Die erste Voraussetzung dafür ist, dass er sich für die Berufswelt interessiert. Das ist schon ein Entwicklungsschritt. Von da an ist es ein Prozess der Selbsterkenntnis. Er kommt seinen Interessen und Stärken immer näher. Dann muss er sich überlegen, ob er mitbringt, was die Ausbildung fordert, oder ob er sich dorthin entwickeln kann. Darauf geht es ans Ausprobieren in der Schnupperlehre. Und schliesslich muss er die Entscheidung fällen, welchen Beruf er ergreifen will.
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Verstanden
24. August 2020
«Es ist wichtig, auf das Bauchgefühl zu hören»

Text: Stefan Michel
Bild: Gabi Vogt, zVg
Bild: Gabi Vogt, zVg
Lesedauer: 5 Minuten
Schritt 5: Überprüfung und Entscheidung
Berufsberaterin Sigrid Weber kennt die Qual der Berufswahl, die viele Jugendliche durchleben. Lieblingsfächer und Hobbys seien erste Hinweise auf die passende Ausbildung, in Schnupperlehren lasse sich viel lernen – und manchmal helfe auch ein Münzwurf, sagt die Psychologin. Bei der Entscheidung müsse aber vor allem das Gefühl stimmen.

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Frau Weber, wie findet ein junger Mensch von 14 oder 15 Jahren den passenden Beruf?

Sigrid Weber Böhni brach ihr Sprachstudium ab, weil sie Mutter wurde. Später studierte sie Psychologie mit Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie. Sie leitet die Regionalstelle Frauenfeld des Amts für Berufsbildung und Berufsberatung des Kantons Thurgau. Sie hat drei erwachsene Kinder.
Interessen können sich in diesem Alter schnell ändern.
Das stimmt, in dieser Phase bleibt kein Stein auf dem anderen. Darum ist es sinnvoll, früh zu beginnen, sich damit zu beschäftigen. Man muss den Jugendlichen aber auch Mut machen, die Richtung zu wählen, die im Moment stimmt. Letztlich bleiben einige beim einmal gewählten Beruf, bilden sich vielleicht weiter, andere sind eher berufliche Nomaden, die ein Leben lang suchen und Neues beginnen. Da ist nichts Falsches dran.
Welche Fragen helfen, Interessen und Neigungen zum Vorschein zu bringen?
Es beginnt ganz einfach: Was machst du in deiner Freizeit, welches Schulfach magst du? Treibst du viel Sport? Das ist ein Zeichen für Bewegungsfreude. Liest du? Einer, der nicht liest, passt eher nicht in eine weiterführende Schule. Bastelst du? Zeichnest du? Kümmerst du dich um Tiere oder um jüngere Kinder? Neben möglichen Berufsfeldern erkenne ich im Gespräch auch, ob jemand eher in einen Kleinbetrieb passt oder in eine grössere Firma.
Wie gross ist die Gefahr, dass man den passenden Beruf übersieht?
Mein Eindruck ist, dass das sogar relativ häufig vorkommt. Ich habe manchmal Jugendliche in der Beratung, die schon ein paar Berufe geschnuppert, aber noch nirgends richtig Feuer gefangen haben und sich fragen, ob sie den «richtigen» Beruf übersehen haben. Andere sind stark von den Eltern beeinflusst, sei es durch Rollenbilder oder Wertvorstellungen, zum Beispiel dass ein Junge nicht Fachmann Betreuung Fachrichtung Kinder werde. Es gibt auch Familien, in denen alle Kaufleute sind oder Lehrer oder Bauern. Die einen fühlen sich in der Familientradition wohl, andere wollen bewusst ausbrechen.
Welche Rolle spielen heute Schulleistungen und Testresultate?
Das kommt auf den Beruf an. Um einen technischen Beruf lernen zu können, muss man in den entsprechenden Fächern richtig gut sein, sonst schwimmt man danach in der Berufsschule. Deutsch gehört übrigens auch dazu, denn man muss in diesen Berufen komplexe Sachverhalte sprachlich erfassen können. Tests sind besonders bei grossen Betrieben sehr wichtig, in manchen sogar wichtiger als Schulnoten. Oft wird ein Multicheck verlangt, obwohl mit dem Stellwerk ein gutes, flächendeckendes Instrument geschaffen wurde.
Wie viel zählt der persönliche Eindruck im Gespräch und in der Schnupperlehre?
Der zählt immer noch sehr viel, bei kleineren Betrieben oft mehr als Schulnoten und Tests. Die schauen sich die Leute in der Schnupperlehre genau an und entscheiden, ob sie ihnen den Job zutrauen und wer am besten zu ihnen passt.
Selbst Schnupperlehren vergeben gewisse Lehrbetriebe erst nach internen Tests.
Grössere Firmen haben strukturierte Abläufe, nach denen sie ihre Lehrstellen vergeben. Das kann damit beginnen, dass man bereits früh im Jahr eine Infoveranstaltung besuchen muss. Wer die verpasst, kann keine Schnupperlehre absolvieren. Wer sich für solche Lehrbetriebe interessiert, muss sich rechtzeitig informieren. Schnupperlehren sind dann bereits Teil des Bewerbungsprozesses.
In der Berufs- und Ausbildungswahl werden die Jugendlichen damit konfrontiert, was sie aufgrund ihrer Schulleistungen und Testresultate in der Berufswelt wert sind. Was bewirkt das bei den Jugendlichen?
Ich gehe jetzt nur auf die ein, welche die Anforderungen ihrer Wunschausbildung noch nicht erfüllen. Die einen kann man beim Ehrgeiz packen, die hängen sich dann oft richtig rein. Es gibt auch jene, die für weniger anspruchsvolle Varianten ihres Wunschberufs empfänglich sind. Ein Teil der Jugendlichen erträgt die Konfrontation mit dieser Realität nicht: Sie reagieren beleidigt oder entmutigt. Andere träumen einfach weiter. Öfter kommen sie nicht zum Folgetermin. Sie alle brauchen Zeit, um die Gefühle der Enttäuschung zu überwinden und erneut einen Schritt auf ihre Berufswahl zu machen zu können – sie brauchen vor allem Ermutigung.
Für die meisten kommt irgendwann der Moment, in dem sie entscheiden müssen, in welchem Beruf sie sich bewerben und schliesslich, in welchem Betrieb sie die Lehre machen wollen. Welche Entscheidungshilfe können Sie bieten?
Der Kopf hat vorgearbeitet, beim Entscheid ist es wichtig, auf das Bauchgefühl zu hören. Wenn man zwischen zwei oder drei Berufen schwankt, ist es sinnvoll, sich in diesen Berufen zu bewerben. Oft ergibt sich dann die passende Entscheidung: zum Beispiel aufgrund von Sympathie. Oder man schreibt sich für jede Variante auf, was dafür und was dagegen spricht. Vielleicht haben beide gleich viele Pluspunkte, die eine aber weniger negative Seiten.
Bei einem jungen Mann, der sich nicht zwischen Informatiker und Automatiker entscheiden konnte, habe ich eine Münze geworfen. Als die Wahl auf Automatiker fiel, rief er spontan: Ich will aber Informatiker werden! Damit war die Entscheidung gefallen.
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Die Wahl der passenden Ausbildung nach der Sekundarschule lässt sich in sieben
aufeinanderfolgende Aufgaben einteilen. Es empfiehlt sich, die sieben Schritte in dieser Reihenfolge auszuführen, wobei man auch immer wieder eine oder zwei Etappen zurückgehen kann, wenn sich etwas geändert hat.
aufeinanderfolgende Aufgaben einteilen. Es empfiehlt sich, die sieben Schritte in dieser Reihenfolge auszuführen, wobei man auch immer wieder eine oder zwei Etappen zurückgehen kann, wenn sich etwas geändert hat.
- Schritt 1: Eigene Interessen und Stärken kennenlernen
Bevor Jugendliche entscheiden können, welche Ausbildung sie nach der Sekundarschule in Angriff nehmen wollen, müssen sie ein paar grundlegende Fragen an sich selber beantworten. Keine leichte Aufgabe mitten in der Pubertät, die ohnehin schon voller Fragen ist. - Schritt 2: Berufe und Ausbildungen kennenlernen
In die Lehre oder weiter zur Schule? Diese Frage stellen sich viele in der Oberstufe. Dabei schliessen sich die beiden Wege nicht aus. Die wichtigsten Bildungsangebote im Überblick. - Schritt 3: Eigene Stärken mit den Anforderungen von Berufen und Ausbildungen vergleichen
Jede Berufslehre und jede Schule hat ihre spezifischen Anforderungen. Für junge Berufssuchende bedeutet das, dass sie entweder intensiv an ihren Fähigkeiten arbeiten oder sich eine weniger anforderungsreiche Berufslehre suchen sollten. - Schritt 4: Interessante Berufen in einer Schnupperlehre kennenlernen
Eine Schnupperlehre, auch Berufswahlpraktikum genannt, gibt einen ersten Eindruck vom Arbeitsleben, von einem Beruf und vom Klima im möglichen Lehrbetrieb. Sie ist so etwas wie der ultimative Realitätscheck für junge Lehrstellensuchende. - Schritt 5: Mögliche Berufe und Ausbildungen überprüfen und eine Entscheidung fällen
- Schritt 6: Eine Lehrstelle suchen oder sich bei einer Schule anmelden
Nach der Wahl des passenden Berufs folgt die Suche nach dem geeigneten Lehrbetrieb. Gross oder klein, familiär oder formell, hierarchisch oder kollegial? Je mehr verschiedene Formen man durch Schnuppern kennenlernt, desto besser weiss man, was einem zusagt. - Schritt 7: Sich auf die Lehre oder Schule vorbereiten oder Brückenangebote abklären
Das zehnte Schuljahr gilt als Notlösung für die, die keine Lehrstelle gefunden haben. In Wahrheit ist es ein sinnvolles Bildungsangebot, um schulische und andere Lücken zu schliessen oder in der Berufswahl zu einer Entscheidung zu gelangen. Weitere Brückenangebote helfen, wertvolle Kenntnisse zu gewinnen und Weichen zu stellen.
Das sagen die Jugendlichen:
- «Ich mache jeden Tag etwas Neues»
Pedro Lopes, 19 aus Luterbach SO, ist Sanitärinstallateur im dritten Lehrjahr. Für seine berufliche Zukunft hat er sehr konkrete Vorstellungen. - «Es gibt noch viel zu lernen»
Marc Roth, 17, aus Oberhelfenschwil SG, will Hufschmied werden und später einen eigenen Betrieb führen. - «Meine Eltern sind sehr stolz auf mich»
Farzana Ahmadi, 26, aus Umiken AG, ist Assistentin Gesundheit und Soziales EBA. Sie vermisst ihre Heimat Iran und sagt, die Menschen im Pflegeheim hälfen ihr, sich weniger allein zu fühlen. - «Ich durfte nur einmal messen und musste mich sehr konzentrieren»
Anouk Zaugg, 16, aus Brugg AG, absolvierte eine Schnupperlehre als Hochbauzeichnerin. Und ist glücklich, nach dem positiven Bescheid die Lehre in ihrem Wunschberuf machen zu dürfen. - «Grosse Gegenstände zerlegen, das gefällt mir»
Bianca Jöhr, 16, aus Worb BE, arbeitet als Recyclistin EFZ im ersten Lehrjahr. Dabei wollte sie zuerst Coiffeuse werden. - «Ich hatte eine schwierige Zeit, nicht nur, weil ich keine Lehrstelle fand»
Colin Spilek, 16, aus Nufenen GR, ist Berufswahlschüler und fühlt sich pudelwohl. Die Suche nach einer Lehrstelle fiel mit seinem Coming-out als Transgender zusammen – keine einfache Zeit.

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