Was tun, wenn sich die Grosseltern in die Erziehung einmischen?
Bilder: Deepol und Runar Lind / Plainpicture
Wenn Kinder von berufstätigen Müttern und Vätern regelmässig von den Grosseltern beaufsichtigt werden, stellt sich die Frage, wie diese in die Erziehung eingebunden werden sollen. Die Antwort ist einfach – ihre Umsetzung dagegen knifflig.
Fachleute geben auf diese Frage eine klare Antwort: Erziehung ist Elternsache. Die Grosseltern sollten die Kinder betreuen – aber nicht erziehen. Grossmami und Grosspapi begleiten die Entwicklung ihres Enkels und helfen den Eltern dabei, ihre Erziehungsvorstellungen umzusetzen. Wenn widersprüchliche pädagogische Ansichten zwischen Eltern und Grosseltern auftauchen, sollten die Eltern das letzte Wort haben.
So weit die erziehungswissenschaftliche Empfehlung. Im Alltag lässt sich diese allerdings nie so geradlinig umsetzen, wie Esther und viele andere Mütter und Väter es sich wünschen.
«Den Eltern in den Rücken fallen ist tabu!»
Erziehungswissenschaftlerin Melitta Steiner
Wenn die Grosseltern immer wieder etwas anderes sagen als die Eltern, fehlt dem Heranwachsenden die erzieherische Kontinuität. Seine Alltagsstrukturen sind nicht klar und eindeutig, sondern erscheinen ungeordnet und willkürlich. «Die Kontinuität ist sehr wichtig in der Erziehung», betont auch die Psychologin und Erziehungsberaterin Erica Rusch von der Bildungsdirektion des Kinder und Jugendhilfezentrums (kjz) in Winterthur. «Diese Kontinuität gibt dem Kind Sicherheit.»
Über Erziehungsvorstellungen vorab sprechen
Wer plant, seine Eltern regelmässig in die Betreuung der eigenen Kinder einzubeziehen, sollte in einem gemeinsamen Gespräch die grundlegenden Erziehungsvorstellungen klar formulieren und den Grosseltern mitteilen. Etwa: Das Kind wird nie körperlich bestraft. Oder: Die Kinder sollten nie länger als eine von den Eltern festgelegte Zeit fernsehen oder gamen.
Tauchen bei den Grosseltern Fragen und Unklarheiten auf, sollten die Erwachsenen sie möglichst gleich miteinander klären. Bei diesem grundlegenden Gespräch haben die Eltern und Grosseltern ein zentrales Ziel: Konflikte über unterschiedliche Erziehungsvorstellungen im Alltag zu meiden – und für das Wohl des Kindes klare Regeln zu etablieren.
Doch nicht jede Situation im Alltag mit Kindern lässt sich im Vorfeld voraussehen und absprechen. An manches denkt man gar nicht. Damit Mutter und Vater weiterhin ihre Erziehungsvorstellungen umsetzen können, sollten sie beispielsweise bei der Übergabe des Kindes die Grosseltern fragen: «Gab es heute Momente, in denen ihr euch nicht sicher wart, wie wir entscheiden würden?»
Entscheidungen sollen möglichst nach gemeinsamer Rücksprache gefällt werden.
Verhindern, dass das Kind in einen Loyalitätskonflikt gerät …
Doch auch wenn die Eltern in Erziehungsfragen das letzte Wort haben, müssen sie den Grosseltern nicht jede Entscheidung vorgeben. Weil Grossmami und Grosspapi die zentralen Situationen des Elterndaseins bereits erlebt haben, verfügen sie über einen Erfahrungsschatz, der nun den Eltern zugutekommen kann. «Grosseltern gehen häufig entspannter und ruhiger mit den Enkeln um als die jungen und weniger erfahrenen Eltern», sagt Rusch.
Der Erfahrungsschatz und die Ruhe sind zwei Ressourcen, die Eltern bisweilen übersehen. Statt also ihre eigenen erzieherischen Vorstellungen partout durchsetzen zu wollen, können Mutter und Vater die Grosseltern um ihre Meinung fragen – oder ihnen gewisse Freiheiten beim Hüten des Kindes lassen. Diese Freiheiten sollten vorab mithilfe eines Gesprächs klar definiert werden.
Erziehungsnormen unterliegen einem kulturellen Wandel
«In diesem Fall sollten sich beide Generationen vor Augen führen: Es gibt kein Richtig oder Falsch», sagt Rusch. Denn jedes Kind ist anders und braucht dementsprechend andere erzieherische Strukturen. Haben die Grosseltern ihren eigenen Nachwuchs als schüchtern im Kindesalter erlebt, werden sie generell eher ein Vorgehen gutheissen, das auch für ähnliche Kindercharaktere geeignet ist, aber beispielsweise nicht für energiestrotzende kleine Weltentdecker.
Alle Erziehungsvorstellungen basieren auf bestimmten individuellen Erfahrungen – und sind nicht gleichermassen gut für jedes Kind. Wer sich diesen Umstand vergegenwärtigt, dem fällt es leichter, ein ruhiges Gespräch über unterschiedliche Erziehungsstile zu führen.
Stattdessen gilt es gemeinsam herauszufinden: Was funktioniert am besten für unser Kind und unseren Enkel? Was sind seine Bedürfnisse? Wie werden wir ihnen gemeinsam am besten gerecht?
Wenn professionelle Betreuung die bessere Lösung ist
Allerdings sollten die Eltern nicht überstürzt zugunsten einer Betreuung durch Krippe beziehungsweise Hort entscheiden. «Denn Grosseltern bringen ein hohes emotionales und zeitliches Engagement zum Kinderhüten mit», betont Rusch. «Und das trotz des Älterwerdens.»
Die Erziehungsberaterin animiert zur Dankbarkeit gegenüber Grossmutter und Grossvater. Ihr grosser Einsatz sei nicht selbstverständlich, fügt Rusch hinzu, die in ihrem Arbeitsalltag auch immer wieder mit Grosseltern zu tun hat. «Sie spielen eine sehr wertvolle Rolle im Leben des Kindes», betont sie. «Im Vergleich zu professionellen Bezugspersonen wie in der Krippe sind Grossmami und Grosspapi oftmals stabilere, präsentere Bezugspersonen.»
Dank Grosseltern erfahren Kinder ein tiefes Gefühl der Verbundenheit und Zugehörigkeit.
Das Kind lernt seine tiefen Wurzeln kennen. Das hilft ihm bei der Entwicklung seiner eigenen Identität. Dies kann Eltern und Grosseltern eine wunderbare Einladung sein, im Alltag einander respektvoll und dankbar zu begegnen – und im stetigen Austausch das Wohl des Kindes im Blick zu haben.
So gelingt das Gespräch zwischen Eltern und Grosseltern
Für Eltern
- Formulieren Sie Ihre Erziehungsvorstellungen klar und präzise.
- Benutzen Sie Beispiele aus dem Alltag, um Ihre Vorstellungen zu untermauern.
- Werten Sie die Erziehungsvorstellungen der Grosseltern nicht als «veraltet» ab.
Für Grosseltern
- Bieten Sie generell eher nur auf Wunsch einen Erziehungsrat.
- Stellen Sie das pädagogische Wissen der jungen Eltern nicht infrage.
- Stellen Sie Fragen, um spätere Unklarheiten oder Konflikte zu meiden.
Für alle Beteiligten
- Lassen Sie einander aussprechen.
- Fassen Sie sich kurz und verständlich.
- Zeigen Sie Einfühlungsvermögen und Respekt.
- Lassen Sie sich von der Hauptfrage leiten: Was braucht das Kind und wie bieten wir es ihm?
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