Nachtisch nehmen. Statt Süssigkeiten per se zu verbieten, sollten Eltern vermitteln, wie genussvolles Essen funktioniert und dass man an verschiedenen Lebensmitteln Spass haben kann.

Fachleute sind sich einig, dass Eltern dem Übergewicht von Kindern und Jugendlichen frühzeitig entgegenwirken sollten. Weil es später immer schwieriger wird, die Kilos wieder runterzu­kriegen. Auf Diät setzen sollte man Kinder aber nicht. Es reicht, wenn sie ihr Gewicht bis zum nächsten Wachstumsschub halten, durch viel Bewegung, eine ausgewogene Ernährung und den Verzicht auf zuckerhaltige Getränke wie Limonaden.

Haut das Kleinkind heute wieder «besonders rein»? Oder isst die dreizehnjährige Tochter immer nur «wie ein Spatz»? Auch wenn sie es in der Regel nicht böse meinen – Eltern sollten das Essverhalten ihrer Kinder nicht dauernd beobachten und kommentieren, sagt Psychologin Schiftan: «Das ist Gift für Kinder.»

Als Eltern kann man direkt beeinflussen, wie man mit seinem Kind über Essen spricht. Doch über das, was Verwandte und Freunde sagen, hat man in der Regel keine Kontrolle. Wenn der Onkel bei jedem Besuch mitzählt, wie viele Kuchenstücke das Kind isst, oder es immer wieder auf seine Figur anspricht, müsse man eingreifen, sagt Schiftan. Es sei wichtig, seinem Kind in solchen Momenten zu zeigen: «Ich finde die Kommentare nicht in Ordnung, und ich bin für dich da.»

Kinderserien richtig einordnen

Wie eingangs erwähnt prägen auch Filme und Serien die Schönheitsnormen. Mädchen im Vorschulalter identifizieren sich mit den Figuren darin. Von Verboten rät Schiftan ab, denn Serien könnten wichtig für die soziale Teilhabe von Kindern sein. «Hilfreicher ist es, wenn Kinder kritisches Denken lernen», sagt sie. «Dann können sie Inhalte auch mal hinterfragen.»

Statt die Eisköniginnen Anna und Elsa direkt wieder auszuschalten, können Mütter und Väter mit ihren Töchtern darüber sprechen und sagen, dass die Körpermasse der Figuren nicht realistisch sind. Oder bei «Peppa Wutz» erklären, dass Witze über dicke Menschen gar nicht so lustig, sondern oftmals verletzend sind. Habe man als Mutter oder Vater jedoch ein schlechtes Gefühl, müsse man die Kinder natürlich auch nicht alles gucken lassen, sagt Schiftan. Je nach Alter könne man ihnen erklären, warum man sich damit nicht wohlfühlt.

Kinder, die ein stabiles Selbstwertgefühl entwickeln, können später besser mit Kritik umgehen.

Ronia Schiftan, Psychologin

Erhöhtes Körpergewicht ist bei Schulkindern ein häufiger Grund für Mobbing und kann bei gleicher Leistung sogar zu schlechteren Noten führen. Um es von Anfang an gegen Bodyshaming zu wappnen, sollten Eltern ihr Kind immer wieder an seine Stärken erinnern, sagt Schiftan. «Kinder, die ein stabiles Selbstwertgefühl entwickeln, können später besser mit Kritik umgehen», sagt die Psychologin. Kleinen Kindern könne man die Fähigkeiten ihrer Körperteile bewusst machen. Wie schnell sie mit ihren Beinen laufen und wie hoch sie damit springen können. «Schliesslich ist der Körper viel mehr als das Erscheinungsbild», so Schiftan.

Wenn das Kind eine Essstörung hat

All diese Ratschläge haben eins gemeinsam: Sie dienen der Prävention und sollen das Selbstbild von Kindern stärken, bevor es zu ernsthaften Problemen kommt. Doch was, wenn es dafür bereits zu spät ist? Vermuten Eltern bei ihrer Tochter oder ihrem Sohn eine Essstörung, kann zunächst ein Gespräch mit der Kinderärztin oder dem Kinderarzt helfen.

Es geht darum, herauszufinden, ob es eine Entwicklung gibt. Nimmt das Kind immer mehr zu oder immer stärker ab? Steckt eine Krankheit dahinter? Wird bei Jugendlichen eine Essstörung diagnostiziert, folgt die Überweisung an eine Psychotherapeutin oder einen Psychotherapeuten. In manchen Fällen kann auch ein stationärer Aufenthalt in einer Klinik nötig sein.

Psychologin Schiftan vergleicht ein positives Körperbild mit einem Zuhause: «Wenn man weiss, man hat es sich liebevoll eingerichtet, man kümmert sich gut um jeden Raum, dann lebt man gern in seinem Haus. Das ist es, was man Kindern mitgeben will. Am besten von Anfang an.»

Frauke Suhr

Frauke Suhr
ist Journalistin und lebt in Norddeutschland. Sie ist Mutter von zwei Kindern und schreibt für den «Spiegel» und «Zeit Online» über gesellschaftliche Themen.

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