An alle schlechten Eltern - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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An alle schlechten Eltern

Lesedauer: 2 Minuten

Vatersein hat mich vor allem in einem Punkt verändert: Es hat mich verständnisvoller gemacht. Nicht gegenüber Kindern – Gott be­wahre! Da bin ich ungeduldiger, ja ungehaltener als früher. Nein, verständnisvoller gegenüber anderen Eltern.

Text: Mikael Krogerus
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren

Früher habe ich Eltern oft bewertet. Und mir ausgemalt, wie liebevoll, abenteuerlustig und verspielt ich dereinst mit meinen Kindern umgehen würde. Heute bin ich vorsichtiger. Wenn ich eine müde Mutter mit ihrem nörgelnden Kind in der Schlange an der Coop­-Kasse sehe und höre, wie das Kind schon wieder ansetzt: «Mami, i wott no Schoggi …» – worauf die Mutter komplett die Fassung verliert und brüllt: «I wott, I wott, I wott – du kannst doch verdammt nochmal nicht immer nur wollen!».

Dann denke ich nicht mehr im Bettina­-Wegner*­-Tonfall: «Es sind so kleine Kinder, die darf man nicht anschreien!» Nein, meine Sympathien sind bei der Mutter: «Was für ein grässliches, rücksichtsloses Kind!», denke ich. Manchmal werde ich innerlich richtig laut – «Rettet die Frau!» Natürlich würde ich nichts dergleichen sagen. Nicht mal denken. Aber wissen Sie, was ich meine?

Kinder machen nicht nur glücklich!

Neulich sah ich, wie ein Vater auf einer Bank vor dem Spielplatz nicht ein einziges Mal von seinem Smartphone aufblickte, als sein Kind ihn fragte: «Kann ich den Schnee essen?» Früher hätte ich gedacht: «Was ist denn das für ein Vater? Wenn ich einmal Kinder habe, werde ich ihnen jede Frage beantworten und ihre Augen öffnen für die Wunder dieser Welt.» Heute denke ich: «Lass den Mann in Ruhe und beschäftige dich selber.»

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe meine Kinder. Aber was kinderlose Erwachsene gern vergessen: Kinder machen nicht nur glücklich. Sie saugen dich auch aus. Sie können die schlimmsten Seiten in dir wecken. Und dich zum Gegen­teil von dem machen, was du eigentlich gern wärst. Elternsein ist ein tägliches Scheitern, und ich finde, Eltern bekommen dafür zu wenig Verständnis.

Die Wirklichkeit können wir nicht planen, sondern nur in ihr leben.

Lange Zeit beeindruckten mich (scheinbar) perfekte Familien, in denen glückliche Kinder und stolze Eltern Hand in Hand durchs Leben spazieren. Ich fragte mich: Wie machen die das? Inzwischen frage ich mich: Was, wenn es vielleicht gar nicht gute Eltern sind, sondern bloss gute Kinder? Kinder, die einfach von selbst aufrichtig, engagiert und zufrieden geworden sind – und nicht, weil ihre Eltern alles richtig gemacht haben?

Niemand wird bestreiten, dass Liebe und Zuneigung für Kinder so wichtig ist wie Atmen und Schlafen, aber darüber hinaus, könnte es nicht sein, dass sie sich auch ein klein wenig autonom entwickeln, von ihrem Umfeld und ihrer Herkunft geprägt werden und nicht ausschliesslich von ihren Eltern?

Vielleicht stimmt das nicht. Aber in den schwärzesten Stunden meines Eltern­seins ist es ein kleiner Trost, dass wir die Wirklichkeit nicht planen, sondern nur in ihr leben können.

*Bettina Wegner ist eine deutsche Liedermacherin und Lyrikerin. Ihr bekanntestes Lied ist «Kinder» (Sind so kleine Hände …).

Mikael Krogerus
ist Autor und Journalist. Der Finne ist Vater einer Tochter ­und eines Sohnes, lebt in Basel und schreibt regelmässig für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi.

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