«Jugendliche wollen mit ihren Anliegen ernst genommen werden» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Jugendliche wollen mit ihren Anliegen ernst genommen werden»

Lesedauer: 4 Minuten

Schritt 5: Überprüfung und Entscheidung

Berufsberaterin Chantal Kronenberg begleitet Jugendliche Schritt für Schritt zur Berufs-und Ausbildungswahl. Dabei setzt sie auf Offenheit und Wertschätzung.

Interview: Susanna Valentin
Bild: Gabi Vogt

Frau Kronenberg, Jugendliche stehen nach dem 9. Schuljahr vor der Wahl zwischen Mittelschule, dem 10. Schuljahr und rund 230 Berufsmöglichkeiten. Wo setzen Sie in der Beratung an?

Wichtig ist es zuerst einmal, dass sich Jugendliche bei mir wohl fühlen. Dann geht es um die Frage: Wo steht die Person? Im Grunde ist es ein Kennenlernen der Persönlichkeit und des Umfeldes, in dem sich jemand bewegt. Damit wird ein erster Rahmen geschaffen.

Wie gelingt es Ihnen, Schulabgänger und Schulabgängerinnen für diesen Prozess zu begeistern?

Zentral ist die Haltung, die mitschwingt. Jugendliche wollen mit ihren Anliegen ernst genommen werden. Ziel ist es, sie in ihrer Selbstwirksamkeit zu stärken, damit sie am Ende ihre Berufswahl treffen können. Die Beratung basiert auf Freiwilligkeit, was der Motivation sicher zuträglich ist. Dies setzt im Gegenzug voraus, dass Jugendliche selbst aktiv werden. 

Chantal Kronenberg absolvierte nach ihrem Psychologiestudium den MAS in Berufsberatung an den Universitäten Bern, Fribourg und Zürich. Seit 2015 arbeitet die zweifache Mutter als Berufs- und Laufbahnberaterin im BIZ in Bern, wo sie mit ihrer Familie lebt. (Foto: Beat Mathys / Tamedia AG)

Hapert es manchmal mit der Aktivität? 

Natürlich gibt es Einzelfälle von Jugendlichen, die eine stärkere Begleitung benötigen und nicht sehr motiviert sind. Erfahrungsgemäss sind dies Lehrstellensuchende, die schlechte Erfahrungen im Bildungswesen gemacht haben oder schwierige Voraussetzungen wie ein insta­biles Umfeld mitbringen. Diesen Umständen gilt es Rechnung zu tragen, indem Ressourcen für die Unterstützung und Begleitung bereitgestellt werden.

Ziel meiner Beratung ist es, Jugendliche in ihrer Selbstwirksamkeit zu stärken.

Inwiefern sind diese dann notwendig? 

Es braucht eine engere Begleitung, damit der Einstieg ins Berufsleben nicht verpasst wird. Ich rufe zum Beispiel an, wenn jemand nicht zum Termin erscheint. 

Mit erhobenem Zeigefinger? 

Nein, mit viel Offenheit. Wir finden heraus, warum der Termin nicht eingehalten wurde. Schlüsse daraus muss jede und jeder für sich selbst ziehen, damit in der weiteren Laufbahn zum Beispiel Termine pünktlich wahrgenommen werden. Das sind Übungsfelder für sogenannte Schlüssel- und Lebens­kompetenzen. 

Arbeitet gerne mit Holz und liebt die Vielseitigkeit des Materials: Schreinerin Laura Leimgruber. Lesen Sie ihre Erzählung «Ich mag es, auf den Zehntelmillimeter genau zu arbeiten».

Dann steigt auch die Motivation wieder? 

Unbedingt. Auch Erwachsene können sich eher auf Lernpro­zesse einlassen, wenn ihnen Wohlwollen entgegengebracht wird. Wichtig ist, dass Veränderung möglich ist, manchmal braucht es einfach ein bisschen Zeit. Im Grunde ist es allen Jugendlichen wichtig, einen Platz in unserer Gesellschaft zu finden. In der Regel sind 14- und 15-Jährige sehr motiviert, diesen Platz aktiv zu suchen.

14 oder 15 Jahre alt zu sein und einen so wichtigen Entscheid fällen zu müssen: Passt das überhaupt zusammen?

Das ist sehr individuell und hängt stark von der Persönlichkeit und den gemachten Erfahrungen ab. Die einen sind eher gefordert oder gar überfordert, sich durch den Berufswahldschungel zu schlagen, für andere passt der Moment genau. Und wieder andere scharren schon ­lange mit den Hufen, weil sie darauf warten, die Schulbank gegen eine praktische Tätigkeit auszutauschen. 

Diese Bandbreite setzt viel Flexibilität von Ihnen als Beraterin voraus. 

Das macht mein eigenes Berufsfeld aber auch so interessant. Allen, die vor der Berufswahl stehen, ist gemeinsam, dass sie einen Entscheid für die nächsten drei bis vier Jahre fällen. Unser Bildungssystem ist sehr durchlässig, dementsprechend führen viele Wege nach Rom. Diese Erkenntnis nimmt viel Druck aus dem Entscheidungsprozess.

Das heisst, der Erstberuf muss nicht die absolute Berufung sein? 

Genau. Allerdings ist es wichtig, dass es eine Tätigkeit ist, für die jemand gern aufsteht, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten gewinnt und positive Erfahrungen macht. Ist dies erfüllt, ergeben sich automatisch weitere Schritte oder Weiterbildungsmöglichkeiten. 

Der Berufseinstieg geht also mit der Persönlichkeitsentwicklung Hand in Hand. 

Nicht nur das, so wird auch die eigene Rolle in der Gesellschaft gefunden. Das Gefühl, gebraucht zu werden, ist für das eigene Wohlbefinden ausschlaggebend. Ausserdem ist es für die weitere Laufbahn immer von Vorteil, sich selbst besser zu kennen und einschätzen zu können.  

Das Gefühl, gebraucht zu werden, ist für das Wohlbefinden eines Jugendlichen entscheidend.

Werden dazu in der Beratung auch spezielle Methoden angewandt?

Natürlich gibt es Fragebögen oder Potenzialtests, die beigezogen werden können. Diese werden situationsbedingt angewandt. Das ist sehr abhängig davon, wo jemand steht. Entscheidend bleibt aber das Beratungsgespräch. Es hilft, mehr über sich selbst herauszufindet und sich passenden Berufen zu nähern. 

Wann entlassen Sie Jugendliche mit gutem Gefühl ins Berufsleben?

Dann, wenn sie neugierig in einen neuen Lebensabschnitt weitergehen und wissen, wo sie Unterstützung abholen können, sollte dies einmal notwendig sein.

In sieben Schritten den eigenen Weg finden

Die Wahl der passenden Ausbildung nach der Sekundarschule lässt sich in sieben aufeinanderfolgende Aufgaben einteilen:

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Susanna Valentin
schätzt das durchlässige Schweizer Bildungssystem und hat es gleich selbst genutzt. Vor vier Jahren liess sich die diplomierte Heil- und Sozialpädagogin zur Fachjournalistin ausbilden.

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