Elternabend: mehr als nur ein Pflichttermin
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Elternabend: mehr als nur ein Pflichttermin

Lesedauer: 4 Minuten

Informationen können Lehrpersonen heute besser auf anderen Kanälen mit Eltern austauschen. Warum Fachleute den Elternabend dennoch für wichtig halten – vorausgesetzt die gemeinsame Zeit wird richtig genutzt.

Text: Sandra Markert
Bild: Adobe Stock

In Zusammenarbeit mit der Stiftung Mercator Schweiz

Ein Vater fragt: «Gibt es nicht so eine Regel: Punkt vor Strich?», und beugt sich zusammen mit einer Mutter über ein Tablet im Versuch, eine Aufgabe aus dem Matheunterricht seines Sohnes zu lösen. Es ist Elternabend. Statt im Klassenzimmer sind die Eltern im ganzen Schulhaus verteilt und finden sich in kleinen Gruppen immer wieder neu zusammen.

Sie suchen QR-Codes, die sie mit ihren Tablets scannen, um so Einblick in den Schulstoff der Kinder zu bekommen. Danach wird diskutiert, wie in der Klasse der Umgang mit sozialen Medien geregelt werden soll. Gemeinsam mit der Lehrperson erarbeiten die Eltern sieben handfeste Punkte. «Wir haben uns alle untereinander besser kennengelernt und konnten inhaltlich etwas beitragen und mitentscheiden», sagt der Vater. Ein gelungener Abend für Eltern wie Lehrperson.

Eltern nehmen oft lutlos am Elternabend teil

Oft laufen Elternabende jedoch ganz anders ab. Die Eltern nehmen nur lustlos teil oder bleiben gleich zu Hause. Die, die kommen, beschweren sich über die immer gleichen Themen wie Unterrichtsausfall, schlechtes Schulessen oder Hausaufgaben – ohne an einem sachlichen Austausch darüber interessiert zu sein. Und die Lehrperson nutzt den obligatorischen Termin vor allem, um anstehende Termine zu kommunizieren.

«In dieser Form ist der Elternabend tatsächlich ein Auslaufmodell, denn reine Infokanäle gibt es inzwischen sehr viele andere und bessere», sagt Thomas Eberhard. Der Lehrer und Psychologe berät Schulen im Bereich Kommunikation und hat kürzlich ein Buch mit dem Titel «Aller Eltern Abend» veröffentlicht. Er findet, dass der Elternabend ein Zukunftsmodell wäre, würden Lehrpersonen und Eltern die gemeinsame Zeit gut nutzen.

Beziehungsarbeit ist die beste Prävention

«Das vorrangige Ziel eines Elternabends sollte sein, eine Gemeinschaft zu bilden zwischen den Eltern sowie zwischen Eltern und Lehrperson», sagt Thomas Eberhard. Für Lehrpersonen zahle es sich aus, wenn sie sich hierzu Gedanken machen und Zeit investieren. «Das ist die beste Prävention für den Rest des Schuljahrs. Falls es Schwierigkeiten zum Beispiel bei Regelverstössen gibt, weiss ich die Eltern hinter mir und bekomme als Lehrperson auch die nötige Unterstützung», sagt Eberhard. Und die braucht es.

Mit der ersten Begegnung legt die Lehrperson eine wichtige Grundlage für den Aufbau von Vertrauen.

Fabienne Zehntner, Erziehungswissenschaftlerin

Egal, ob es darum geht, dass Eltern mal einen Ausflug begleiten oder disziplinarische Probleme in der Klasse entstehen. Wenn Eltern und Lehrperson zum ersten Elternabend im neuen Schuljahr zusammenkommen, ist das ein bedeutsamer Moment für die künftige Zusammenarbeit. «Mit dieser oftmals ersten Begegnung legt die Lehrperson eine wichtige Grundlage für die schulische Beziehung und für den Aufbau von Vertrauen», sagt Fabienne Zehntner, Dozentin für Erziehungswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Bern. Sie rät Lehrpersonen dazu, Perspektiven verschiedener Eltern einzunehmen und den Elternabend mit diesem Fokus bewusst zu gestalten. Denn die Eltern bringen ganz unterschiedliche Hintergründe und Erwartungen mit.

Manche haben die eigene Schulzeit vielleicht nicht als besonders angenehm erlebt. Andere kennen das Schulsystem noch nicht beziehungsweise haben sprachliche Barrieren und verstehen beispielsweise kein Schweizerdeutsch. Das vor allen anderen zuzugeben, ist aber auch nicht jedermanns Sache. «Man kann am Anfang etwa Möglichkeiten für informelle Gespräche schaffen und den Eltern so Zeit zum Ankommen geben», sagt Fabienne Zehntner.

Thomas Eberhard hat die Erfahrung gemacht, dass solche ungezwungenen Gespräche oft leichter zustande kommen, wenn die Eltern beim Elternabend etwas zu tun haben, beispielsweise eine kleine Rallye oder eine Gruppenarbeit. Gerade schüchternen Personen oder Eltern mit sprachlichen Schwierigkeiten falle die Kommunikation so leichter, als wenn eine klassische Vorstellungsrunde der Eltern vor allen stattfindet.

Eltern wollen am Elternabend spüren, dass die Lehrperson ihren Job gern macht

Nach einer solchen Ankommenszeit ist es Fabienne Zehntner zufolge Aufgabe der Lehrperson, sich ausführlich vorzustellen und den Eltern ihre Ideen von erfolgreichem Lernen darzulegen. «Die Eltern wollen darauf vertrauen können, dass ihr Kind bei der Lehrperson gut aufgehoben ist», so Zehntner. Thomas Eberhard zufolge erwarten Eltern von einem Elternabend vor allem diese drei Dinge: Sie wollen spüren, dass die Lehrperson ihren Job gern macht und dass sie die Kinder mag. Und sie wollen sehen, dass es einen Plan für das Schuljahr gibt.

«Natürlich können dabei auch mal anstehende Termine angesprochen werden. Aber bevor diese alle notieren müssen, gibt man am Ende vielleicht besser einen Zettel mit nach Hause, schreibt eine E-Mail oder nutzt eine App», sagt Thomas Eberhard. All diese Kanäle können von Lehrpersonen auch genutzt werden, um den Kontakt mit den Eltern während des Schuljahrs aufrechtzuerhalten. «Am besten funktioniert das, wenn sich eine Schule ein Kommunikationskonzept überlegt, bei dem klar geregelt wird, über welche Kanäle was kommuniziert wird», sagt Fabienne Zehntner.

Schulen sollten transparenter werden

Dass es hier an vielen Schulen noch Nachholbedarf gibt, zeigt eine repräsentative Umfrage der Stiftung Mercator Schweiz zum Thema «Welche Schule will die Schweiz?». Von den im Jahr 2022 befragten mehr als 2500 Eltern schulpflichtiger Kinder antworteten fast 80 Prozent, dass Schulen transparenter werden und mehr Informationen bereitstellen sollten. Rund die Hälfte hat das Gefühl, dass Anliegen und Wünsche von Eltern zu wenig ernst genommen werden und Eltern bei wichtigen Entscheidungen zu wenig mitbestimmen dürfen.

Zwischen Eltern und Lehrperson findet zu wenig positives Feedback statt. Dabei wäre das so wichtig.

Thomas Eberhard, Lehrer und Psychologe

Kommunikation ist jedoch keine Einbahnstrasse, auch die Eltern haben einen Einfluss darauf, wie sie gestaltet wird. «Wenn eine Lehrperson zu einer Theatervorstellung einlädt, können Eltern auf der Rückantwort ja auch mal vermerken, dass sie das Projekt toll finden», sagt Thomas Eberhard. Denn: «Positives Feedback findet auch in der Eltern-Lehrer-Kommunikation viel zu wenig statt, ist aber so wichtig für eine gute Beziehung.» Wenn also die nächste Einladung zu einem Elternabend kommt, sollte es für Eltern keine Frage sein, ob sie hingehen oder nicht, denn ohne Kennenlernen kann auch kein guter Kontakt entstehen.

«Welche Schule will die Schweiz?»

Die Stiftung Mercator Schweiz hat gemeinsam mit dem Forschungsinstitut Sotomo Ende 2022 landesweit rund 7700 Erwachsene – ein Drittel davon Eltern von schulpflichtigen Kindern – gefragt, wie deren ideale Schule aussieht. Am wichtigsten ist den Befragten demnach, dass die Kinder gern zur Schule gehen, Freude am Lernen haben und in ihrem eigenen Tempo sowie individuell gefördert lernen können. Diesen Wunschvorstellungen stehen Dinge wie Prüfungen und Hausaufgaben als wichtigste Belastungsfaktoren gegenüber.

Mercator ist eine private, unabhängige Stiftung, die Handlungsalternativen in der Gesellschaft aufzeigen möchte, unter anderem im Bereich Bildung und Chancengleichheit.

Studienbericht 2023 zum Download

Sandra Markert
ist freie Journalistin und Mutter von drei Kindern im Kindergarten- und Primarschulalter. Sie lebt mit ihrer Familie am Bodensee.

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