Musik vermitteln: Der Schlüssel ist Humor
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Humor bringt den Unterricht auf ein neues Level

Lesedauer: 3 Minuten

Am Anfang ihrer Karriere als Musiklehrerin hatte Sybille Dubs Mühe, ihre Klasse von der Musik zu begeistern. Doch nach einem lustigen Erlebnis weiss sie: Humor ist der Schlüssel.

Text: Sibylle Dubs
Zeichnung: zVg

Passionata – Musikunterricht macht den Unterschied

Als ich meine erste Musikklasse übernahm, war ich noch Studentin und der Start war schwierig. Der Unterricht war geprägt von Unruhe und von Streit zwischen den Kindern. Musikalisch kam kaum etwas zum Blühen. Dabei hatte ich oft bei meiner brillanten Praktikums-Lehrerin Christa Kägi hospitiert und meine Lektionen nach ihrem Vorbild geplant. Im Studium an der ZHdK wurde uns gesagt, wir müssten mit einer Klasse bis zu den Herbstferien in die Gänge kommen, danach werde es immer schwieriger.

Die gemeinsame Energie, nach der ich wochenlang gesucht hatte, war plötzlich da.

Einer der fachdidaktischen Tipps war, musikalische Ziele in den Hintergrund zu stellen zugunsten sozialer Ziele. Zudem würde die Arbeit mit einem fröhlichen Bilderbuch helfen, zum Beispiel dem Klassiker «Freunde» von Helme Heine. Das Buch ist vielschichtig. Vordergründig geht es um einen abenteuerlichen Tag von drei Freunden. Beim genauen Hinschauen müssen sich Hahn, Schwein und Maus immer wieder einig werden: Wer sitzt wo auf dem Fahrrad, im Ruderboot, wer kriegt wie viele Kirschen und wo wird übernachtet? 

Ein Dreirad bricht das Eis

In der Klasse hatte es Kinder mit schwachen Deutschkenntnissen und solche, welche aus anderen Gründen nicht fähig waren, in einer Gruppe einer Geschichte zu lauschen. Wie konnte ich sicherstellen, dass die Kinder den Zauber dieses Buches verstanden und nicht im Gegenteil durch Störungen das gemeinsame Eintauchen in die Geschichte verhinderten? Christa gab mir den entscheidenden Input: «Sie müssen das Buch erleben. Hast du ein stabiles Dreirad?».

Und so kam es, dass ich mit einem der Jungs, Anton*, in den Gang ging, ihm ein Dreirad hinstellte und anwies, beim Erklingen von Musik in den Singsaal zu fahren. Die anderen Kinder standen dort für Anton Spalier, ahnten aber nichts vom kleinen Velo. Als weiteren Joker diente die Musik: «Baby Elephant Walk» von Henri Mancini. Die Musik lief schon ein paar Takte, als Anton um die Ecke geradelt kam. Es gab kein Kind, das nicht aus vollem Herzen loslachte. Plötzlich war die gemeinsame Energie, nach der ich wochenlang gesucht hatte, da.  

Humor war der Schlüssel, mit dem sich schon Sechsjährige auf künstlerische Prozesse einliessen und dranblieben.

Die Dreirad-Rally wurde im Verlauf des Morgens gesteigert. Immer mehr Kinder fuhren gleichzeitig auf dem Velo und die anderen erfanden für sie neue Spalier-Routen. Automatisch passten sie ihre Ideen der Musik an, warteten das Intro ab, bevor sie losfuhren, änderten die Richtung bei den Breaks und einigten sich auf eine Schlussposition beim letzten Takt.  

Musik unterstützt den Moment

Die Woche darauf erzählte ich ihnen das Buch «Die Freunde» und die Kinder liessen sich gerne darauf ein. Sie identifizierten sich mit den Figuren. Es folgten Gespräche über Hürden in der Freundschaft, über Kompromisse, die eine Gruppe schliessen muss. Vor allem aber hatten die Kinder das Bedürfnis, über den Moment zu reden, als Anton um die Ecke geradelt kam. Darüber, dass man gemeinsam gelacht, aber Anton nicht ausgelacht hatte und dass die Musik den komischen Moment unterstützt hatte.  

Die Kinder lernten viel dabei, aber noch mehr Lichter gingen mir auf. Humor war der Schlüssel, mit dem sich schon Sechsjährige auf künstlerische Prozesse einliessen und dranblieben. Humor brachte den Unterricht auf ein neues Level. Die Streitereien unter den Kindern waren nicht verschwunden, aber sie wussten, dass sie fähig waren, zusammen in den Flow zu kommen.

Sie begannen lustige Geschichten zu erfinden, die sie musikalisch umsetzten. Eine handelte von Blockflöte spielenden Kokospalmen, die gefällt und abgeschleppt wurden. Die Klasse feilte wochenlang an einer Slapstick-Szene mit einem frechen Gespenst und vertonten die Bewegungen mit Instrumenten. Ein Junge komponierte auf der Ukulele ein Lied über Freundschaft. 

Jahre später, als die Kinder am Ende der 6. Klasse waren, verabschiedeten wir sie mit einem langen Spalier auf dem Pausenplatz von der Primarschule. Da kam eines der Mädchen auf mich zu: «Erinnern Sie sich, als Anton auf dem Dreirad zur Musik um die Ecke kam?» «Den Morgen werde ich nie vergessen», entgegnete ich. «Wir auch nicht!» 

*Die Namen der Kinder wurden von der Redaktion geändert.

Passionata –Musikunterricht macht den Unterschied

Diese Kolumne berichtet von Erlebnissen im Musikunterricht des Stadtzürcher Schulhauses Holderbach. Die Kinder der ersten und zweiten Klasse besuchen wöchentlich zwei Lektionen Musikalische Grundausbildung (MGA) bei einer Fachlehrperson.

Ab der dritten Klasse haben sie die Möglichkeit, dem Schulhauschor beizutreten. Regelmässig singen und tanzen Kinder und Lehrpersonen zusammen auf dem Pausenplatz.

Musizieren ist das pure Leben und ein pädagogisch fundierter Musikunterricht wichtig für die Entwicklung jedes Kindes.Humor war der Schlüssel, mit dem sich schon Sechsjährige auf künstlerische Prozesse einliessen und dranblieben.

Sibylle Dubs
wuchs als Tochter einer Theaterpädagogin mit Musik, Tanz und Theater auf. Nach einem Jurastudium und langjähriger Tätigkeit als Fernsehjournalistin absolvierte sie ein Studium der Elementaren Musikpädagogik. Heute arbeitet sie mit Kindern der Primarschule im Auftrag von Musikschule und Konservatorium Zürich (MKZ) und mit Studierenden der Pädagogische Hochschule Zürich (PHZH) und der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Sie lebt mit ihrem Partner und zwei Teenagern in Zürich.

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