«Fragen Sie Ihr Kind, was es in der virtuellen Welt mag»
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«Fragen Sie Ihr Kind, was es in der virtuellen Welt mag»

Lesedauer: 4 Minuten

Die Psychiaterin Susanne Walitza rät Eltern dazu, erst einmal mit ihrem Kind ins Gespräch zu kommen, wenn Insta und Tiktok überhandnehmen.

Interview: Mirjam Oertli
Bild: Getty Images

Frau Walitza, sind soziale Medien schlecht für die Psyche von Heranwachsenden?

Es lässt sich nicht pauschal behaupten, dass soziale Medien oder das Internet grundsätzlich negative Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche haben. Aber es gibt Risikokonstellationen. Eine solche liegt etwa vor, wenn ein Jugendlicher sehr selbstunsicher ist und soziale Medien gleichzeitig intensiv nutzt. Diese Kombination kann eine Depression begünstigen. Forschende beschreiben das Phänomen als «Facebook-Depression».

Susanne Walitza ist Direktorin der Kinder- und Jugend­psychiatrie und Psychotherapie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Sie leitet einen Teil des Forschungsprojekts «BootStRaP», das die Auswirkungen der Internetnutzung auf junge Menschen aus neun europäischen Ländern untersucht. (Bild: zVg)

Selbstunsicherheit ist im Jugendalter aber per se verbreitet.

Ja, dazu kommt die für dieses Alter typische Impulsivität. Wenn Jugendliche sich verletzt fühlen, beleidigt werden oder mit ihrem Selbstbild unzufrieden sind, hat dies oft tiefere Auswirkungen als bei Erwachsenen, die gelernt haben, Situationen zu relativieren. Heranwachsenden fällt das schwerer. Gerade wenn sie bereits unter Ängsten leiden, sehr sensibel oder eben selbstunsicher sind, können sich problematische Aspekte sozialer Medien zusätzlich ungünstig auswirken.

Der konstante Vergleich auf Social Media und der Fokus auf Bewertungen erzeugen Stress und können das Selbstwertgefühl beeinträchtigen.

Welche Aspekte sozialer Medien schätzen Sie als besonders herausfordernd ein?

Zahlreiche. Aber wenn schon elf- oder zwölfjährige Kinder beispielsweise über Tiktok mit verstörenden Bildern konfrontiert werden, besorgt mich das besonders. Problematisch sind aber auch die unrealistischen Vorbilder, die Influencer und scheinbar perfekte Models vermitteln. Sie tragen zum Risiko bei, dass sich bei Heranwachsenden ein verzerrtes Verständnis von Beziehungen, Interaktionen, Aussehen und Selbstbild entwickelt. Der konstante Vergleich und der Fokus auf Bewertungen erzeugen zudem Stress und können das Selbstwertgefühl beeinträchtigen.

Spielt auch das Geschlecht eine Rolle bei der Frage, wie sich soziale Medien auswirken?

Wir haben vor Kurzem mit Pro Juventute eine Studie zum Umgang mit Stress, Mediennutzung und Resilienz bei 14- bis 25-Jährigen durchgeführt. Unter anderem zeigte sich, dass Mädchen stärker unter mentaler Belastung leiden und negative Erfahrungen tendenziell intensiver empfinden als Jungs.

Mädchen machen sich auch verstärkt Sorgen um den Zustand der Welt. Möglicherweise lässt sich dies auf die häufigere Konfrontation mit globalen Themen durch soziale Medien zurückführen. Wir haben festgestellt, dass Mädchen häufiger soziale Medien nutzen, während Jungs eher gamen. Unsere Studie zeigte jedoch auch, dass sich die Mehrheit der Jugendlichen und jungen Erwachsenen psychisch wohlfühlt.

Verbringen Eltern selbst zu viel Zeit im Internet oder mit sozialen Medien, ist das problematisch.

Das ist erfreulich!

Auf jeden Fall. Auch war der Stress durch soziale Medien geringer als erwartet. Dennoch stellt er für 15 Prozent der Befragten ein erhebliches Problem dar. Etwa 10 Prozent gaben an, ein Risiko für einen problematischen Konsum von Internet und sozialen Medien zu haben. Auch bekundeten über 50 Prozent Mühe damit, das Handy für eine gewisse Zeit wegzulegen.

Die Mechanismen der Plattformen tragen das Ihre dazu bei.

Ja, soziale Medien und auch Games aktivieren im Gehirn das Belohnungssystem – vor allem das Dopaminsystem, das für Gefühle von Freude und Befriedigung zuständig ist. Likes, Kommentare und Bestätigungen erzeugen einen schnellen Dopaminstoss, was zu einer Art Suchtkreislauf führen kann, bei dem wir immer wieder nach Bestätigung und positiven Reaktionen suchen. Doch so lange Anbieter an der Zeit verdienen, die wir auf den Plattformen verbringen – und deshalb gezielt süchtig machende Elemente integrieren –, stehen wir vor einem Dilemma.

Für Eltern ist das oft frustrierend. Wie sollen sie damit umgehen?

Zum einen sollten sie ihrem Kind Medienkompetenz vermitteln, und dies ab einem frühen Alter. Dazu gehört, dass sie ihre Vorbildwirkung prüfen und den eigenen Medienkonsum hinterfragen. Verbringen sie selbst zu viel Zeit im Internet oder mit sozialen Medien, ist das problematisch. Kinder können auch nicht unterscheiden, ob Eltern digital arbeiten oder chatten. Man sollte sich also immer wieder bewusst Zeit für Interaktionen in der Familie nehmen.

Und zum anderen?

Zum anderen ist es wichtig, dass Eltern ihren Kindern als Korrektive zur Verfügung stehen. Denn problematische Auswirkungen haben soziale Medien oft dann, wenn solche Korrektive fehlen – also Eltern oder auch ältere Geschwister, mit denen Heranwachsende ihre Probleme besprechen können. Zudem können Eltern ihren Kindern helfen, die Auswirkungen von sozialen Medien kritisch zu hinterfragen –indem sie Themen wie Datenschutz, Cybermobbing oder die Angst, etwas zu verpassen, ansprechen.

Soziale Medien zu verbieten ist unrealistisch und würde Jugendliche zu Aussenseitern machen.

Wie steht es um die Nutzungszeit? Sind die Inhalte wichtiger als die Dauer?

Tatsächlich spielen die Inhalte eine grössere Rolle als die Nutzungszeit. Wenn sich Jugendliche in einem Umfeld bewegen, in dem sich auch Anorexie-Betroffene aufhalten oder das sich über Selbstverletzung und Drogenmissbrauch austauscht, ist das problematisch bis riskant. Bei Bastelvideos verhält sich das anders. Dennoch: In einer Studie mit 600 Schülerinnen und Schülern zeigte sich, dass es entscheidend war, ob Jugendliche an den Schultagen mehr als vier bis fünf Stunden an elektronischen Geräten zubrachten. Ein Mehr war assoziiert mit psychischen Problemen wie etwa Schlafstörungen.

Wie können Eltern einschätzen, ob ihr Kind einen gesunden Umgang mit sozialen Medien pflegt?

Ein gesunder Umgang zeigt sich daran, dass junge Menschen ihre Zeit auf sozialen Medien steuern können und ein Gleichgewicht zwischen digitalen und analogen Aktivitäten wahren. Wenn Kinder und Jugendliche ihr Handy nicht mehr weglegen können – oder wütend werden, wenn sie es tun sollen –, ist das ein Alarmzeichen. Ebenso, wenn sie alltägliche Aufgaben nicht mehr ausführen, ihr Schlaf-Wach-Rhythmus sich verschiebt, sie dauernd gereizt sind, Rückzug zeigen und ihre Onlinezeit sich von Woche zu Woche steigert.

Und wenn es so weit gekommen ist? Das Gerät einziehen?

Nein, bevor Eltern das Gerät einziehen oder neue Regeln aufstellen, empfehle ich ihnen, sich ein Bild darüber zu verschaffen, was ihr Kind in der virtuellen Welt macht und mag. Also Interesse zeigen und mit dem Kind ins Gespräch kommen, um die Hintergründe zu erfahren. Grundsätzlich vorenthalten sollte man Jugendlichen soziale Medien nicht. Das ist unrealistisch und würde sie auch zu Aussenseitern machen. Zumal die meisten Jugendlichen einen gesunden und guten Umgang damit pflegen. Wichtig ist, die Balance zwischen Kontrolle und Vertrauen zu finden. Sodass die Jugendlichen lernen können, eigenverantwortlich mit ihren Medien umzugehen, während sie Unterstützung erhalten.

Mirjam Oertli
ist freie Journalistin und Buchautorin («Wer auf dem Handy kein gratis Internet hat, ist tot!», «Jetzt stellen Sie doch das Kind mal ruhig!»). Sie ist Mutter von zwei Teenagern und einem Primarschulkind und lebt mit ihrer Familie in Luzern.

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