Woher kommt die Faszination für das Ballerspiel Fortnite?
Fortnite ist derzeit das weltweit beliebteste Videogame.
Warum fasziniert das Ballerspiel so viele Jugendliche? Und woran merken Eltern, dass ihr Kind spielsüchtig ist?
Das Wichtigste zum Thema
Von Fortnite hat fast jeder schon einmal gehört. Vielen Eltern bereitet das Videospiel Sorgen. Schliesslich fühlen sich Kinder und Jugendliche davon stark angezogen. Autor Jochen Metzger wollte es selbst ausprobieren und spielte mit seinem Sohn eine Runde, um den Hype besser zu verstehen.
Was Sie über Fortnite wissen müssen:
- Im Internet finden sich viele Informationen zum Thema Fortnite. Eine Menge davon ist unwahr oder unvollständig. Autor Jochen Metzger hat sich intensiv damit auseinandergesetzt und sieben Irrtümer und Wahrheiten zusammengestellt, die Eltern über das Videospiel wissen sollten.
- Wie lange darf der Nachwuchs ein Onlinespiel spielen? Was gilt es zu beachten? Wie lassen sich Übergriffe verhindern? Erfahren Sie im Artikel, was Eltern tun können, um Fortnite oder andere Videogames nicht zu verbieten und das Kind trotzdem zu schützen.
- Ihr Kind denkt ständig an das Spiel oder spielt von Woche zu Woche immer länger? Lesen Sie in dieser Liste, welche Anzeichen auf eine Spielsucht hindeuten können und erfahren Sie, wann Sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen sollten, um ihr Kind zu unterstützen.
- Wer kann konkret bei Ihren Sorgen weiterhelfen? Auch dazu gibt es einen Tipp im Text.
Ich schwebe am Fallschirm über einer fremden Insel. Der Boden kommt näher, bald geht das Geballer los. Denn mit mir landen noch 99 weitere Spieler. Wir werden kämpfen, jeder gegen jeden – bis nur noch einer von uns übrig bleibt.
am Leben bleibt, gewinnt.
Nach etwa 20 Minuten steht der Sieger fest. Für mich endet das Spiel aber schon nach 120 Sekunden: Eine Frauenfigur erledigt mich per Flintenschuss. Ich nehme die Hand von der Tastatur, langsam beruhigt sich mein Puls. Soll ich es noch einmal probieren? Lieber nicht. Die anderen sind einfach zu gut für mich. Zu jung – und viel zu schnell.
Fortnite Battle Royale
Das Spiel, das mich so zeitig hat scheitern lassen, heisst Fortnite Battle Royale. Es ist das derzeit beliebteste Videogame der Welt. Der, wie mein 17-jähriger Sohn mir erklärt, «grösste Hype», den er je erlebt hat. «Das spielen gerade alle.»
Und es läuft wie immer, wenn etwas die Kinder derart magisch in seinen Bann zieht: Eltern machen sich Sorgen. Frisst das neue Spiel zu viel Zeit? Soll man es verbieten? Und was macht Fortnite für Kinder so anziehend? In den Zeitungen und im Internet findet man darauf viele extreme Antworten. Die meisten davon haben eines gemeinsam: Sie stimmen nicht.
Sieben Irrtümer über Fortnite – und sieben Wahrheiten, die Eltern wissen sollten.
1. Irrtum: Alle spielen Fortnite
Das ist natürlich Unsinn. Pro Monat gibt es ungefähr 40 Millionen aktive Spieler weltweit (Stand: Anfang Juni 2018). Das sind wahnsinnig viele – aber deutlich weniger als «alle». Zahlen für einzelne Länder liegen nicht vor. Viele Kinder und Jugendliche aus der Schweiz haben Fortnite noch nie gespielt. Aber vermutlich habe alle schon davon gehört.
Der amerikanische Computerspielforscher und Professor Dmitri Williams macht noch auf einen an deren Umstand aufmerksam: Etwa 15 Prozent aller Menschen können Fortnite nicht länger als ein paar Minuten spielen. Sie werden seekrank – weil die Bilder sich so schnell und hektisch bewegen.
2. Irrtum: Fortnite Battle Royale ist für Kinder ab zwölf
Das stimmt nicht ganz. Eine offizielle Altersfreigabe («ab 12») gibt es nur für das kostenpflichtige Originalspiel Fortnite. Bei dieser Version kämpft man nicht gegen andere Spieler, sondern gegen Zombies. Die eindeutig beliebtere Onlineversion namens Fortnite Battle Royale unterliegt überhaupt keiner Altersbeschränkung.
Der Spieleratgeber des deutschen Bundeslandes NordrheinWestfalen schätzt, dass sich das Spiel an «Jugendliche ab 14 Jahren» richtet. Für jüngere Kinder könne die Sache «zu nervenaufreibend» werden. Tatsächlich gehören aber auch viele 8- und 9-Jährige zu den Nutzern. Für die meisten dieser Kinder ist das viel zu früh.
3. Irrtum: Fortnite ist ein reines Ballerspiel
Bei Fortnite handelt es sich um kein Spiel für Pazifisten. Wer nicht kämpft, kann nicht gewinnen. Trotzdem muss man dabei nicht nur laufen und schiessen, sondern zusätzlich auch Dinge bauen. Etwa eine Treppe, um einen Berg zu besteigen, eine Mauer, hinter der man sich verstecken kann, oder einen Turm, um seine Gegner besser zu sehen.
Fortnite wirkt wie eine Mischung aus Lego-Welt und Paintball. Erfahrene Spieler sagen: Im Zweifel gewinnt dabei nicht der bessere Schütze – sondern der bessere Baumeister.
4. Irrtum: Fortnite ist kostenlos
Das Spiel kostet tatsächlich erst ein mal nichts. Alles, was man braucht, sind Computer, Xbox, Playstation, Tablet oder Handy – und einen schnellen Internetzugang. Trotzdem verdient der Hersteller Epic Games pro Monat knapp 300 Millionen Dollar mit Fortnite.
Woher kommt das Geld? Ganz einfach: Man kann sich im Spiel für knapp neun Franken sogenannte «Skins» kaufen, also besonders coole Outfits. Zusätzlich sind diese Figuren dann auch in der Lage, bestimmte Siegestänze aufzuführen – die bereits von Fussballprofis imitiert werden. Irgendwelche Vorteile fürs Spiel bringen die Skins nicht. Das Marketing funktioniert wie im wirklichen Leben: Ein besonderer Geschmack kostet – und wenn alle anderen teure Markenklamotten tragen, will keiner als H&M-Typ in der Ecke stehen.
Der Geldtransfer ist kinderleicht und im Übrigen auch rechtens, denn die jeweiligen Summen bewegen sich im Sackgeldumfang. Kinder können aber auf diese Art einen stolzen Teil ihrer Ersparnisse loswerden.
5. Irrtum: Der Erfolg von Fortnite war präzise geplant
Die Designer des Spiels haben ihre Hausaufgaben gemacht. Auf den ersten Blick wirkt Fortnite wie ein harmloser Comic, so hell und bunt wie bei Heidi oder Biene Maja. Niemals fliesst Blut. Figuren verschwinden in hübschen Lichtwolken. Aber gut gemacht sind heute viele Spiele, erfolgreich werden trotzdem nur wenige.
Es läuft wie in der Popmusik oder in Hollywood: «Nobody knows anything» – was genau ein Hit wird, weiss im Grunde niemand. Ab einer gewissen Anzahl an Fans entsteht allerdings eine Lawinenwirkung: Die Freunde spielen Fortnite, also probiert man es auch. «Man möchte dann einfach dazugehören, das ist eines der Grundbedürfnisse des Menschen», sagt Dmitri Williams. «So banal es klingt: Aber Fortnite ist vor allem deshalb beliebt, weil es eben beliebt ist.»
6. Irrtum: Fortnite ist «total sozial» – oder «total gefährlich»
Man kann Fortnite auch im Mannschaftsmodus spielen: Dabei lernt man Teamfähigkeit und stärkt die Beziehung zu seinen Freunden. «Für einige Kinder ist die gemeinsam verbrachte Zeit mit den Freunden sogar das Interessanteste am ganzen Spiel», erklärt Dmitri Williams. Die Macher von Fortnite wissen das. Deshalb ist zwischen Mitgliedern eines Teams automatisch ein sogenannter «Voice Chat» aktiviert. Man kann also per Werkseinstellung mit seinen Teamkollegen reden. Doch was, wenn man mit Unbekannten spielt, und einer von ihnen sich als Erwachsener mit schlimmen Absichten erweist?
Die britische Presse hat von zwei solchen Fällen berichtet. Ein 10- und ein 12-Jähriger wurden dabei von Männern belästigt. Der eine fragte nach Name und Adresse, der andere nach Sex. Kinder und Eltern sollten deshalb wissen, wo man den Audiokanal abstellt. Fazit: Ein einziges Feature stärkt für manche die sozialen Kontakte – und wird zur Gefahr für andere. Für manche Spieler gilt weder das eine noch das andere. Die Wahrheit über Fortnite ist nicht schwarz oder weiss. Sie liegt irgendwo im Grau dazwischen.
7. Irrtum: Fortnite ist so harmlos wie Fussball
Manche Kinder verbringen jede freie Minute auf dem Fussballplatz. Aber reagieren sie mit einem Wutanfall, wenn die Eltern sie zum Nachtessen rufen? «Die Wahrscheinlichkeit für so etwas ist bei Computerspielen ungleich grösser», sagt Dmitri Williams. Der Grund: Spiele wie Fortnite sind sehr präzise auf die menschliche Psyche abgestimmt. «Am Anfang sieht man schnelle Lernerfolge. Und natürlich motiviert das enorm, sich gleich das nächste Erfolgserlebnis zu holen.»
Ausserdem spielt man bei Fortnite gegen 99 Gegner gleichzeitig. Die Chancen auf einen Sieg ähneln eher einer Lotterie als einem Fussballspiel. «Psychologisch funktioniert das wie ein Glücksspielautomat», sagt Williams. «Und nicht alle Menschen sind gut darin, in solchen Situationen einfach aufzuhören.»
Anders gesagt: Mag sein, dass man sich beim Lesen von Büchern verlieren kann, beim Fussball oder beim Schach – aber die Suchtgefahr bei Fortnite ist ohne Zweifel viel höher.
Das Kind spielt Fortnite – was können Eltern tun?
- Beschränken Sie die Spielzeit. Die Verlockung durch Fortnite ist gewaltig. Kinder können besser damit umgehen, wenn Eltern sie durch feste – und gemeinsam vereinbarte – Regeln unterstützen. Eltern sollten auch helfen, diese Regeln einzuhalten. Etwa durch einen gestellten Wecker. Wenns klingelt, bedeutet das: Nach diesem Spiel ist Feierabend.
- Wo liegt das Limit? Der US-Psychologe Leonard Sax empfiehlt: Nicht mehr als 40 Minuten an Schultagen. Nicht mehr als 60 Minuten an Wochenendtagen. Gespielt wird nur, wenn Hausaufgaben und Haushaltspflichten erledigt sind. Diese Regeln sind relativ streng. Sie werden mit Ihrem Kind eine Vereinbarung treffen, mit der alle leben können.
- Für die Smartphone-Version von Fortnite gibt es nur eine Empfehlung: ein komplettes Verbot. Wenn das Spiel immer und überall verfügbar ist, wird die Verführung für viele Kinder zu gross. In den meisten Fällen genügt dafür ein einziger Satz: «Ich möchte nicht, dass du Fortnite jemals auf deinem Handy installierst.» Notfalls hilft eine gelegentliche Kontrolle des Handys: Man lässt sich ohne Ankündigung zeigen, welche Apps auf dem Smartphone gerade geladen sind.
- Spielt man Fortnite im Teammodus, wird automatisch der «Voice Chat» aktiviert. Man hört also, was die Mannschaftskameraden reden. Wie schützt man sein Kind vor Fremden? Zum einen durch die Regel: Im Teammodus spielst du nur mit Freunden, nicht mit Unbekannten. Eltern und Kinder sollten ausserdem wissen, wie man die Chat-Funktion deaktiviert: Man geht in die Spieleinstellungen, klickt auf «Ton», schaltet auf «aus». Die dritte Option: Bei einem Teamspiel mit Unbekannten müssen die Stimmen der anderen über Lautsprecher zu hören sein. Und ein Elternteil muss sich im Raum befinden.
- «Spielen Sie das Spiel mit Ihrem Kind», lautet der wichtigste Rat von Dmitri Williams. «Sie wollen schliesslich wissen, was es in seiner Freizeit macht und wofür es sich interessiert.»
- Williams’ zweiter Tipp: «Lassen Sie sich von Ihrem Kind dabei erklären, was so cool an dem Spiel sein soll. Ihr Kind wird begeistert sein, dass Sie Interesse zeigen. Es wird Ihnen buchstäblich alles erzählen.» Diese Methode hat noch einen zweiten Vorteil: «Man hört auf, seine Erziehungsmassnahmen allein von Vorurteilen abhängig zu machen. Eigene Erfahrung, eigenes Wissen – das sind die besseren Ratgeber.»
Wie kann ich erkennen, ob mein Kind süchtig ist?
Wie viele Kinder süchtig nach Computerspielen sind, ist schwer zu sagen. Je nach Studie schwanken die Zahlen zwischen 1,4 und 8,4 Prozent. Besonders betroffen sind Buben im Teenageralter. Forscher der Universität Amsterdam haben sieben Kriterien entwickelt, um eine Sucht festzustellen.
- Das Kind denkt den ganzen Tag an das Spiel.
- Das Kind spielt von Woche zu Woche immer länger.
- Das Kind spielt, um seine Sorgen zu vergessen.
- Andere(z.B. die Eltern) haben vergeblich versucht, die Spielzeit des Kindes zu reduzieren.
- Das Kind fühlt sich schlecht, wenn es nicht spielen kann.
- Das Kind streitet wegen des Spiels mit Freunden oder Familienmitgliedern.
- Das Kind vernachlässigt andere Dinge(Hausaufgaben, Sport, Hobbys) wegen des Spiels.
Faustregel
Sobald mindestens vier dieser Kriterien für die vergangenen sechs Monate «häufig» oder «sehr häufig» zutreffen, gibt es einen Verdacht auf Spielsucht. Betroffene Eltern sollten sich Hilfe holen. Mehr zum Thema und zum Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen: Pro Juventute: www.projuventute.ch, Sucht Schweiz: www.suchtschweiz.ch.
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- «Let’s Play!»: Anderen beim Spielen zuschauen?Woher kommt dieser plötzliche Trend?