Ich erzähle: «Ein Kind muss den Weg freiwillig gehen»

Bilder: Gabi Vogt / 13 Photo
Peter Haussmann hat derzeit zehn Gymi-Anwärter im Kurs, den öffentliche Schulen im Hinblick auf die Gymi-Prüfung als kostenlose Vorbereitung anbieten müssen. Der Primarlehrer aus Zürich Altstetten setzt sich dafür ein, dass nicht die Herkunft, sondern das Potenzial über den Prüfungserfolg entscheidet.
Mittlerweile hat sich im Quartier vieles getan: Neuer Wohnraum hat die Bevölkerungsstruktur verändert, die soziale Durchmischung gefördert. Der Schule hat das gutgetan, man hat Luft, sich auch Themen abseits der integrativen Förderung zu widmen. Ich stiess vor sieben Jahren als Quereinsteiger zum Team, vorher arbeitete ich als Jurist.
Unsere Gymi-Vorbereitung hat den Anspruch, Kindern auf dem Weg zur Aufnahmeprüfung das bestmögliche Rüstzeug mitzugeben, unabhängig davon, aus welchem Elternhaus sie kommen. In meiner Klasse sprechen neun von zehn Kindern zu Hause kein Deutsch. Daher haben Leseübungen bei mir oberste Priorität – für alle Kinder, und nicht nur im Fach Deutsch. Ich besuche mit der Klasse regelmässig ein Brockenhaus, wo die Kinder Bücher mitnehmen dürfen, wir führen auch eine Klassenbibliothek.

Es ist wichtig, klar zu kommunizieren, auch im Hinblick auf die Vornoten: Unter einem Schnitt von 5,25 wird es schwierig. Eltern müssen aber auch wissen, dass die Matura nur eine von vielen Optionen ist. Unser Bildungssystem bietet selbst nach der obligatorischen Schulzeit zig Brücken, die auf diesen Weg führen, wenn Jugendliche das wollen.
Am aktuellen Gymi-Vorbereitungskurs, zwei Zusatzlektionen in Mathe und Deutsch pro Woche, nehmen zehn Sechstklässler aus zwei Klassen teil. Das sind gleich viele wie beim letzten Mal – sechs von ihnen schafften damals die Prüfung. Aber auch wer durchfällt, hat nicht vergebens gelernt: Die Kinder machen im Kurs beachtliche Fortschritte, die ihnen in der Sekundarschule zugutekommen.
Am Kurs teilnehmen darf, wer keine Privatnachhilfe besucht. So lautet meine Vereinbarung mit den Eltern. Ein Kind muss diesen Weg freiwillig gehen, es hat keinen Sinn, es unter Druck zu setzen. Mit Eltern, die das anders sehen, hatte ich es bisher kaum zu tun. Ich weiss aber, dass es Berufskollegen anderswo anders ergeht.»
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