Durch Psychomotorik die Beziehung zwischen Eltern und Kind stärken

Bild: Rawpixel.com / zVg via Theresia Buchmann
Serie: Kind und Therapie – Teil 4
Wird Kindern ein sogenannt auffälliges Verhalten oder eine verzögerte emotionale Entwicklung attestiert, kommt meist die Psychomotorik-Therapie zum Zug. Doch nur die wenigsten Eltern können sich darunter etwas vorstellen. Was verbirgt sich hinter diesem sperrigen Wort?
Der Lehrplan betont drei überfachliche Kompetenzen. Zuerst die personalen Kompetenzen wie Selbstreflexion, Selbständigkeit und Eigenständigkeit. Dann die sozialen Kompetenzen wie Dialog- und Kooperationsfähigkeit, Konfliktfähigkeit oder den Umgang mit Vielfalt. Hinzu kommen als Drittes die methodischen Kompetenzen wie Sprachfähigkeit, das Nutzen von Informationen und das Lösen von Aufgaben oder Problemen.
Ausschlaggebend ist weniger der Grad einer Beeinträchtigung, sondern die Frage, wie gross der Leidensdruck des betroffenen Kindes und seines Umfelds ist.
Zur Psychomotorik-Therapie kommen Kinder und Jugendliche im Volksschulalter, die in ihrem Bewegungsverhalten oder -erleben beeinträchtigt sind. Dies kann die gesamte Entwicklung, aber auch nur einzelne Bereiche der Motorik wie beispielsweise die Feinsteuerung beim Schreiben betreffen. Ausschlaggebend ist weniger der Grad dieser Beeinträchtigung, sondern die Frage, wie gross der Leidensdruck des betroffenen Kindes und des Umfelds ist. Ein Beispiel: Eine an sich geringe Gleichgewichtsunsicherheit kann das eine Kind selbständig meistern, beim anderen führt sie zu einem Teufelskreis von Ängstlichkeit, Vermeideverhalten, sozialer Ausgrenzung, Übungsrückstand und noch mehr Unsicherheit. Eine Therapie werde immer erst dann erwogen, wenn die Fördermöglichkeiten in Familie, Schule und Freizeit nicht ausreicht, erklärt Sibylle Hurschler Lichtsteiner, Dozentin für Psychomotorik an der Pädagogischen Hochschule Luzern.
Therapie in der Turnhalle

Mehr als die Hälfte der Schweizer Schulkinder wird im Laufe ihrer schulischen Laufbahn einmal therapiert. Viel zu viele, sagen manche Kinderärzte und Experten, und plädieren für mehr Gelassenheit bei Schul- und Lernschwierigkeiten. Eltern wiederum sind oft ratlos, hinterfragen ihre Ansprüche, fürchten sich vor Stigmatisierung. In dieser fünfteiligen Serie möchten wir das Feld des schulischen Therapieangebots beleuchten. Was ist das Ziel der sogenannten sonderpädagogischen Massnahmen? Wann sind sie nötig? Was macht eine Heilpädagogin im Unterricht? Wie arbeitet eine Logopädin? Was bedeutet Psychomotorik? Und haben wir nicht vielleicht einfach falsche Vorstellungen davon, was der Norm entspricht und was nicht?
Alle bisher erschienen Artikel finden Sie hier: Kind und Therapie – die Serie
Eine Therapie wird immer erst dann erwogen, wenn die Fördermöglichkeiten in Familie, Schule und Freizeit nicht ausreichen.
Psychomotorik in Kürze
Ziel: Psychomotorik-Therapie will die Handlungs- und Interaktionskompetenzen sowie die Lernfähigkeit und Aufmerksamkeit der Kinder stärken und ihnen so ermöglichen, ressourcenentsprechend am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.
Abklärung: Die Abklärung gibt Auskunft darüber, wo das Kind in den Bereichen Wahrnehmung, Motorik, sozialemotionale Entwicklung und Kognition steht und wie diese zusammenspielen. Eltern und Fachpersonen besprechen mögliche Ansatzpunkte für die Förderung. Gemeinsam wird entschieden, ob Psychomotorik oder eine andere Massnahme angezeigt ist. Die Anmeldung zu einer Psychomotorik-Abklärung ist kantonal unterschiedlich geregelt. Am besten wenden sich Eltern direkt an die zuständige Therapeutin.
Förderung und Überforderung
Danach konstruiert Marco mit mehreren Matten eine höhere Ebene, von der er auf das Trampolin hinunterspringt. Der Vater erzählt Theresia Buchmann währenddessen vom Fahrradausflug. Als die Therapeutin den Jungen fragt, wie viel von dem Mut, den er gerade beim Trampolinspringen gezeigt hat, er damals beim steilen Stück gebraucht hätte, wird Marco wütend. Er sagt, dass er nie mehr zu ihr in eine Therapiestunde gehen werde, zieht die Schuhe an und marschiert davon. Was ist passiert? «Die Förderung wurde zur Überforderung», erklärt Buchmann. «Vielleicht hat ihn aber auch die Erinnerung an das Erlebnis verletzt.» Der Vater gibt im Gespräch an, er versuche künftig Marcos vorsichtiges Bewegungsverhalten besser anzunehmen, ihm sein eigenes Tempo zu lassen.
Das Beispiel zeigt, worum es in der Psychomotorik auch geht: das Kind beim Ausprobieren und beim Scheitern zu begleiten. Und ihm und seinen Eltern aufzuzeigen, dass es sein eigenes Tempo leben darf, dass es seine Schwächen – wie zum Beispiel das vorsichtige Bewegungsverhalten – annehmen darf. Aber auch die Eltern sollen ihr Kind annehmen, wie es ist. Über gemeinsame schöne Erfahrungen mit Vater oder Mutter, positive Erlebnisse im Umfeld und gemeinsames Handeln tritt das Kind in Beziehung mit sich selbst. Es wird, so sagt die Psychologie, selbstwirksam. Das heisst, das Kind erfährt, dass es auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen kann. Diese Erfahrung geschieht über den Körper, die Bewegung und die Interaktion.
Ein Vertrauensverhältnis aufbauen
Ein Vertrauensverhältnis ist für den Entwicklungsprozess unabdingbar. Psychomotorik ist also auch Beziehungsarbeit.
Die Psychomotorik ist also auch Beziehungsarbeit. «Es geht aber nicht darum, zu heilen, sondern respektvoll und empathisch zu vermitteln, dass eine positive Entwicklung des Kindes möglich ist, auch wenn die Umstände schwierig sind.» Wie viel Zeit das braucht, variiert von Kind zu Kind. In der Psychomotorik werde kein einheitliches Programm «durchgeturnt», so Sibylle Hurschler Lichtsteiner. Dauer und Arbeitsweise seien sehr verschieden und passt sich dem individuellen Bedürfnis an. In der Praxis können es einzelne Beratungsstunden, regelmässige wöchentliche Therapiestunden über ein bis zwei Jahre, gelegentlich auch einmal eine mehrjährige Begleitung in grösseren Abständen sein. Ziel sei immer, die Fördermöglichkeiten zu Hause zu etablieren.
Psychomotorik möchte…
- die soziale Interaktion stärken.
- das Kind beim Ausprobieren und beim Scheitern begleiten.
- das Kind über das gemeinsame Handeln Wirksamkeit erleben lassen.
- ressourcenorientiert arbeiten, z. . Spielideen aus der eigenen frühen Kindheit oder der Kindheit der Eltern aufgreifen.
- über die Wahrnehmung Denkprozesse entstehen lassen.
(Quelle: Regula Tichy)
«Das Kind lernt, sich zu vertrauen»
Psychomotorik-Therapeutin Theresia Buchmann sagt, es gehe in ihrer Arbeit nicht darum, Schwächen eines Kindes auszumerzen, sondern um das Entdecken seines Kraftpotenzials. Denn jedes Kind habe Kompetenzen. Diese gelte es zu erkennen.
Frau Buchmann, in welchem Alter kommen Kinder in Ihre Therapie?
Weshalb benötigen diese Kinder Psychomotorik?

Können Sie ein Beispiel geben?
Ist die Selbstoptimierung das Ziel?
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