Herr Fthenakis, wie sehen sich Väter heute? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Herr Fthenakis, wie sehen sich Väter heute?

Lesedauer: 5 Minuten

Die meisten Väter arbeiten noch immer Vollzeit. Drücken sie sich vor ihrer Verantwortung? Väterforscher Wassilios Fthenakis kommt in seinen Studien zu einer völlig anderen Antwort.

Herr Fthenakis, Sie haben vor einigen Jahren das Selbstbild der Väter untersucht. Auftraggeber war das deutsche Familienministerium. Wie sehen sich die Väter denn? 

Etliche Forscher haben immer wieder gefragt: Wie viele Stunden verbringt der Vater mit den Kindern? Welche Aufgaben übernimmt er in der Familie? Von welcher Qualität ist die Vater-Kind-Beziehung? Mich hat dagegen das Idealbild, die subjektive Konstruktion von Vaterschaft interessiert, das Vaterschaftskonzept aus der Sicht der Väter und der Mütter. Und da habe ich mit meiner Kollegin Beate Minsel in der Tat etwas Überraschendes festgestellt: Zwei Drittel der Männer zwischen 22 und 45 Jahren definieren sich selbst im Sinne einer sozialen Vaterschaft. Das heisst: Nicht mehr das Brotverdienen steht an erster Stelle, sondern das Interesse an und die Beschäftigung mit den Kindern und der Familie. Das war ein völlig neuer Befund, den man bis dahin in dieser Form nicht kannte. Nur 33 Prozent haben das traditionelle Bild von Vaterschaft vertreten – nämlich das als Brotverdiener.

Dieses Vaterschaftskonzept entsteht, sobald sie Väter werden? 

Nein, das beginnt schon deutlich früher. Dieses Idealbild von der sozialen Vaterschaft findet man bereits bei jungen Männern Anfang 20, die noch gar keine Kinder haben. Es entwickelt sich also sehr früh und bleibt dann im weiteren Familienverlauf bestehen.
Wassilios E. Fthenakis ist in Griechenland geboren. Er leitete das Staatsinstitut für Frühpädagogik in München und war Inhaber des Lehrstuhls für Entwicklungspsychologie u.a. an der Freien Universität Bozen, Italien. Bis heute gilt er als der einflussreichste Väterforscher im deutschsprachigen Raum.
Wassilios E. Fthenakis ist in Griechenland geboren. Er leitete das Staatsinstitut für Frühpädagogik in München und war Inhaber des Lehrstuhls für Entwicklungspsychologie u.a. an der Freien Universität Bozen, Italien. Bis heute gilt er als der einflussreichste Väterforscher im deutschsprachigen Raum.

Woher wissen Sie das so genau? 

Weil wir Väter in unterschiedlichen Lebensphasen befragt haben. Was denken die jungen Männer darüber? Was passiert, wenn die Partnerin schwanger wird? Wie sieht das Selbstbild der Väter ein paar Monate nach der Geburt des ersten Kindes aus? Wie hat es sich verändert, wenn das Kind den Kindergarten besucht? Wenn es eingeschult wird? Wenn es in die Pubertät kommt? Wir haben uns also die Wendepunkte im Leben der Väter angesehen. Das verblüffende Ergebnis: Die Antwort auf die Frage, wie ein Vater sein soll, wird durch die gemachten Erfahrungen in der Vaterschaft kaum verändert.

«Betreuungsangebote für die Kinder kann helfen, die Traditionalisierung zu überwinden.»

Was erwarten denn die Frauen von ihren Partnern?  

Auch das hat uns überrascht: Die Frauen waren mit den Männern einer Meinung. Die meisten hatten das Idealbild einer sozialen Vaterschaft – nur ein Drittel der Frauen vertrat ein traditionelles Ideal und sah ihren Partner in erster Linie als Brotverdiener. 

Wie gut passt das väterliche Ideal zu dem, was in den Familien tatsächlich passiert? 

Da sehen wir, dass das Selbstbild in keiner Weise mit der Realität übereinstimmt. Väter und Mütter sagen zwar: Wir wollen beide für die Kinder da sein. Wenn dann aber das erste Kind geboren wird, geht der Vater weiter arbeiten – und zwar in Vollzeit, nicht selten mit Überstunden. 

In der Schweiz gilt das für mehr als 80 Prozent aller Väter, deren Kinder 14 oder jünger sind. Das sagen die aktuellen Zahlen des Bundesamtes für Statistik. 

Gleichzeitig kann man sehen, dass die Mutter oft für viele Jahre aus dem Berufsleben ausscheidet. Mit der Geburt des ersten Kindes kommt es also zu einer Traditionalisierung des Familienmodells. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Der Mann verdient meist mehr als die Frau – deshalb entscheiden sich beide übereinstimmend dafür, dass er sich stärker im Job engagiert und sie zu Hause bleibt. Danach kommen die meisten Paare kaum noch aus dieser Traditionalisierung heraus. Das verschärft sich sogar noch, wenn das Paar weitere Kinder bekommt. Die Bereitstellung von Betreuungsangeboten für die Kinder kann helfen, diese Traditionalisierung zu überwinden.

«Väter lassen mehr Freiräume. Und das fördert die Autonomie der Kinder.» 

Der Mann verdient das Geld, die Frau kümmert sich um den Haushalt und die Kinder – dieses Modell hat über viele Generationen funktioniert. Was soll daran schlecht sein? 

Es macht die Frauen unzufrieden, vor allem jene, die eigentlich gut ausgebildet sind und weiterarbeiten wollen, aber wegen der Kinder zu Hause bleiben. Diese Gruppe war in unseren Untersuchungen besonders unglücklich. 

Die Männer haben damit kein Problem? 

Doch, natürlich. Die Väter erleben denselben inneren Konflikt, den man von berufstätigen Müttern kennt. Es fällt ihnen schwer, Beruf und Familie zu vereinbaren. Das gilt für mehr als ein Drittel der Väter. Neuere Studien bestätigen diesen Befund.

Welchen Einfluss hat das für Familie und Partnerschaft?

Wir haben darin die wichtigste Quelle für Probleme innerhalb der Elternbeziehung entdeckt. Wenn ein Mann ein egalitäres Selbstbild vertritt, Beruf und Familie vereinbaren möchte, seine Frau aber zu Hause bleibt und ein eher konservatives Konzept vertritt, dann kann man sehen, dass dadurch das Wohlbefinden des Mannes beeinträchtigt wird, Konflikte in der Partnerschaft entstehen und seine Akzeptanz und Wertschätzung gegenüber der Frau leidet. Dies erfolgt aber nicht in gleicher Weise, wenn die Frau ebenfalls egalitär ausgerichtet ist.

Wie bewusst ist den Vätern ihr eigenes Selbstbild?

 Das ist unterschiedlich. Es gibt eine Gruppe von Männern, die das reflektieren. Die meisten erleben es jedoch unbewusst. Sie kommen in eine diffuse Situation hinein, in der sie sich irgendwie unwohl fühlen. Aber sie können sich nicht rational erklären, woran das eigentlich liegt.

«Ein guter Vater sollte sehr viel Zeit und Energie in die Qualität seiner Partnerschaft investieren.»

Sie sagen: Wenn Vater und Mutter unterschiedliche Idealvorstellungen von Vaterschaft haben, ergeben sich Konflikte. Was raten Sie Vätern konkret? 

Ein guter Vater sollte sehr viel Zeit und Energie in die Qualität seiner Partnerschaft investieren. Wie gut er und seine Partnerin sich verstehen, ihre Beziehung auf gegenseitige Wertschätzung aufbauen – das sind die Dimensionen mit der stärksten Vorhersagekraft für die Entwicklung der Kinder. Vereinfacht gesagt: Glückliche Paare sind in der Regel auch gute Eltern.
Dieser Artikel stammt aus
Dieser Artikel stammt aus unserem grossen Online-Dossier über moderne Väter. Lesen Sie Artikel und Interviews über die Rolle der Väter dem Kind gegenüber, in der Familie und in der Gesellschaft. Mit vielen Berichten von den Vätern selbst.

Apropos Kinder: Wie sehr leiden die Kinder darunter, wenn ihr Papa den ganzen Tag bei der Arbeit ist?

Es ist ein Irrtum, wenn man glaubt, dass es nur auf die Anzahl der gemeinsam verbrachten Stunden ankäme. Wir sehen in unseren Studien, dass die Qualität der Begegnungen viel wichtiger ist. Die Väter kommen abends nach Hause und widmen sich ihren Kindern. Die gemeinsame Zeit findet also in einem entspannten Zusammenhang statt. Und die Väter nutzen diese Zeit meistens sehr intensiv. Ausserdem gibt es viele Möglichkeiten, den Kindern zu signalisieren, dass man an sie denkt. Auch wenn man unterwegs ist.

Einige Väter gehen bewusst in Teilzeit oder bleiben komplett zu Hause. Ist es für die Kinder eigentlich egal, ob Vater oder Mutter ihre erste Bezugsperson ist? 

Darauf gibt es zwei Antworten. Die eine lautet: Wenn man die Kompetenzen von Vätern und Müttern untersucht, findet man viel mehr Übereinstimmungen als Unterschiede. Beide sind von Anfang an gleich geeignet, Kinder zu erziehen.

Und die zweite Antwort? 

Männer führen einen Haushalt anders, als Frauen das tun. Frauen fühlen sich alleine für alles verantwortlich. Sie delegieren wenig, kontrollieren aber stark, ob das, was sie delegiert haben, umgesetzt wird. Und sie setzen die Standards relativ hoch. Die Männer auf der anderen Seite betrachten den Haushalt als gemeinsame Aufgabe der Familie. Sie delegieren mehr an die Kinder, sie setzen die Standards nicht hoch und kontrollieren nicht viel. Anders gesagt: Väter lassen mehr Freiräume. Und das fördert die Autonomie der Kinder. 

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