Wie bringen wir Kinder dazu, unerwünschtes Verhalten zu unterlassen? Indem wir sie bestrafen oder ihnen etwas Positives entziehen. Doch es geht auch anders. Eine Anleitung zum konstruktiven Umgang mit Kindern in Konfliktsituationen.
Der Glaube, dass das Zusammenleben der Menschen ohne Strafe nicht möglich sei, ist tief in unseren Überzeugungen und Gefühlen verankert. Wir denken sofort an Menschen, die Greueltaten begehen und anderen Menschen tiefes Leid zufügen. Wir glauben, dass diese es verdient haben, bestraft zu werden, sie nur durch eine schmerzhafte Strafe verstehen, dass wir ihr Verhalten nicht billigen, und wir eine Verhaltensänderung erwarten und erzwingen können, wenn sie am eigenen Leib spüren, wie weh sie anderen getan haben. Wir strafen bewusst und absichtlich und entziehen Tätern legal ihre Freiheiten, damit sie merken, welche Einschränkungen andere durch sie erfahren haben. Die Strafe soll sie davor abschrecken, anderen wieder Leid zuzufügen. Und für die anderen soll die Strafe eine abschreckende Wirkung haben. Deshalb sehen Staaten Gefängnis, Folter und die Todesstrafe vor, weil die Überzeugung herrscht, dass man ohne die ultimative Abschreckung ein Land nicht regieren kann.
Der Glaube, ein Zusammenleben der Menschen ohne Strafe sei nicht möglich, ist tief verankert.
Wir sind zudem davon überzeugt, dass die Gerechtigkeit zwischen Täter und Opfer wiederhergestellt wird, wenn der Täter für seine Tat leidet und büsst. Sein Leiden, sein Schmerz, seine Busse und im Idealfall seine Reue geben uns, wenn wir Opfer geworden sind oder wenn wir uns mit dem Opfer einfühlsam verbinden, ein Gefühl der Genugtuung, der Wiedergutmachung und der Wiederherstellung von Gerechtigkeit und Ordnung. Wir ahnen nicht, dass wir damit gerade das Gegenteil bewirken. Menschen lernen durch Strafen kein Mitgefühl, sondern werden noch verbitterter und fühlen sich in ihrem feindseligen Menschenbild bestätigt.
Zweifelsohne gibt es Menschen, die zerstörerisch und brutal handeln, sodass sie für eine gewisse Zeit an einen sicheren Ort gebracht werden müssen, damit sie vor sich selbst und andere vor ihnen geschützt werden. Dort sollten sie Hilfe bekommen und lernen, ihre Emotionen zu verstehen, ihre Einstellungen und ihr Verhalten zu ändern. Allerdings sollten sie dort nicht gedemütigt werden, zugrunde gehen oder so wütend werden, dass sie sich, sobald sie wieder auf freiem Fuss sind, in einem noch viel grösseren Ausmass rächen für das Leid und die Ungerechtigkeit, die ihnen in ihren Augen angetan worden sind. Die härteste Strafe kann diesen schwelenden Hass nicht zum Guten wenden oder sie daran hindern, wieder Gewalt anzuwenden, wenn sie sich nach der Busse Rache geschworen haben.
Doch was ist Strafe überhaupt, und was bewirkt sie? Eine Strafe ist eine disziplinierende Reaktion auf ein Verhalten, das etwa von einer Erziehungsperson als unangemessen oder regelüberschreitend angesehen wird. In der Psychologie redet man von direkter Bestrafung, wenn auf das unerwünschte Verhalten eine negative Konsequenz folgt. Zum Beispiel fordert der Erwachsene: «Wasch deine Hände, bevor du an den Tisch kommst!» Das Kind sagt Nein, der Erwachsene baut Druck auf, bis das Kind nachgibt und sich die Hände wäscht. Bei der indirekten Bestrafung wird etwas Positives entzogen. «Wenn du die Hände nicht wäschst, bekommst du kein Dessert.» Das Ziel von Bestrafung ist, Autorität durchzusetzen. Das Kind lernt, zu gehorchen und sich dem Willen einer anderen Person unterzuordnen, oder es geht in die Opposition und kämpft für seine eigene Sache.
Mit einer Strafe erzielen Eltern meist kurzfristig Erfolg, aber keine nachhaltige Wirkung.
Die meisten Eltern erleben, dass sie damit kurzfristig Erfolg haben, aber langfristig immer wieder am gleichen Punkt stehen und tausend Mal das Gleiche sagen müssen. Es fehlt ihnen die Erfahrung, dass es auch anders gehen könnte, und sie ahnen nicht, wie das Kind durch Forderung, Kontrolle und Strafe in seinem tiefsten Bedürfnis nach Autonomie und Respekt so sehr gekränkt wird, dass es Nein zur Forderung und nicht Nein zum Bedürfnis der Eltern sagt. Das Kind versteht das echte Bedürfnis der Eltern, z. B. nach Hygiene, nicht, das hinter der Forderung steht, und es kann nicht darauf eingehen.