Schulleitung 2.0: Zwischen Anspruch und Realität
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Schulleitung 2.0: Zwischen Anspruch und Realität

Lesedauer: 4 Minuten

Wer macht unser Schulsystem fit für die Zukunft? Schulleitende, die visionär und pragmatisch die vielfältigen Herausforderungen angehen, findet unsere Kolumnistin.

Text: Lisa Lehner
Bild: Adobe Stock

Seit mehr als 20 Jahren bin ich Schulleiterin. Ich finde meinen Beruf nach wie vor einen der schönsten, den es gibt. Er ist im Wortsinn sinnstiftend. Die Aufgaben haben sich seit der Einführung von Schulleitungen um die Jahr­tausendwende thematisch nicht gross verändert. Die Herausforderungen aber sind durch die veränderten Bedürfnisse der Schulkinder, der Elternschaft und der Gesellschaft enorm gestiegen.

Nachfolgend gehe ich auf drei Themen etwas näher ein:

1. Lehrpersonenmangel und Lehrpersonengesundheit

Der Fachkräftemangel ist im Bildungsbereich genauso spürbar wie in der Wirtschaft. Wie an den meisten Schulen gibt es auch bei uns zu wenig ausgebildete Lehrpersonen, Heilpädagoginnen und Therapeuten. Tatsache ist, dass wir Personen ohne entsprechende oder trotz teilweise fehlender Ausbildung einstellen müssen.

Als Schulleiterin ist es mein oberstes Ziel, Kindern einen Unterricht zu ermöglichen, der sie fürs Lernen motiviert. Ein Dilemma? Mit wöchentlichen Gesprächen und angekündigten Kurzbesuchen im Unterricht erkenne ich die Sorgen und Bedürfnisse der noch nicht vollständig ausgebildeten Lehrpersonen und kann darauf eingehen.

Trotz aller Massnahmen bleibt die Belastung wegen des Mangels an gut ausgebildeten Lehrpersonen an den Schulen hoch.

Genauso wichtig ist es, für die erfahrenen, langjährigen Lehrpersonen eine präsente, empathische Führungsperson zu sein. Sie dürfen mit ihren Anliegen und Bedürfnissen jederzeit bei mir anklopfen. Ich versuche die persönlichen Stärken der Mitarbeitenden im Team zu nutzen und ihr unermüdliches Engagement für die Schulkinder und das Schulhausteam wertzuschätzen.

Gefordert durch die aussergewöhnliche Situation sind aber alle. Die neuen Lehrpersonen haben bei der Einarbeitung das Recht, professionell begleitet und unterstützt zu werden. Im Team vereinbaren wir, wer welcher Person diese temporäre Unterstützung geben kann. Hilfreich ist, dass uns die bildungsfreundliche Stadt Baden für alle neueinsteigenden Lehrpersonen und der Kanton Aargau für Lehrpersonen ohne Ausbildung Mentorinnen und Mentoren zur Verfügung stellen.

Trotz all dieser Massnahmen bleibt die Belastung für die ganze Schule hoch, und das Thema Lehrpersonengesundheit beschäftigt mich jeden Tag. Bei Bedarf hilft ein Onlinetool zum persönlichen Gesundheitsmanagement, das eine Badener Schulleitungs-Arbeitsgruppe entwickelt hat, Lehrpersonen und mir zu erkennen, wo Handlungsbedarf besteht.

2. Vielfalt der Schülerinnen und Schüler

Kinder, die motiviert sind und mit Freude zur Schule kommen, lernen besser. Es ist unsere Aufgabe, Kinder aus fremden Kulturen in unsere Schulkultur zu integrieren. Und ihnen eine neue Heimat zu geben, in der sie sich angenommen und aufgehoben fühlen. Nur wenn uns das gelingt, sind sie bereit, unsere Sprache zu lernen und sich in der Gemeinschaft einzubringen. Es ist ebenso unsere Pflicht, jedes Kind mit seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten, egal, aus welchem Elternhaus es stammt, als wertvolle und eigenständige Persönlichkeit respektvoll zu begleiten und zu fördern.

Vor ein paar Jahren arbeitete ich an einer multikulturellen Schule. Dort etablierten wir ein Projekt mit dem Ziel, die Gemeinschaft und die sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu fördern: Für jede Altersstufe vom Kindergarten bis zur sechsten Klasse gestaltete ein Erlebnis­pädagoge zusammen mit der Lehrperson mehrere Male pro Semester einen Aufenthalt im Wald. Dort widmeten sich alle zusammen unter anderem diesen Themen: Erkunden und Entdecken, Vertrauen, Durchhalten, Ausgrenzen und Integrieren, Verantwortung übernehmen und Konflikte bewältigen.

Es war für mich eindrücklich zu erleben, wie sich dadurch das Schulklima in kurzer Zeit verbesserte und die Kinder untereinander einen respektvolleren Umgang pflegten. Eine Basis, die individualisiertes Lernen begünstigt.

3. Digitalisierung und neue Technologien

Corona hat die Digitalisierung an den Schulen beschleunigt. Auch an unserer Schule habe ich einen gros­sen Entwicklungsschritt festgestellt. Bei der Anpassung des schuleigenen Konzepts zur Digitalisierung an die veränderten Rahmenbedingungen suchen wir Antworten unter anderem auf diese Fragen:

  • Wie können wir die Lehrpersonen im weiteren Prozess der Digitalisierung professionell unterstützen?
  • Werden die Gefahren der Digitalisierung genügend diskutiert und konsequent bearbeitet?
  • Sind unsere Schulhäuser für die sich stetig verändernden IT-Ausrüstungen vorbereitet?
  • Werden die neuen Anforderungen bei den geplanten Bauten genügend berücksichtigt?
  • Reichen die Ressourcen des technischen Supports für die Unterstützung der ganzen Schule?
  • Was kann der pädagogische Support übernehmen?

An vielen Schulen haben während der Pandemie Lehrpersonen den pädagogischen ICT-Support übernommen. Sie spielen nach wie vor eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Teamkollegen und -kolleginnen zu motivieren und zu unterstützen, ihren Unterricht digital weiterzuentwickeln.

Solange wir die Digitalisierung noch erwähnen müssen, ist diese noch nicht wirklich angekommen.

Eine unserer Kernbotschaften lautet: Digitale Unterrichtsmedien sollen der Optimierung von Lehr- und Lernprozessen dienen. Der Ist-Zustand beschreibt ein Verbandskollege treffend: «Solange wir die Digitalisierung noch erwähnen müssen, ist diese noch nicht wirklich angekommen.» Es liegt an uns Schulleitenden, mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln die Lücken zu schliessen.

Lehrpersonenmangel, Vielfalt, Digitalisierung: drei Themen, die mich als Schulleiterin auf Trab halten. Verhaltensauffällige Kinder, psychologische Gesundheit, Schulabsentismus, inklusionsorientierte Schulentwicklung, Lernkulturwandel, künstliche Intelligenz oder der Umgang mit Social Media sind weitere Herausforderungen. Meine Arbeit wird nie langweilig!

Trotz zahlreicher komplexer Aufgabenstellungen erlebe ich auch viel Beglückendes in meinem Beruf. Vor einigen Tagen entwich bei einer Baustelle neben unserem Schulhaus Gas. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich viele Kinder auf dem Pausenplatz und die Stimmung wurde durch den auffälligen Geruch plötzlich angespannt.

Als ich vor die versammelte Schulgemeinschaft trat, um mitzuteilen, dass wir uns ein Stück vom Schulhausplatz entfernen müssen, stand ein kleines Mädchen mit einer kognitiven Beeinträchtigung neben mir und drückte mir still eine wunderschöne Mohnblume in die Hand. Dieser Moment hat mich sehr berührt. Und mir erneut bewusst gemacht, wie sinnstiftend die Arbeit einer Schulleiterin ist.

Lisa Lehner VSLCH

Lisa Lehner
ist Vizepräsidentin des Deutschschweizer Schulleiterinnen- und Schulleiterverbands. Sie ist gelernte Primarlehrerin und Schulleiterin. In den 20 Jahren, welche sie in der Leitung der Volksschule Baden tätig war, führte sie neun Jahre lang als Schulleiterin den Kindergarten und die Primarschule in Baden-Rütihof.

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