«Das Glück reist mit»: Ein harter Winter geht vorbei
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«Das Glück reist mit»: Ein harter Winter geht vorbei

Lesedauer: 5 Minuten

Die Widrigkeiten hören nicht auf. Im achten Beitrag unserer Reiseserie zeigt sich Portugal von verschiedenen Seiten, die Familie findet eine Zwischenlösung und träumt von weiteren Reisen.

Text + Bilder: Debora Silfverberg

Wir müssen unseren Stellplatz in Portugal sofort verlassen. Der Campingplatz wird dauerhaft geschlossen. Diese Nachricht trifft uns völlig unerwartet, während wir in Frankreich unser zweites Zuhause einrichten. Von der Camping-Rezeption hatten wir im November grünes Licht erhalten, unseren Wohnwagen über die Weihnachtszeit bis ins neue Jahr stehen zu lassen. Wir benachrichtigen sie, dass wir etwas Zeit bräuchten, um zurückzureisen. 

«Jetzt haben wir eine neue Herausforderung», meint unsere Grosse. Sowieso nehmen unsere beiden Töchter das Ganze erstaunlich gelassen.

Was passiert mit dem alten Johann?

Am meisten Sorgen machen uns die Menschen, die sich auf dem Campingplatz ein permanentes Leben eingerichtet haben. Es gibt ein kleines Zelt-Dorf mit eingepackten Wohnwagen und 80 stationäre Mobile Homes. Einige davon wurden von portugiesischen Senioren, aber auch von Zuzügern mit kleineren finanziellen Mitteln als Dauerbleibe genutzt. Nun werden die Verträge nicht verlängert und sie haben nur wenige Wochen Zeit, um ihren Platz zu räumen.

Der Hund des alten Johann bei seinem täglichen Spaziergang ganz ohne sein Herrchen.

Diese Gemeinschaft ist über Jahrzehnte gewachsen. Die Menschen einfach rauszuschmeissen, empfinden wir als grob und unfair. Was macht jetzt der 86-jährige Johann mit seinen zwei Hunden, die sich jeden Tag selbst einmal rund um den Platz spazieren führen? Wohin geht João, der uns zum Fischen mitgenommen und für uns Kuchen gebacken hat?

Die Stimmung auf dem Camping ist düster. Die Mieter sind traurig, viele auch wütend.

Über Oma und Opa aus Deutschland haben wir für ihn Eichhörnchen-Futter organisiert. Diese Tiere sind in Portugal eigentlich nicht heimisch, aber João hat welche in den Pinien entdeckt. Das Futter packen wir nun gar nicht erst ein. Anstatt mit Freude beginnt die Rückreise nach Portugal mit einem mulmigen Gefühl im Bauch.

Dicker wartet brav auf uns

Nach der langen Fahrt kommen wir endlich an. Unsere Heringe haben den Winterstürmen standgehalten, der Wohnwagen Dicker wartet brav auf uns. Nur ein anderes einsames Wohnmobil steht noch da.

Die meisten Mieter haben den Campingplatz bereits verlassen.

Zum Glück zeigen sich die Campingplatzmanager kulant. Wir verhandeln eine Gnadenfrist von drei Wochen, um uns neu orientieren zu können. Die Mädchen knüpfen erst einmal dort an, wo sie aufgehört haben. Sie freuen sich auf ihre Freunde. Diese legen sich ins Zeug, eine neue Bleibe für uns zu suchen. 

Wohin mit all den Pflanzen?

Die Stimmung auf dem Campingplatz ist düster. Die Mieter, die gekommen sind, um ihre Sachen abzuholen, sind traurig, viele auch wütend. Das Zeltdorf beginnt sich aufzulösen. Abfallhaufen stapeln sich. Leute nehmen das Wichtigste mit, doch viele Pflanzen landen auf dem Müll.

Familie Silfverberg hat leider nicht genug Platz für die vielen verlassenen Pflanzen.

Die Tochter mit ihrem Herz für alles, das wächst, und ihrem Reisegarten startet eine Rettungsaktion. Hinterlassene Gewächse werden eingesammelt und zum Lernort gebracht. Wir können sie leider nicht bei uns aufnehmen.

Auf der Suche nach einem neuen Stellplatz

Wir suchen nach einem Ort, an dem unser Wohnwagen stehen kann. Ein Wohnmobil wäre jetzt praktischer, damit könnten wir zumindest teilweise autark leben. Ohne Wasser, Elektrizität und Toilette sind wir ziemlich schnell aufgeschmissen. 

Ein liebenswürdiger älterer Portugiese zeigt uns ein Stück Land, das wir benutzen könnten. Ziegen springen herum, wie süss. Ein Hund begrüsst uns freundlich. Er ist sehr mager und ein grosses Geschwür lässt seinen Bauch bis an den Boden hängen. Es hat auch Jagdhunde – sie sind in einem kleinen Gehege untergebracht und ihr Futter mischt sich mit dem Kot, der nicht aufgesammelt wird. Der Geruch ist penetrant. 

Nebenan in einer Garage, zwischen Gerümpel, hängt ein Wildschwein, das gerade zerlegt wird. «Wollt ihr ein bisschen Fleisch mitnehmen?» Unsere Freunde übersetzen, unser Portugiesisch reicht hier nicht aus. Ich will gleichzeitig lachen und weinen. Die aufrichtige Hilfsbereitschaft und die Freundlichkeit des Mannes kollidieren gerade mit meinem Gefühl von Ekel und dem Wunsch nach einem sicheren Ort zum Wohlfühlen.

Wir finden eine Zwischenlösung

Eine andere Freundin bringt uns zu einer «Quinta», einem alten Gutshof, der mittlerweile für Veranstaltungen genutzt wird. Hier werden auch Ferienwohnungen vermietet. Vielleicht könnten wir hier den Wohnwagen bei uns haben? Nein, alles ist besetzt. Oder, vielleicht doch?

Nachdem sich die Besitzer überzeugen konnten, dass wir dem Teufel nicht vom Karren gefallen sind, bieten sie uns an, unseren Wohnwagen im Hinterhof für zwei bis drei Monate einzurichten, bis die Saison beginnt. 

Wir geniessen noch die letzten Tage mit freiem Meeresblick, bevor wir den geliebten Campingplatz endgültig verlassen.

Wo bleibt unser Glück?

Dann werden alle so richtig krank. Das heisst, alle ausser dem Kind, das früher fast jeden Februar einmal im Spital war, wenn Erkältungskrankheiten und Frühblüher ihre Bronchien in die Überforderung trieben. Das Mädchen hat nicht einmal eine laufende Nase.

Nach dem Abstandhalten wegen Covid hätten alle das Immunsystem von einem Kleinkind in der Kita, meint die Ärztin, als auch das dritte Familienmitglied eine antibiotische Behandlung braucht. Wir waren auf Reise zweieinhalb Jahre lang alle gesund gewesen. Schliesslich kommt noch ein kranker Hund dazu. Unsere Maila ist klein. Das Düngemittel, das sie in der Scheune gefressen hat, beeinflusst zwar ihre Grösse nicht, ihre Verdauung aber sehr. Wo hat sich denn gerade unser Glück versteckt? 

Auch Maila, der Familienhund, wird krank.

«Jetzt hätte ich gerne ein Zuhause!», sagt das sich elend fühlende Kind. Es graut ihr davor, über den ganzen Hof zum Badezimmer zu gehen. Vielleicht sollten wir doch eine feste Behausung mieten? 

Viele Gebäude hier haben keine Heizung. Nachts sind die Temperaturen im Februar meist einstellig. Freunde, die ungeheuerliche Preise für ihre Mietwohnung bezahlen, gehen jeweils mit ihren Winterjacken ins Bett. Keine Wäsche trocknet, alles ist feucht. Da fühlen wir uns in Dicker mit Fusswärme und Heizung doch ganz gut aufgehoben.

Die Sehnsucht anzukoppeln

Der Versuch, hier ansässig zu werden, wirft Fragen auf. Wir fühlten uns wohl auf dem Campingplatz mit der Gemeinschaft, der Nähe zum Meer, zum Lernort und dem Dorfzentrum. Es sollte jedoch nur ein Zwischenschritt zu einer permanenten Lösung sein. 

Wir träumen von Kirschen in der spanischen Extremadura und der wilden Schönheit Asturiens und Kantabriens.

Unsere Hoffnung auf ein festes Zuhause in Portugal lag in einem spannenden Bauprojekt mit Tiny Houses, welche diesen Sommer hätten bezugsbereit sein sollen. Nun haben diese noch nicht einmal die letzte Bewilligung der lokalen Behörden erhalten. Keiner weiss, wie lange es noch dauern wird. Der Faden, an dem unsere Zukunft hier hängt, ist dünn geworden.

Unsere Sehnsucht, wieder anzukoppeln, wird dagegen immer grösser. Wir träumen von Kirschen in der spanischen Extremadura und der wilden Schönheit Asturiens und Kantabriens auf dem Rückweg zu unserem Häuschen in den Cevennen, wo wir den Sommer verbringen wollen.

Digitale Nomaden

Es gibt hier viele digitale Nomaden. Erwachsene, die von ihrem Computer aus arbeiten können, und deshalb nicht an einen Ort gebunden sind.

Dürfen auch Kinder und Jugendliche digitale Nomaden sein? Gesellschaftliche Vorstellungen darüber, was Kinder und Jugendliche brauchen, reiben sich einmal mehr mit unseren Erfahrungen und Empfindungen. 

Schlemmen mit Freunden: Die beiden Töchter (rechts) träumen bereits wieder vom Reisen.

«Ich kann mir schon vorstellen, wieder irgendwo zu leben, ich möchte aber das Reisen nicht aufgeben», sagt die Jüngere. Die Ältere erzählt vom Kribbeln im Bauch, wenn wir über neue Routen nachdenken. Die Kinder haben kein Bedürfnis, hier so schnell wie möglich eine permanente Basis zu finden. 

Das Glück lockt uns wieder auf die Strasse

Der Frühling macht sich mit unzähligen Blumen und milderen Nächten bemerkbar und wir geniessen die schöne Umgebung in der alten Quinta. Bald müssen wir diese jedoch verlassen. Auf einen weiteren Kompromiss mit einem anderen Parkplatz wollen wir uns nicht einlassen. 

Die Schule unterstützt unsere Pläne, das Schuljahr unterwegs abzuschliessen. Im Spätsommer werden wir aber auf jeden Fall wieder im Dorf am Atlantik bei unseren Freunden und dem Lernort sein. Wir freuen uns schon jetzt darauf.

In der Zwischenzeit wittern wir das Glück vor uns auf der Strasse.

Debora Silfverberg
hat viele Jahre als Fach- und Leitungsperson in der Familien- und Sozialpsychiatrie gearbeitet. Seit 2020 ist sie mit ihrem Mann und den beiden Töchtern in verschiedenen Ländern Europas unterwegs und schreibt als freie Journalistin und Autorin über gesellschaftliche Themen.

Alle Artikel von Debora Silfverberg

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