Ausmisten mit Kindern: Die 9 wichtigsten Erkenntnisse
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Ausmisten mit Kindern: Die 9 wichtigsten Erkenntnisse

Lesedauer: 5 Minuten

Federn, Papierchen, Plastikdinos: Viele Kinder sammeln gern und sortieren nur ungern etwas aus. Ein Erziehungswissenschaftler und eine Aufräumexpertin erklären, wie sich das Chaos beherrschen lässt.

Text: Frauke Suhr
Bild: Kyla Ewert

Als ich anfing, diesen Artikel zu schreiben, beschloss ich, keine Ausrede mehr gelten zu lassen und endlich das Kinderzimmer auszumisten. Gerade noch rechtzeitig vor Weihnachten, bevor wieder viele neue Dinge einziehen würden. Ich stellte also die Musik auf meinem Handy auf laut und arbeitete mich motiviert wie Marie Kondo durch die Regale, während meine Kinder im Kindergarten waren. Warf alles, was kaputt war oder längst nicht mehr bespielt wurde, in mein Arbeitszimmer.

Dort lag der Stapel ein paar Tage und starrte mich beim Schreiben vorwurfsvoll an. Bis mein fünfjähriger Sohn ihn sah, jubelnd längst Vergessenes wiederentdeckte – und alles zurück in sein Zimmer trug.

Sammlungen im Primarschulalter können skurril sein: Servietten, abgebrochene Buntstiftspitzen oder sogar Tierknochen.

Meine Kinder sind Sammler. Und wie zwei kleine Eichhörnchen geben sie ihre Schätze nur ungern wieder her. Wenn ich wirklich aussortieren will, muss ich schnell und heimlich vorgehen wie ein Ninja. Sonst diskutieren sie um jedes Plastikfigürchen. Warum sammeln Kinder eigentlich so viel? Und müssen Eltern wirklich jedes selbst gemalte Bild und jeden Tannenzapfen aufbewahren? Ich habe bei einem Erziehungswissenschaftler und einer Aufräumexpertin nachgefragt.

1. Warum sammeln Kinder so gern?

Etwa im Alter von anderthalb Jahren fangen die meisten Kinder an, eigene Besitztümer anzuhäufen und zu sagen: «Das ist meins.» Hinter dem Sammeln und Aufbewahren stecke oft ihr Wunsch, sich mit schönen Dingen zu umgeben, sagt Ludwig Duncker. Der emeritierte Professor für Erziehungswissenschaften und Autor des Buches «Wenn Kinder sammeln: Begegnungen in der Welt der Dinge» hat das Sammelverhalten von Kindern erforscht. Bereits Babys interessieren sich für Gegenstände, erkunden sie mit den Händen oder stecken sie aus Neugier in den Mund.

«Es ist ein entdeckendes Lernen, ein ästhetisches Interesse an den Dingen», sagt Duncker. Auch der Drang von Kindern, die Welt mit allen Sinnen zu erkunden, spielt beim Sammeln eine Rolle. Wenn sie beim Waldspaziergang nicht nur geradeaus laufen, sondern auf dem Weg Steine und Kiefernzapfen aufheben, dann nehmen sie ihre Umwelt intensiv wahr.

Der ramponierte Teddy ist für ein Kind viel wichtiger als das neue, perfekte Spielzeug.

Ludwig Duncker, Erziehungswissenschaftler

Im Primarschulalter legen einige Kinder gezielt Sammlungen zu einem Thema an. Das kann auch mal skurril sein, so Duncker: Servietten, abgebrochene Buntstiftspitzen oder sogar Tierknochen. Die Sammlung wird zum Ausdruck ihrer Persönlichkeit, bietet Anlass für Gespräche und macht sie für andere Kinder interessant. Indem sie sich mit einer Sache beschäftigen, erwerben Kinder Wissen darüber. Sie fühlen sich als Experten auf ihrem Gebiet.

2. Warum sehen Kinder in allem einen Schatz?

Anders als Erwachsene hätten Kinder noch kein Verständnis vom ökonomischen Wert eines Gegenstands, sagt der Erziehungswissenschaftler Duncker. Sie messen Dingen ihren eigenen Wert bei: «Der ramponierte Teddy ist für ein Kind viel wichtiger als das neue, perfekte Spielzeug.»

Erwachsene könnten dadurch lernen, wie es ist, die Welt durch Kinderaugen zu betrachten und den Zauber der kleinen Dinge zu sehen. Kinder und Erwachsene begegneten sich auf Augenhöhe, sagt Duncker, wenn diese ihren Eltern die Sammlungen erklären. «Die Kinder dürfen sich dann auch einmal als die Überlegenen fühlen.»

Erst ab dem Primarschulalter fangen Kinder an, Dinge wie Fussball-Sammelkarten mit ihren Freunden zu tauschen oder ihr altes Spielzeug auf dem Flohmarkt zu verkaufen. Und beginnen dann langsam auch, den ökonomischen Wert von Dingen zu begreifen.

3. Warum mögen Kinder sich nicht von ihren Schätzen trennen?

Muscheln rufen Assoziationen an Strandferien hervor, die Porzellankatze war ein Geschenk des verstorbenen Grossmamis. «Für Kinder sind ihre Sammlungen wie ein Text ohne Buchstaben, den nur sie lesen können», sagt Duncker. Eine Art kulturelles Gedächtnis, um sich an schöne Erlebnisse von früher zu erinnern. Kein Wunder, dass es Kindern dann schwerfällt, sich von ihren Dingen zu trennen.

Ausmisten ist wie Zähneputzen: Man muss es regelmässig üben.

Denise Colquhoun, Aufräumexpertin

Doch nicht jeder kaputte Plastikdino im Kinderzimmer hat eine solch tiefe Bedeutung. Manchmal möchten Kinder bloss nicht, dass Eltern über sie bestimmen. Mit dem Satz «Das ist meins» ziehen Kinder Grenzen, er ist Ausdruck ihrer Autonomie. Und die sollten Eltern respektieren.

4. Dürfen Eltern das Kinderzimmer heimlich ausmisten?

So schön die Erinnerungsstücke für Kinder auch sind: Spätestens wenn Regale und Schubladen überquellen, möchten die meisten Eltern das Kinderzimmer entrümpeln. Doch auch wenn die Verlockung gross sein mag, heimlich sollte man das nicht machen.

«Bei Kindern unter drei Jahren darf man die Steckensammlung vom letzten Waldspaziergang zur Not auch mal ohne Absprache auflösen», sagt Denise Colquhoun. Die Aufräumexpertin hilft Familien beim Ausmisten und bloggt seit zwölf Jahren als «Fräulein Ordnung».

Tipp: Aussortieren als Spiel gestalten und zum Beispiel die Zeit messen, bis alles fertig ist. (Bild: Adobe Stock)

Doch spätestens ab dem Kindergartenalter sollten Eltern ihre Kinder beim Aussortieren miteinbeziehen. Erst recht, wenn es um persönliche Dinge geht. Schliesslich würden wir Erwachsene es auch nicht toll finden, wenn jemand hinter unserem Rücken das Wohnzimmer ausräumt.

Mit drei Jahren seien die meisten Kinder in der Lage, Kisten einzuräumen und Dinge auszusortieren, sagt Denise Colquhoun. Wichtig sei, dass Kinder das Ausmisten regelmässig üben, damit es selbstverständlich wird – «wie Zähneputzen». Eltern könnten ihren Kindern etwa eine Flohmarktkiste bereitstellen, so Colquhoun, damit sie regelmässig alte Spielsachen entsorgen. Und bei kaputten Dingen fragen: «Kann das weg?»

5. Wie oft sollte man Kinderspielzeug aussortieren?

Damit sich gar nicht erst so viele Dinge anhäufen, sortiert man am besten regelmässig aus. Aufräum­expertin Colquhoun rät zu einmal im Monat, damit Kinder das Ausmisten als gewohntes Ritual verinnerlichen und lernen, sich selbst zu fragen: Was brauche ich wirklich?

Bei Kindern im Primarschulalter könnten Eltern als Anreiz vorschlagen, das alte Spielzeug auf dem Flohmarkt zu verkaufen, um Geld für Neues zu haben. Oder gemeinsam an Kinder in Not spenden.

Im Kinderzimmer hat idealerweise jede Sache ihren festen Platz.

Denise Colquhoun, Aufräumexpertin

Im Kindergartenalter verstehen manche Kinder noch nicht, dass ihre aussortierten Dinge wirklich weg sind. Dann kann man ihnen eine Bedenkzeit einräumen und die alten Spielsachen, falls möglich, erst einmal im Keller zwischenlagern, bis die Kinder in der Lage sind, die Entscheidung selbst zu treffen.

6. Wohin mit selbst gemalten Bildern?

Ob im Kindergarten oder zu Hause – viele Kinder malen gern. Denise Colquhoun rät Eltern, einen Ordner anzulegen. Die schönsten Bilder werden nach Absprache mit den Kindern abgeheftet. Alle übrigen wandern in den Güsel. Eltern dürften ruhig erklären, dass man nicht alles aufbewahren kann. Das könnten schon kleine Kinder verstehen.

Zwischendurch kann man den Ordner immer mal durchblättern. Und gemeinsam schauen: «Welche Bilder dürfen raus? Welche neuen kommen rein?» Der Ordner sollte für die Kinder stets erreichbar sein, zum Beispiel im Wohnzimmerregal. So können sie sich immer wieder an ihren Kunstwerken erfreuen.

7. Wie kann man Kinder zum Ausmisten motivieren?

Bei Kleinteilen, die oft im Kinderzimmer herumliegen, könne man das Aussortieren gut als Spiel gestalten, sagt die Aufräumexpertin: Eltern packen alles in einen Schuhkarton  und stellen eine Eieruhr daneben. Auf «Los» wird der Karton auf den Fussboden ausgekippt. Die Kinder haben eine Minute Zeit, zu entscheiden, welche Teile sie behalten möchten. Was dann noch übrigbleibt, kommt in den Abfall oder wird verschenkt. «Die Kinder fühlen sich herausgefordert und haben grossen Spass.»

8. Wie kommt Ordnung ins Kinderzimmer?

Lego, Puppen, Holzeisenbahn: «Im Kinderzimmer hat idealerweise jede Sache ihren festen Platz», sagt Denise Colquhoun. Am besten in Kisten, die mit Bildern gekennzeichnet sind. Dann können schon Kindergartenkinder erkennen, wofür die Kisten da sind – und was reingehört.

Wenn man es schafft, dass Ausmisten Kind und ­Eltern Spass macht, dann klappt es gut.

Denise Colquhoun, Aufräumexpertin

Für kleine Dinge können Eltern ihren Kindern eine Extra-Schatzkiste geben. Der Trick: Ist die Kiste voll, müssen die Kinder aussortieren, um wieder Platz für Neues zu schaffen. Und auch für spezielle Sammlungen können Eltern Kindern je nach Möglichkeit eine Box oder ein Brett im Regal einräumen. Erlaubt ist so viel, wie dort Platz findet.

9. Was ist mit dem eigenen Chaos?

Auch beim Thema Ordnung gilt: Eltern sind Vorbilder. Wer selbst jeden kaputten Kugelschreiber aufbewahrt, kann seinen Kindern schwer vermitteln, wie wichtig Aussortieren ist. Stress sollte das Ausmisten aber nicht verursachen. «Es muss zu Hause nicht wie im Möbelhaus aussehen», sagt Expertin Col­­qu­houn. Eine immer cleane, minimalistische Wohnung sei mit kleinen Kindern gar nicht möglich – und auch nicht das Ziel. Es gehe vielmehr darum, dass jedes Teil einen Platz hat.

«Ausmisten sollte Spass machen – Eltern und Kindern», sagt Denise Colquhoun. «Wenn man es schafft, dieses Gefühl zu vermitteln, dann klappt es gut.»

Frauke Suhr

Frauke Suhr
ist Journalistin und lebt in Norddeutschland. Sie ist Mutter von zwei Kindern und schreibt für den «Spiegel» und «Zeit Online» über gesellschaftliche Themen.

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