Väter erziehen anders: Was einen guten Vater ausmacht
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Was einen guten Vater ausmacht

Lesedauer: 11 Minuten

Kindererziehung ist längst nicht mehr reine Frauensache. Auch in der Forschung geraten Männer zusehends in den Fokus. Väter sind viel wichtiger für die Entwicklung eines Kindes als lange Zeit vermutet.

Text: Jochen Metzger
Bilder: Johan Bävman

Im Juni 2016 geschah etwas Merkwürdiges. Wissenschaftler aus der ganzen Welt hatten einen Flug nach Detroit gebucht, um dort den Bus Richtung Westen zu besteigen. Nach einer Stunde erreichten sie ein schmuckes Uni-Städtchen namens Ann Arbor. «Wir hatten hier zum ersten Mal die führenden Leute aus der Väterforschung beisammen», erzählt Brenda Volling, Psychologieprofessorin an der University of Michigan. 

Seit mehr als 30 Jahren untersucht sie, was die Väter anders machen als die Mütter, wie sie mit ihren Kindern spielen – und wie wichtig sie für die Entwicklung ihrer Töchter und Söhne sind. «Anfangs hat mich kaum einer von den Kollegen ernst genommen», erzählt Brenda Volling. «Die komplette Forschung drehte sich nur um die Mütter.» Doch die Welt hat sich verändert. Für Familienpsychologen – und für die Familien selbst. Gemeinsam mit ihrer schwangeren Partnerin erleben heute die meisten Männer den Moment, in dem das Bild ihres Kindes zum ersten Mal auf dem Monitor eines Ultraschallgeräts erscheint. 

Heute kuscheln mehr als 84 Prozent der Väter mit ihren Kindern und stellen darüber eine körperliche Nähe her.

Im Kreisssaal hören sie den ersten Schrei, mit dem ihr Neugeborenes die Welt begrüsst. Sie wickeln, sie füttern, sie trösten, sie spielen. Noch vor wenigen Jahrzehnten war all das die Ausnahme. Inzwischen geschieht es mit der allergrössten Selbstverständlichkeit – unsere Gesellschaft hat die Rolle des Vaters vollkommen neu definiert.

Aber was heisst es heute, ein «guter Vater» zu sein? Immer neue wissenschaftliche Studien geben darauf überraschende Antworten. Und auch die Vernetzung zwischen den Wissenschaftlern wird zunehmend besser. So haben Forscher aus der Schweiz, aus Österreich und Deutschland ein eigenes Netzwerk namens CENOF gegründet. Die Abkürzung steht für «Central European Network on Fatherhood». 

Väter sehen sich selbst oft als eine Art Aushilfs-Babysitter

Es ist kein Zufall, dass sich die deutschsprachige Gruppe einen englischen Namen gegeben hat: Väterforschung ist längst zu einem internationalen, weltweiten Projekt geworden. Noch ist es reine Grundlagenforschung, was in den Fachjournalen erscheint. Doch ein paar Erkenntnisse der Wissenschaft können Eltern schon heute sehr konkret in ihren Alltag mitnehmen.

So bestreitet heute kaum noch ein Psychologe, dass Kinder von ihren Vätern in einem unglaublichen Masse profitieren. Doch die Daten beleuchten auch eine komplett andere Seite des Familiensystems: Väter sehen sich selbst oftmals noch als Bezugsperson zweiter Klasse, als eine Art Aushilfs-Babysitter für die Zeiten, in denen Mama gerade nicht kann.

«Väter tendieren dazu, auf eine andere Art mit ihren Kindern zu spielen», sagt Väterforscherin Brenda Volling. «Sie spielen tendenziell körperlicher».
«Väter tendieren dazu, auf eine andere Art mit ihren Kindern zu spielen», sagt Väterforscherin Brenda Volling. «Sie spielen tendenziell körperlicher».

«Die Väter haben noch immer nicht bemerkt, wie wichtig sie sind. Das ist unsere entscheidende Botschaft als Forschergruppe », sagt Brenda Volling. Mehrere Studien zeigen inzwischen, was geschieht, wenn Väter sich selbst und ihre Aufgabe als Bezugsperson für die Kinder ernst nehmen. Wenn sie sich «gemeint» und verantwortlich fühlen, sobald ihr Baby schreit, sobald es später im Kindergartenalter «Zirkusdirektor» oder «Teegesellschaft» spielen will, sobald es als Schulkind Hilfe bei den Hausaufgaben braucht.

Gute Väter trösten, gute Väter spielen, gute Väter helfen – gute Väter kümmern sich. Und wenn sie das tun, dann setzen sie für sich selbst und für die ganze Familie etwas in Gang, was Emotionspsychologin Barbara Fredrickson als «Aufwärtsspirale des Aufblühens» bezeichnet. Sie senken den Stresspegel ihrer Partnerin, sie festigen die Bindung zu ihrem Kind, sie erleben sich selbst als wirkungsmächtiger und zufriedener, sie verbessern die Beziehung zu ihrer Partnerin. Die ganze Familie profitiert davon.

Sechs verschiedene Grundsätze bündeln die Erkenntnisse der aktuellen Forschung. Nicht alle klingen besonders neu oder revolutionär. Doch sie erklären, warum die allermeisten Väter mit dem, was sie tun, genau auf dem richtigen Weg sind.

1. Gute Väter sind gute Partner 

Traditionell haben Psychologen den Vätern eher eine Nebenrolle zugeschrieben. Die Geschichte ging so: Das Kind braucht in den ersten Lebensjahren vor allem eine sichere, vertrauensvolle, geborgene Bindung an einen Erwachsenen. So kann sich das Kindergehirn optimal entwickeln, so wird alles gut. «Tatsächlich ist die Bindungstheorie noch immer unser wichtigstes Werkzeug», sagt Brenda Volling. «Und ich glaube nicht, dass man sich von ihr abwenden sollte. Niemand wird bestreiten, dass diese erste Beziehung die Grundlage ist, auf der Kinder ihr Leben aufbauen.»

Diese «erste Beziehung» scheint auf naturgegebene Weise die Beziehung zur Mutter zu sein. Klar: In ihrem Bauch wächst das Kind heran. Aus ihr wird es geboren. Von ihr wird es gestillt. Sie gibt dem Kind die Geborgenheit, die es braucht. Der Vater – so die traditionelle Aussage der Bindungstheorie – soll seine Partnerin unterstützen, wo er kann, und ihr das Leben leichter machen. 

Die Väter haben noch immer nicht bemerkt, wie wichtig sie sind.

Brenda Volling, Väterforscherin

«Ich kenne nicht eine einzige Studie, in der eine gute Paarbeziehung schlecht für das Kind gewesen wäre», sagt Brenda Volling. «Aber ich kenne viele Untersuchungen, die eine eindeutig schlechte Auswirkung auf die Kinder belegen, wenn die Eltern sich häufig streiten, wenn sie einander anschreien oder die Autorität des anderen untergraben.

Die Kinder überfordert das, sie können nicht gut damit umgehen.» Gute Väter sind gute Partner – oder versuchen zumindest, gute Partner zu sein. Allerdings erfuhr die Bindungstheorie letzthin einige überraschende Erweiterungen.

Forscher aus Israel haben untersucht, was geschieht, wenn nicht die Mutter, sondern der Vater zur ersten Bezugsperson eines kleinen Kindes wird. Die Ergebnisse waren eine Sensation: Die Väter zeigten dasselbe sensible und aufmerksame Verhalten, das man sonst bei Müttern beobachten kann. Im Gehirn ereignen sich Aktivierungsmuster, die eher für Mütter typisch sind, besonders in jenen Arealen, in denen Emotionen verarbeitet werden.

Sogar der Hormonhaushalt der Väter veränderte sich. Die Psychobiologin Ulrike Ehlert von der Universität Zürich hat schon vor einigen Jahren herausgefunden, dass Väter kleiner Kinder häufig einen auffällig niedrigen Testosteronspiegel haben und dadurch vermutlich geduldiger mit ihren Kindern umgehen. 

«Die Väter gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass sie an der Erziehung der Kinder beteiligt sind», sagt Brenda Volling, Psychologieprofessorin an der University of Michigan.
«Die Väter gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass sie an der Erziehung der Kinder beteiligt sind», sagt Brenda Volling, Psychologieprofessorin an der University of Michigan.

Nun zeigt sich, dass auch die Produktion des Kuschelhormons Oxytocin bei Vätern schwankt: Sie geht auf ähnliche Weise in die Höhe wie bei jungen Müttern. Sogar ein Hormon namens Prolaktin wird in der Übergangsphase zur Vaterschaft vermehrt ausgeschüttet – bei den Müttern regt es die Milchproduktion an. Bei einigen Tieren sorgt Vater-Prolaktin für ein grösseres Engagement bei der Aufzucht der Jungen.

Welche Funktion es bei Menschenvätern erfüllt, wird derzeit von Anthropologen an der University of Notre Dame in den USA untersucht. All diese Ergebnisse «legen den Schluss nahe, dass die Evolution noch andere Wege zur guten Elternschaft kennt als den alten Pfad über Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit, der allein den Frauen vorbehalten ist», schreibt der israelische Hirnforscher Eyal Abraham.

Mit anderen Worten: Wenn ein Vater will und die Gelegenheit dazu bekommt, dann kann er tatsächlich so etwas sein wie eine tolle Mutter.

2. Gute Väter raufen 

Die zweite und womöglich wichtigere Erweiterung der Bindungstheorie zielt jedoch in eine andere Richtung. Sie achtet nicht nur auf die Sicherheit und Geborgenheit der Kinder, sondern auf ihre Aktivierung, ihren Mut, ihren Forschergeist, ihren Wunsch, die Welt zu erobern. «Väter tendieren dazu, auf eine andere Art mit ihren Kindern zu spielen», sagt Brenda Volling. «Sie spielen tendenziell körperlicher. Und lange Zeit hat die Forschung überhaupt nicht verstanden, wie wichtig dieses eher körperliche Spiel für die Entwicklung der Kinder ist.»

Besonders Forscherteams aus Kanada und Australien beschäftigen sich seit einiger Zeit mit Rauf- und Kampfspielen von Vätern und Kindern. Die ersten Grunderkenntnisse dieser jungen Forschungsrichtung stammen übrigens aus der Beobachtung von Tieren. So fand man heraus, dass Ratten einen Teil ihrer Sozialkompetenz den spielerischen Ringkämpfen ihrer Kindheit verdanken und dass sie Probleme besser lösen, wenn sie sich als Jungtiere ausgiebig balgen dürfen. Natürlich sind Menschen keine Ratten. Wir raufen anders als andere Säugetiere – und die Eltern spielen bei uns eine viel grössere Rolle. 

Gute Väter trösten, gute Väter spielen, gute Väter helfen – gute Väter kümmern sich.

Menschenkinder lernen eine Menge fürs Leben, wenn sie regelmässig mit ihren Vätern toben. Sie werden selbstbewusster und können besser mit Rückschlägen umgehen, sich besser in der Schule konzentrieren, ihre Gefühle besser regulieren. Eine australische Studie aus dem Jahr 2016 beschreibt sogar, dass Kinder, die häufig mit Papa raufen, besser auf ihren Körper achtgeben und seltener mit Verletzungen nach Hause kommen. Sie haben beim Toben offenbar gelernt, ihre eigenen Grenzen einzuschätzen, etwa beim sogenannten «Sockenspiel». Dabei versucht man, dem anderen eine Socke auszuziehen, ohne die eigene zu verlieren.

Soll man sein Kind dabei gewinnen lassen? Manchmal ja und manchmal nein. Die meisten Forscher sind überzeugt: Kinder sehnen sich danach, zu spüren, wie stark Papa ist, wie gut er die Familie beschützen kann. Andererseits kann man bei den Kampfspielen aller Säugetiere beobachten, dass der Stärkere den Schwächeren manchmal gewinnen lässt – und damit signalisiert, dass alles nur ein grosser Spass ist.

Gute Väter kümmern sich wie eine Mutter um ihre Kinder, wollen dabei aber unbedingt echte Kerle bleiben.
Fürsorge nach Papa-Art.

Gute Väter verlieren also manchmal und ermutigen ihre Kinder dadurch, sich anzustrengen. Aber meistens gewinnen sie. Tatsächlich verschwinden die guten Konsequenzen der Toberei, sobald man den Kindern immer den Sieg schenkt. Die beste Formel für gutes Raufen stammt vom australischen Väterforscher Richard Fletcher. Sie lautet: «Ich bin viel stärker als du. Und ich hab dich sehr lieb.»

3. Gute Väter lesen vor und fragen nach

Dass Väter gerne toben, ist keine Überraschung. Doch wie steht es mit ihrem Einfluss auf die sprachliche Entwicklung der Kinder? Man weiss, dass Frauen im Durchschnitt die besseren kommunikativen Fähigkeiten besitzen. Worte, Bücher, Vorlesen – all das scheint deshalb eher Muttersache zu sein. Doch auch hier haben Forscher den Einfluss der Väter lange unterschätzt. Kinder profitieren enorm davon, wenn ihre Eltern ihnen regelmässig vorlesen.

Langfristig werden sie zu besseren Lesern; sie werden besser in Mathe; sie können sich besser konzentrieren; sie zeigen weniger Verhaltensauffälligkeiten. So steht es etwa in einer Studie der University of North Carolina, die dafür mehr als 5000 amerikanische Familien untersucht hat. Der Beitrag der Väter fiel dabei kleiner aus als der der Mütter. Sie lesen im Durchschnitt weniger vor – weil sie spät von der Arbeit nach Hause kommen, weil ihnen das Lesen kein Vergnügen bereitet oder weil sie glauben, es schlechter zu machen als ihre Partnerin. 

Die Arbeiten der Psychologin Natasha Cabrera von der University of Maryland haben jedoch gezeigt: Sobald Väter regelmässig vorlesen und das gerne tun, ist ihr Beitrag für die Entwicklung der Kinder sogar noch grösser als der, den mütterliches Vorlesen erzielt. Auch wenn sie mit ihren Kindern diskutieren, tun Väter das anders; sie fragen häufiger nach, weil sie das Kind nicht genau verstanden haben. Der Wortschatz der Kinder wächst dadurch in erstaunlichem Masse.

Forscher glauben: Väter wirken durch ihre Nachfragen wie eine «Brücke» hinaus in die Welt. Mag sein, dass Mama den Kindern jeden Wunsch von den Lippen abliest. Dem Rest der Welt muss man aber erklären, was man möchte – und die Gespräche mit Papa sind dafür das beste Trainingslager.

4. Gute Väter trösten – so gut es geht

Manche Dinge können Mütter in den meisten Gesellschaften besser. Zum Beispiel trösten. So hat man untersucht, wie Eltern sich verhalten, wenn ihr Kind im Krankenhaus aus einer OP-Narkose erwacht. Väter wie Mütter versuchen, ihrem Kind ein Gefühl von Sicherheit und Ruhe zu vermitteln – vor allem über Berührungen und Körperkontakt. Die Mütter tun das jedoch intensiver und über einen längeren Zeitraum als die Väter. Die Männer haben in dieser Hinsicht allerdings deutlich aufgeholt. 

Die Berner Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm hat nachgewiesen, dass heute mehr als 84 Prozent der Väter mit ihren Kindern kuscheln und darüber eine körperliche Nähe herstellen. Trotzdem: Noch immer gelingt es einem höheren Prozentsatz an Kindern und Jugendlichen, ein engeres Vertrauensverhältnis zur Mutter aufzubauen als zum Vater. Wenn sie Hilfe brauchen, dann gehen sie eher zu ihr als zu ihm. Welche Auswirkungen hat das auf die Entwicklung der Kinder? 

Der Vater soll seine Partnerin unterstützen, wo er kann, und ihr das Leben leichter machen.

Mehrere Arbeiten aus den USA, Kanada und Israel kommen in dieser Frage zu identischen Ergebnissen: Schulkinder, die an beide Elternteile sicher gebunden sind, entwickeln eine höhere Sozialkompetenz und berichten von weniger Problemen im Alltag. Die gleichzeitige Bindung an Vater und Mutter wirkt als «Schutzfaktor» gegen Einsamkeit, Angstgefühle und Depression. Eigentlich hatte man diesen Effekt auch für jene Kinder erwartet, die nur an die Mutter sicher gebunden sind. 

Bei ihnen fiel der Schutzeffekt jedoch deutlich schwächer aus. «Diese Ergebnisse zeigen, dass wir uns genauer anschauen müssen, welche Rolle eine enge Beziehung zwischen Heranwachsenden und ihren Vätern spielt», heisst es in einem Forschungsbericht der Universität Tel Aviv. «Manche Studien schauen nur auf die Männer, andere nur auf die Frauen», erklärt Brenda Volling. «Aber es bringt nichts, Väter und Mütter gegeneinander auszuspielen. Es geht schliesslich darum, das grosse Bild zu zeichnen und zu zeigen, wie Eltern gemeinsam das Beste für ihre Kinder tun können.»

5. Gute Väter bleiben auch zu Hause 

Doch woran liegt es, dass die Väterforschung zuletzt so stark an Bedeutung gewonnen hat? Die Fachleute sagen: vor allem an den Vätern selbst – und an der Gesellschaft, in der sie leben. Väter verbringen heute vier Mal mehr Zeit mit ihren Kindern, als das noch in den 60er-Jahren der Fall war.

«Damals ist Papa von der Arbeit heimgekommen und hat darauf gewartet, dass seine Frau ihm einen Martini serviert. Sein Job bestand darin, das Geld für die Familie zu verdienen. Die Erziehung war komplett Angelegenheit der Frau», sagt Brenda Volling. «Diesen Vatertypus gibt es heute kaum noch. Die Väter gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass sie an der Erziehung der Kinder beteiligt sind.»

Mit anderen Worten: Es sind die neuen Väter, die eine neue Art von Forschung notwendig machen. Doch diese neuen Väter haben es nach wie vor schwer. In der Schweiz arbeiten mehr als 80 Prozent von ihnen noch immer Vollzeit und verbringen weniger Stunden mit ihren Kindern, als sie das gerne würden. Arbeit in Teilzeit wird von den Arbeitgebern häufig nicht unterstützt. Doch was geschieht, wenn Väter einen radikalen Schritt wagen, wenn sie ganz zu Hause bleiben und die Aufgabe des Brotverdieners ners an ihre Partnerin übergeben?

Wassilios Fthenakis, die graue Eminenz der deutschsprachigen Väterforschung, hält das für eine «wichtige Erfahrung» (siehe Interview). Eine Untersuchung aus Kanada zeigt jedoch eine andere Seite: Die Forscher wollten wissen, wie moderne Väter in Filmen und TV-Serien dargestellt werden. Das Ergebnis: Der engagierte, aber voll berufstätige Vater wird eher als sympathischer Gewinner gezeichnet. Wer dagegen als Vater zu Hause bleibt, erscheint fast immer als unmännlicher Versager, der sein Leben nicht auf die Reihe bekommt – Vollzeitpapa scheint zumindest auf der anderen Seite des Atlantiks noch immer kein begehrtes Karriereziel zu sein. 

6. Gute Väter sind echte Männer 

Wie einige «Stay Home Dads» sich ihr männliches Selbstbild auf originelle Weise zurückholen, hat der aus Jordanien stammende Väterforscher Tawfiq Ammari im März 2017 auf der Konferenz CSCW im amerikanischen Portland beschrieben. Er stellte fest, dass Vollzeitväter in Interviews und in selbstgeschriebenen Blogs immer wieder eine Art «Heimwerkersprache » verwenden, um über ihren Alltag zu berichten. Tatsächlich verrichten sie einige ihrer Tätigkeiten auf besonders männliche Art und Weise – etwa, indem sie Kuchenteig mit der Bohrmaschine rühren oder die Halloween-Masken ihrer Kinder im Hobbykeller zusammenschrauben, statt sie im Laden zu kaufen.

Doch auch die reine Interpretation ihrer Rolle ist betont maskulin. Die Väter inszenieren sich zum Beispiel nicht als «Hausmänner», sondern als «Familienunternehmer» («dadpreneurs»), die mit durchdachten Plänen die Haushaltsausgaben senken. Andere Väter holen sich ihren Männerstolz aus der Tatsache, dass sie gemeinsam mit den Kindern Reparaturen am Haus selbst erledigen, ohne einen Handwerker rufen zu müssen. 

In der Schweiz arbeiten mehr als 80 Prozent von ihnen noch immer Vollzeit und verbringen weniger Stunden mit ihren Kindern, als sie das gerne würden.
In der Schweiz arbeiten mehr als 80 Prozent von ihnen noch immer Vollzeit und verbringen weniger Stunden mit ihren Kindern, als sie das gerne würden.

Das Selbstbild als «Do it yourself»-Papa («DIY dad»), so schliesst Ammari, ermöglicht es den Vätern, ein als «typisch weiblich» gesehenes Leben zu führen, ohne deshalb ihr maskulines Selbstbild aufgeben zu müssen. Anders gesagt: Gute Väter kümmern sich wie eine Mutter um ihre Kinder – aber sie wollen dabei unbedingt echte Kerle bleiben. Im England der Nachkriegszeit gab es eine Serie sehr erfolgreicher Radiosendungen. Sie widmete sich einer einfachen Frage: Wie wird man eine gute Mutter? 

Der Macher der Reihe, der Psychoanalytiker Donald Winnicott, hat Unermessliches geleistet für das Wohlbefinden von Familien auf der Insel. Seine zentrale These lautete: Keine Mutter muss perfekt sein. Damit ihr Kind glücklich aufwächst, reicht es, wenn sie «gut genug» ist. Die Väterforschung des Jahres 2017 erzählt eine ganz ähnliche Geschichte: Mag sein, dass der eine Papa ein toller Partner ist, dass der andere rauft, vorliest, tröstet, zu Hause bleibt und sich dabei seine Männlichkeit bewahrt. Doch so lange er all das von Herzen tut, auf seine eigene Art, wird er «gut genug» sein – und für sein Kind der beste Vater, den man sich nur wünschen kann.

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Jochen Metzger
ist freier Journalist und Autor. Meist geht es in meinen Beiträgen um die Wissenschaft, vor allem um neue Befunde aus der Psychologie. Aber nicht immer.

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