Die 11 wichtigsten Begriffe zu Inklusion
Was bedeutet ein besonderer Bildungsbedarf genau und was versteht man unter integrativer Förderung? Wir haben für Sie ein Glossar mit den wichtigsten Begriffen der sonderpädagogischen Massnahmen der Volksschule zusammengestellt.
1. Besonderer Bildungsbedarf
Ein besonderer Bildungsbedarf oder, als Synonym dafür, besondere pädagogische Bedürfnisse, bestehen, wenn ein Kind zusätzliche Unterstützung braucht, um dem Unterricht der Regelschule folgen zu können. Sei es, weil es eine Behinderung, chronische Krankheiten, Verhaltensprobleme oder leichtere Lernschwierigkeiten hat, sei es durch sozioökonomische Benachteiligung aufgrund von Nationalität, Sozialstatus oder Sprache. Ein besonderer Bildungsbedarf liegt ebenfalls vor, wenn eine überdurchschnittliche Begabung dazu führt, dass ein Kind unterfordert ist und zusätzliche Förderung braucht.
2. Inklusion
Der Begriff Inklusion kennt keine einheitliche Definition. Oft wird er mit Integration gleichgesetzt. Der Einfachheit halber verfährt auch dieses Dossier so, denn die Begriffe sind nicht klar voneinander abgrenzbar. Verfechter einer strengen Auslegung würden allerdings sagen, Integration sei bloss ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Inklusion. Letztere steht demzufolge für eine übergeordnete Vision, in der Kinder mit besonderem Bildungsbedarf keine Sonderrolle einnehmen.
In einer inklusiven Schule nach diesem Vorbild gäbe es kein Nebeneinander von Regel- und Sonderschulen, wie das in der Schweiz der Fall ist, auch keinen Spezialstatus für beeinträchtigte Kinder, denn Vielfalt würde als Normalfall betrachtet.
3. Integrative Förderung
Integrative Förderung (IF), in manchen Kantonen auch Integrative Spezielle Förderung, Integrierte Heilpädagogik oder Integrative Schulung genannt, ist das sonderpädagogische Grundangebot der Volksschule in Form niederschwelliger Massnahmen. Dieses wird auf allen Schulstufen angeboten, vorwiegend jedoch im Kindergarten und in der Primarschule. Zielgruppe sind Kinder, die Schwierigkeiten haben, die Klassenlernziele zu erreichen, etwa aufgrund einer Lese-Rechtschreib-Schwäche oder leichterer Lernprobleme in den Hauptfächern.
Integrative Förderung wird auf allen Schulstufen angeboten, vorwiegend jedoch im Kindergarten und in der Primarschule.
IF kommt auch zum Einsatz, wenn Schülerinnen und Schüler in ihrem Arbeits- und Sozialverhalten zusätzliche Unterstützung benötigen. IF setzt keine Diagnose voraus und umfasst Therapieangebote wie Psychomotorik oder Logopädie, aber auch die in den Klassenunterricht integrierte schulische Unterstützung durch die Heilpädagogin oder den Heilpädagogen. Wie viel Zeit diese heilpädagogische Lehrkraft für eine Klasse hat, hängt vom Standort ab und variiert je nach Kanton, aber auch auf Gemeindeebene.
4. Integrierte Sonderschulung
Früher besuchten Kinder und Jugendliche mit Behinderungen spezialisierte Sonderschulen. Heute kommt stattdessen wenn möglich die integrierte Sonderschulung zum Zug: Die Kinder gehen auf die Regelschule – allerdings haben sie einen Sonderschulstatus, der sie zu verstärkten Massnahmen berechtigt, also sonderpädagogischer Spezialbetreuung.
5. Lernzielanpassungen
Kinder, die die Lern- und Förderziele ihrer Schulstufe und Klasse nicht erreichen, können unter gewissen Umständen vorübergehend oder langfristig davon befreit werden. Dann werden individuell angepasste Lernziele in einem oder mehreren Schulfächern vereinbart. Diese Lernzielanpassung wird im Zeugnis vermerkt und hat je nach Dauer und Umfang einschneidende Konsequenzen auf die Bildungslaufbahn, gerade im Hinblick auf die Berufswahl.
In vielen Kantonen gelten angepasste Lernziele als verstärkte sonderpädagogische Massnahme und können daher nur unter Einbezug von Fachpersonen oder dem schulpsychologischen Dienst angeordnet werden. Andere Kantone betrachten sie als niederschwellige Massnahme, die nicht zwingend eine Einschätzung von Fachpersonen erfordert. So kann es vorkommen, dass Kinder mit Lernzielanpassungen in drei oder mehr Schulfächern in einer Regelklasse sitzen – und keine sonderpädagogische Unterstützung erhalten.
6. Nachteilsausgleich
Ein Nachteilsausgleich soll zur Chancengerechtigkeit zwischen Schülerinnen und Schülern mit und ohne Beeinträchtigung beitragen. Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche, die aufgrund einer Beeinträchtigung in ihrer Leistungsfähigkeit zwar eingeschränkt sind, aber trotzdem das Potenzial haben, die Klassenziele gemäss Lehrplan zu erreichen. Der Nachteilsausgleich passt ihre Rahmenbedingungen in Prüfungssituationen an – in welcher Form, hängt vom Kind ab. Diese Rücksichtnahme auf Beeinträchtigungen soll sicherstellen, dass Schülerinnen und Schüler fair beurteilt werden. Für Kinder mit Nachteilsausgleich gelten aber weiterhin die Klassenlernziele.
Voraussetzung für einen Nachteilsausgleich ist eine diagnostizierte Beeinträchtigung, die sich auf die schulischen Leistungen auswirkt. Das können etwa Sprach-, Seh- oder Hörbeeinträchtigungen sein, eine körperliche Behinderung, eine Lese-Rechtschreib-Schwäche oder eine Autismus-Spektrum-Störung. Im Zeugnis wird ein Nachteilsausgleich nicht vermerkt.
Unser Dossier-Hauptartikel zu Inklusion:
7. Niederschwellige Massnahmen
Siehe Integrative Förderung.
8. Separierte Sonderschulung
Ist es aufgrund seiner Beeinträchtigung nicht möglich, ein Kind mit integrierter Sonderschulung zu fördern, besteht die Möglichkeit der separierten Sonderschulung. Dann besuchen Kinder spezialisierte Sonderschulen, selten auch Sonderschulheime, die auf ihre Förderbedürfnisse ausgerichtet sind. Gestützt auf die schulpsychologische Abklärung und nach Anhörung der Eltern entscheidet in den meisten Kantonen die Schulpflege oder eine vergleichbare Behördenstelle darüber, ob eine separierte Sonderschulung die passende Lösung ist.
9. Sonderklasse
Sonderklassen haben mit einer Sonderschule nichts zu tun: Sie sind ein Angebot der Regelschule, das sich traditionell an verhaltensauffällige, lernschwache oder fremdsprachige Kinder richtet. Solche Kleinklassen, wie Sonderklassen in vielen Kantonen genannt werden, wurden im Lauf der vergangenen Jahre vielerorts abgeschafft – die Zielgruppe wird heute nach Möglichkeit in die Regelklassen integriert, die dafür mit mehr Ressourcen ausgestattet werden.
Eine nationale Übersicht über die verschiedenen sonderpädagogischen Massnahmen der Volksschule und ihre Umsetzung, Finanzierung und Benennung in den einzelnen Kantonen gibt die interaktive Landkarte «Integrative und Separative schulische Massnahmen» der Pädagogischen Hochschule Bern.
10. Sonderpädagogik
Das Fachgebiet der Sonderpädagogik befasst sich mit der Entwicklung, Bildung und Partizipation von Kindern mit besonderem Bildungsbedarf. Sonderpädagogik beschäftigt sich also mit dem, was zusätzlich zur Regelpädagogik nötig ist, um diese Kinder adäquat fördern, bilden und erziehen zu können.
11. Verstärkte Massnahmen
Verstärkte sonderpädagogische Massnahmen sind Förder-, Beratungs- und Begleitangebote, die Schülerinnen und Schülern mit einer Behinderung oder einer erheblichen Beeinträchtigung zustehen. Sie setzen eine medizinische Diagnose oder ein mehrstufiges Abklärungsverfahren durch die schulpsychologischen Dienste der Kantone voraus. Sie sind in der Regel langfristig ausgelegt, ressourcenintensiv und bedingen einen hohen Spezialisierungsgrad der involvierten Förderpersonen. Umgesetzt werden verstärkte Massnahmen in spezialisierten Sonderschulen oder im Rahmen der Regelschule, wo sonderpädagogische Fachleute und Hilfskräfte wie Klassenassistenzen beeinträchtigte Kinder unterstützen, damit sie am Unterricht der Regelschule teilnehmen können.