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«Das Glück reist mit:» Pubertät in Portugal

Lesedauer: 5 Minuten

Im sechsten Teil unserer grossen Reise-Serie besuchen die Töchter eine neue Schule und verschiedene Teenie-Themen sorgen in der Familie für frischen Wind.

Text & Bilder: Debora Silfverberg

Wir Eltern schauen uns gegenseitig an und sagen: «Jetzt würden wir eigentlich weiterreisen, oder?» Der Wetterbericht kündigt zwei Wochen Regen und Sturm an. 300 Kilometer weiter südlich scheint die Sonne. 

Wir wohnen noch immer in unserem Wohnwagen «Dicker». Der hat inzwischen einen Anbau erhalten. Den Launen der Natur können wir nicht mehr so schnell davonfahren, also musste ein zusätzliches Dach her. Ein schrecklich biederes Vorzelt, das wunderbaren Schutz bietet, wenn der Regen waagrecht über den Platz rauscht und der Wind kräftig pustet. 

Sesshaft mit Fluchtoption

Weil die Region Lissabon bei digitalen Nomaden und anderen gutverdienenden Ausländern so beliebt ist, sind Mietpreise für Wohnungen in absurde Höhen gestiegen, selbst für Schweizer Verhältnisse. Eine Immobilie kauft man auch nicht von heute auf morgen. 

Unser Campingplatz ist günstig und liegt direkt am Atlantik mit Meerblick. Zum Surfen brauchen die Mädchen bloss ihre Bretter unter den Arm zu nehmen. 

Durch das Leben im Caravan bleibt ein bisschen Reiseidentität erhalten.

Bis jetzt können sich alle sehr gut arrangieren damit. Nur die Campingwaschmaschine lässt grüssen. Auf die Frage an die Kinder, wie lange sie es noch im Wohnwagen aushalten, kommt ein entspanntes «ach, noch lange!» zurück. «Dicker» ist schliesslich unser Zuhause.

Durch das Leben im Caravan bleibt uns ausserdem ein bisschen von unserer Reiseidentität erhalten. Wir haben das Gefühl, jederzeit wieder ankoppeln und weiterfahren zu können, auch wenn die Heringe jetzt ein bisschen tiefer im Boden verankert sind. 

Das Abendlicht an der Atlantikküste verzaubert das neue Zuhause noch mehr.

Eine Schule, wie für uns gemacht 

Dass eine Schule unser erster Anker wird, kam als Überraschung. Die Jüngste sah keinen Grund, warum sie jemals wieder eine Bildungsinstitution betreten sollte. Zu schön waren das selbstbestimmte Lernen und die unendliche Flexibilität der Wohnwagenschule.

Auch konnte sie sich nicht vorstellen, getrennt von ihrer Schwester zu sein. Die beiden sind über die letzten zwei Jahre zu engsten Verbündeten geworden. Ausserdem witzelten wir immer, dass wir eine Schule auf einer Klippe finden müssten, um endlos frische Luft für unsere Asthma gefährdete Tochter zu haben.

Es gibt sie tatsächlich, die Schule direkt am Meer, wo beide gemeinsam hingehen können. Das Schulmodell wurde gegründet, um Jugendlichen mehr Freiheit und Selbstverantwortung zu geben. Sie können individuell an ihrem Lernprogramm arbeiten und ihren Stundenplan selber gestalten. Drei Monate Ferien sind frei wählbar. Der Übergang zurück ins institutionelle Lernen hätte nicht sanfter sein können. 

Die Traumschule mit individuellem Lernprogramm liegt direkt am Meer.

Hitzige Debatten unter den Jugendlichen

Gearbeitet wird mit dem Britischen Lehrplan auf Englisch. Jugendliche aus der ganzen Welt machen den Lernort zu einem spannenden Begegnungsraum. Es hat auch andere Geschwister, was der Schulgemeinschaft ein familiäres Gefühl gibt.

Die Spannbreite an kulturellen Hintergründen reicht von der erzkatholisch erzogenen Portugiesin, die Homosexualität als Sünde sieht, bis «they», non-binär aus Austin, Texas. So werden die Debatten unter den Jugendlichen auch mal hitzig. Grundsätzlich ist aber die Stimmung eine von gegenseitigem Respekt und Freude an der kulturellen Vielfalt.

Von Null geht es auf 500 Nachrichten. Ist jetzt der Moment gekommen, in dem beide Töchter ihr eigenes Handy brauchen? 

Es ist einfach, sich in einem internationalen Kontext wohl zu fühlen, in dem viele versuchen, sich an einem fremden Ort zurechtzufinden.

Unser Leben in Portugal hat viele Vorzüge: frische Fische, Früchte und Gemüse, eine traumhafte Küstenlandschaft und freundliche, zuvorkommende Landsleute. 

Teil der lokalen Gemeinschaft zu werden, wird aber etwas Zeit in Anspruch nehmen. Es gibt einige Besonderheiten, die nicht ohne Bemühungen zu verstehen sind. Dazu gehören, unter anderen, die wunderschöne portugiesische Sprache, das lokale Amtswesen und Bacalhau (getrockneter, eingesalzener Kabeljau).

Die deutsch-schweizerische Pünktlichkeit ist uns auf der Reise nicht komplett abhanden gekommen. Früher beschwerten sich die Kinder oft darüber, dass wir bei Treffen immer als letzte ankommen. Heute sind wir mit fünf Minuten Verspätung meistens überpünktlich und warten noch zwanzig Minuten auf alle anderen. Zeitliche Vereinbarungen scheinen eher eine unverbindliche Empfehlung zu sein.

Wenn Eltern rote Ohren kriegen

Es gibt noch eine andere Art von Kulturschock, die uns wesentlich mehr beschäftigt. Unsere Reise begann mit zwei Kindern im Schlepptau. Der Kontakt mit Jugendkultur hielt sich während der ganzen Reisezeit in Grenzen. 

Aus dieser, noch etwas unschuldigen und teilweise verspielten Welt, treffen wir auf eine bunte Gruppe von Jugendlichen mit einer Alterspanne von 12 bis 18 Jahren. 

Wir üben uns in Gelassenheit. Das Vertrauen, uns alles erzählen zu können, wollen wir nicht mit Überreaktion untergraben.

Bei der Kleidung spielen nach zwei Jahren Camping auf einmal wieder andere Aspekte eine Rolle als bequem und praktisch. Um sich in der Gruppe gut integriert zu fühlen, werden Deospray und WhatsApp plötzlich unentbehrlich.

Von Null geht es auf 500 Nachrichten. Das Wohnwagen-Natel glüht. Ist jetzt der Moment gekommen, in dem beide ihr eigenes Handy brauchen? 

Wir hören von heimlichen TikTok- und Instagram-Accounts, von denen andere Eltern nichts wissen, und der Slang auf gewissen Chats gibt uns rote Ohren. Die Geschichten kommen noch ganz ungefiltert nach Hause. Wir üben uns in Gelassenheit. Das Vertrauen, uns alles erzählen zu können, wollen wir nicht mit Überreaktion untergraben.

Es gilt zu überlegen, ob die Zwölfjährige zusammen mit der Vierzehnjährigen bei der Sechzehnjährigen übernachten darf. Die Mutter sei auch weg, meint die Sechzehnjährige beruhigend.

Erst einmal bleibt es beim «Sleep Over» bei einer Familie, in der es keine unbekannten Faktoren gibt. Das kontinuierliche Verhandeln von guten Abmachungen hat offiziell begonnen.

Wie wäre es, wenn…?

«Seid ihr einsam ohne uns»? Fragt die Grosse, als sie eines Nachmittags zurückkommt. «Natürlich….», sagen wir «…nicht!». 

Wir finden uns sehr gut zurecht und freuen uns über das positive soziale Netzwerk, das am Entstehen ist. Es war für die Mädchen genau der richtige Moment, wieder in ein geselligeres Leben einzutauchen. 

Autorin Debora Silfverberg und Hündin Maila kommen auch ohne Teenies gut klar.

Mit ihrer Internationalität hat uns die Schule aber auch neue Flöhe ins Ohr gesetzt. Neue Lernorte sind am Entstehen auf der ganzen Welt. 

Ist es absolut schamlos, von weiteren Reisen zu träumen, jetzt wo Corona uns nicht mehr zurückhält? Alle Augen leuchten: Was haltet ihr von Tokio, Vancouver Island oder Yellow Stone National Park? Ein beschämter Blick fällt auf Hündin Maila… oder vielleicht auch erst einmal der Wild Atlantic Way in Irland. Dicker wäre bereit.

Die Reiseroute auf einen Blick:

Coronajahr 2020: Grosseltern in den Cevennen – Französische Atlantikküste – Oma und Opa in Nordfriesland – Lockdown und Weihnachten Cevennen.
 
Coronajahr 2021: Lockdown Cevennen – Mittelmeerküste Spanien – Andalusien – Atlantikküste Portugal –Nordspanien– Cevennen – Schweiz – Cevennen –Italien – Sardinien – Cevennen – Weihnachten in Nordfriesland.
 
Seit Februar 2022: Zweite Runde über die Iberische Halbinsel – Die Familie findet ihr neues Zuhause in Portugal.
 

Erfahren Sie in Teil 7, wie die Familie in Frankreich ein neues Zuhause findet und eine unerwartete Nachricht alles auf den Kopf stellt. Dieser erscheint Ende Februar.

Debora Silfverberg
hat viele Jahre als Fach- und Leitungsperson in der Familien- und Sozialpsychiatrie gearbeitet. Seit 2020 ist sie mit ihrem Mann und den beiden Töchtern in verschiedenen Ländern Europas unterwegs und schreibt als freie Journalistin und Autorin über gesellschaftliche Themen.

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