Die Leere nach den Likes

Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
Soziale Netzwerke sind persönlicher als andere Netzangebote und darum stärker an Emotionen gekoppelt. Das hat auch negative Auswirkungen auf die Gefühlswelt der Jugendlichen, findet unser Kolumnist Thomas Feibel.
Wenn es um Netzthemen geht, halten sie uns ohnehin für völlig ahnungslos und sich selbst für die Experten. Das kränkt uns Eltern natürlich. Andererseits spüren Kinder und Jugendliche die Macht der Eltern und die Gefahr eines Verbots. Diese unterschiedlichen Positionen machen Gespräche sehr diffizil. Dennoch müssen sie stattfinden, da soziale Netzwerke nicht nur Gefahren bergen, sondern auch grosse Auswirkungen auf die Gemütslage der Kinder haben.
Permanenter Drang nach Bestätigung übers Handy
Sobald die Zustimmung in sozialen Netzwerken fehlt, wird der stärkste Begleiter der Adoleszenz genährt: der Selbstzweifel.
Andererseits können diese Inszenierungen auf Dauer eine innere Leere hinterlassen. Bleiben wir beim Sprung in den See: Ist der Schwimmer nun stolz auf seinen Mut und seine Leistung oder etwa auf die Likes? Gibt es noch authentische Erlebnisse oder werden sie auf ihre Verwertbarkeit im Netz geprüft? Und ist es nicht höchst riskant, sein Selbstwertgefühl von Instagram-Freunden und Followern abhängig zu machen, die einem zum Teil völlig unbekannt sind? Keine schlechten Erfahrungen in sozialen Netzwerken zu machen, ist fast unmöglich. Nur sind solche Erfahrungen für Heranwachsende schwer zu ertragen. Oft bekommen wir noch nicht einmal mit, wenn sie etwa auf Instagram von Fremden mit eindeutig sexuellen Bemerkungen belästigt werden. Auch die klassische Fehleinschätzung sorgt für schlechte Gefühle: Das als witzig eingestufte Foto löst bei anderen vielleicht nur Hohn und Spott aus. Die entsprechenden Kommentare wachsen sich dann zu handfestem Mobbing aus.
Konflikte mit Eltern, Schlafmangel und verletzte Gefühle
Inszenierungen in sozialen Medien müssen durchschaut werden
Die Bestätigung suchen sie im Freundes- und Bekanntenkreis. So wie wir das seinerzeit auch taten. Natürlich haben soziale Netzwerke diesen Vorgang vereinfacht. So kann etwa ein Junge einem Mädchen online unauffällig folgen und dabei in Deckung bleiben. Es ist aber auch komplizierter geworden, weil Inszenierungen in sozialen Netzwerken durchschaut werden müssen. Und hier sind wir Eltern als besonnener Beistand gefragt, ohne uns ins Bockshorn jagen zu lassen. Denn fragen wir das betrübte Kind, was los sei, liefert es oft nur die Standardantwort: «Nichts.» Der Grund: Scham, Angst vor Unverständnis oder der Wunsch, alleine mit dem Problem fertig zu werden. Das ist die Situation, in der wir am Ball bleiben müssen, ohne zu bedrängen, damit das Nest zu Hause stärker ist als das Netz.
Das Wichtigste in Kürze
- Akzeptieren, dass Kinder und Jugendliche einen anderen Nutzen aus sozialen Netzwerken ziehen als wir.
- Mehr Verständnis für schlechte Gefühle wie Druck, Neid und Enttäuschung.
- Es ist ratsam, den Vergleich zwischen echten Freunden und Netzfreunden zu ziehen.
- Zu wenig Likes zehren am Selbstwertgefühl. Die Verkürzung auf «Likes sind nicht so wichtig» ist dabei nicht hilfreich, weil sie das Kind nicht ernst nimmt.
- Wenn es für ein waghalsiges Foto 200 Likes gibt, wie weit müsste man gehen, um 300 Likes zu erhalten?
- Kinder und Jugendliche müssen zur Ruhe kommen. Über Nacht kein Smartphone im Kinderzimmer.
Zum Autor:
Deutschland. Der Medienexperte leitet das Büro für Kindermedien in Berlin, hält Lesungen und Vorträge, veranstaltet Workshops und Seminare.
Zuletzt erschien sein Elternratgeber «Jetzt pack doch mal das Handy weg» im Ullstein-Verlag. Feibel ist verheiratet und Vater von vier Kindern.