Neues Familiengefühl nach dem Lockdown?  - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Neues Familiengefühl nach dem Lockdown? 

Lesedauer: 5 Minuten

Es wurde viel darüber spekuliert, welche gesellschaftlichen Veränderungen die Coronakrise auslösen würde. Gerade Eltern standen unter grossem Druck. Wie wirkt der Lockdown nun nach? Ein erstes Fazit zeigt: Er hat in Familien tatsächlich etwas bewegt.

Text: Irena Ristic
Bild: Pexels

Viel war die Rede von einem Paradigmenwechsel, neuen Prioritäten, die die globale Coronakrise in der Gesellschaft einleiten würden. So auch in der Familie. Nachdem der Lockdown den Familienalltag mit Homeoffice und Homeschooling auf den Kopf gestellt hat, herrscht nun seit einigen Wochen eine neue Art von «Normalität». Ein guter Moment, um sich zu fragen: Hat die Coronakrise das Familienkonstrukt nachhaltig verändert? Oder gar ein neues Familiengefühl geschaffen? 

Fragt man die Forschung, dann lautet die Antwort, ja. Eine kürzlich publizierte Studie des deutschen Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) zeigt auf, dass sich viele Väter deutlich stärker in der Familienarbeit engagieren als vor der Corona-Krise: Ihr Anteil stieg in den vergangenen Wochen auf den hohen Wert von 41 Prozent. «In den Zeiten der Pandemie wurde die Arbeit zwischen den Geschlechtern egalitärer aufgeteilt als zuvor», sagt Institutsdirektor und Studienleiter Norbert Schneider.

Seit der Coronakrise teilen wir die Haushaltspflichten viel ausgeglichener untereinander auf.

Eine Erfahrung, die auch Vera Schönenberger macht. Zusammen mit ihrem Partner und ihrer 10-jährigen Tochter lebt sie in Zürich. Die 44-Jährige ist selbstständig und kreiert Inhalte für Blogs und Influencer. Ihr Partner arbeitet Vollzeit. Was hat sich bei ihr seit dem Lockdown im neuen Familien-Alltag verändert? «Seit der Coronakrise teilen wir die Haushaltspflichten viel ausgeglichener untereinander auf», meint Vera Schönenberger.

«Seit der Coronakrise teilen mein Partner und ich die Haushaltspflichten viel ausgeglichener untereinander auf», sagt Vera Schönenberger, hier im Bild mit Tochter und Partner. 
«Seit der Coronakrise teilen mein Partner und ich die Haushaltspflichten viel ausgeglichener untereinander auf», sagt Vera Schönenberger, hier im Bild mit Tochter und Partner. 

«Heute habe ich das Gefühl, dass mein Partner wirklich nachvollziehen kann, wenn ich nach einem langen Tage sage ‘ich bin k.o.’», ergänzt sie. Und betont: «Mein Partner hat mir das auch vor der Corona-Krise ehrlich geglaubt. Aber es ist schon ein Unterschied, ob man das nur gesagt bekommt oder ob man Kinderbetreuung, Job, Homeschooling und Haushalt über mehrere Wochen hinweg 24/7 mitmacht».

Thema faire Arbeitsteilung hat Extra-Schub bekommen

Dass sich ein Wandel vollzieht, zu diesem Schluss kommt auch eine andere kürzlich veröffentliche grosse deutsche Studie unter dem Namen. «Sozio-ökonomische Faktoren und Folgen der Verbreitung des Coronavirus in Deutschland» (SOEP-CoV). Auch sie zeigt: Väter engagieren sich mehr im Haushalt und in der Kinderbetreuung. Für Diana Baumgarten, Soziologin und Geschlechterforscherin mit Schwerpunkt Familie an der Universität Basel, sind dies begrüssenswerte Entwicklungen, nur sei das alles nicht ganz neu: «Der Trend, dass sich Väter mehr am Familienleben und Haushalt beteiligen, besteht in der Schweiz schon länger». Von einem neuen Familiengefühl dank Corona zu sprechen, sei zum jetzigen Zeitpunkt zu voreilig, so die Wissenschaftlerin. «Ich glaube vielmehr, dass es für Männer während der Corona-Krise klarer spürbar geworden ist, wie repetitiv und anstrengend Familienarbeit sein kann.»

 «Für eine bessere Situation für Familien braucht es langfristig andere Arbeitszeiten und gewährleistete Kinderbetreuung – auch im Homeoffice», sagt Diana Baumgarten. Sie ist Soziologin und Geschlechterforscherin mit Schwerpunkt Familie an der Universität Basel.
 «Für eine bessere Situation für Familien braucht es langfristig andere Arbeitszeiten und gewährleistete Kinderbetreuung – auch im Homeoffice», sagt Diana Baumgarten. Sie ist Soziologin und Geschlechterforscherin mit Schwerpunkt Familie an der Universität Basel.

Auch wenn die Thematik faire Arbeitsteilung durch Corona einen Extra-Schub erhalten habe, sei es in der Regel aber immer noch so, dass Frauen den grösseren Anteil der unbezahlten Care-Arbeit verrichten, so Baumgarten weiter. Trotzdem könne die Lockdown-Erfahrung in Bezug auf das Familienleben durchaus eine Basis für eine ausgeglichenere Arbeitsteilung werden. 

Wandel braucht Zeit

«Wie nachhaltig sich ein Umdenken im Familienleben manifestiert, wird sich in den kommenden Monaten oder Jahren zeigen», ist Diana Baumgarten überzeugt. Voraussetzung sei, dass Männer und Frauen nun dranbleiben und die neuen Erfahrungen und Erkenntnisse umsetzen im Job und im Familienleben: Wandel bleibe ein mühsames Stück fortwährende Arbeit und brauche Zeit: «Sie sehen ja, wie schwierig es war, die Leute zu überzeugen, eine Maske zu tragen, was ja eigentlich keine grosse Sache ist».

Auch wenn Veränderungen ihre Zeit brauchen, für Vera Schönenberger sind die ersten positiven After-Lockdown-Effekte auf persönlicher Ebene jetzt schon spürbar. Ihr Fazit: «Ich bin viel geduldiger geworden. Auch mit meiner Tochter Emilie». Dies sei ein Gefühl, das sie aus dem Lockdown mitnehmen konnte. «Es ist nicht immer leicht, aber es klappt immer wieder gut». Gerne erinnert sie sich an die entschleunigte Zeit zurück, als die Zürcher Strassen fast leer waren: «Wir waren viel mit dem Velo unterwegs. Meine Tochter hat gelernt, sich sicherer in der Stadt mit dem Velo zu bewegen». Für Vera Schönenberger ist klar: «Ich möchte in diesem Modus weitermachen».

Auch in Zukunft mehr von Zuhause arbeiten 

Nicht zurück ins alte Hamsterrad möchte auch Andrea Duttweiler. Die 44-jährige Mutter einer 8-jährigen Primarschülerin arbeitet als Texterin in einer Kommunikationsagentur und lebt mit ihrem Partner, einem Vollzeit tätigen Uhren-Unternehmer, in Zürich. Eine Erkenntnis, die sie im neuen After-Lockdown-Alltag umsetzen möchte: Ihr derzeitiges 70-Prozent-Arbeitspensum so einzuteilen, dass sie auch in Zukunft vermehrt von Zuhause aus arbeiten kann. «Nicht nur wegen mir, auch weil ich sehe, wie gut es meiner Tochter Romy tut, wenn ich mehr da bin, wenn der Alltag entschleunigter ist». Sie habe es richtig genossen, nicht in den Hort zu müssen, daheim essen zu können oder generell viel Zeit mit Mama und Papa zu verbringen. 

 «Ich empfand die Zeit auch deshalb als positiv, weil ich schlicht weniger gestresst war. Und das haben auch mein Mann und meine Tochter gespürt», sagt Andrea Duttweiler, hier im Bild mit ihrer Tochter in den Ferien im Tessin.
 «Ich empfand die Zeit auch deshalb als positiv, weil ich schlicht weniger gestresst war. Und das haben auch mein Mann und meine Tochter gespürt», sagt Andrea Duttweiler, hier im Bild mit ihrer Tochter in den Ferien im Tessin.

«Nach dem Lockdown hat Romy einen spürbaren Entwicklungssprung gemacht. Sie ist reifer, selbstbewusster geworden – auch in der Schule hat sich bei ihr plötzlich der Knoten geöffnet». Ein Grund, neben der Nähe zu den Eltern, sieht sie darin, dass das Leben, trotz Corona, unbeschwerter war: «Der durchgetaktete Tag, den jede berufstätige Mutter kennt, fiel weg», sagt Andrea Duttweiler. Es sei egal gewesen, ob das Zmittag um 12 oder erst um halb 2 auf den Tisch kam. «Diese fixen Strukturen und die totale Organisation, die mich sonst durch den Alltag retten, habe ich plötzlich als enges Korsett empfunden. Es wäre schön, wenn grundsätzlich etwas mehr Lockerheit und Spontaneität im Leben Platz finden würde.»

Durch Coronakrise immer zuhause: positiver Effekt auf Eltern-Kind-Bindung 

Viel wurde während des Lockdowns über die Konfliktherde und sichtbar gewordenene Sollbruchstellen in der Familie diskutiert. Doch es gibt auch die andere Seite: «In Extremsituationen brechen nicht nur Konflikte hervor, sondern es kann in der Beziehung zum Kind etwas Neues entstehen», sagt Moritz Daum, Entwicklungspsychologe an der Uni Zürich.

Viele im Homeoffice arbeitenden Väter konnten eine intensivere Bindung zu ihren Kindern aufbauen.

Er habe viele Eltern gesehen, die kreativ (werden mussten) und sich auf eine neue Weise eingegeben haben in den Familienalltag. «Kinder konnten Mutter und Vater intensiver erleben und in vielen Fällen neue Facetten kennenlernen», so Daum. Gerade bei ängstlichen Kindern kann sich Moritz Daum durch die Corona-bedingte Nähe einen sehr positiven Effekt vorstellen: «Eltern konnten schneller auf die Bedürfnisse des Kindes reagieren, was beim Kind ein Gefühl von Aufgehobenheit erzeugt.» Das sei für die Eltern-Kind-Bindung und das Selbstbewusstsein eines Kindes ein entscheidender Faktor, so Daum weiter. 

«Kinder konnten Mutter und Vater in dieser Zeit intensiver erleben und neu kennenlernen.» Moritz Daum, Entwicklungspsychologe 
«Kinder konnten Mutter und Vater in dieser Zeit intensiver erleben und neu kennenlernen.» Moritz Daum, Entwicklungspsychologe 

Dies aber als Aufruf für berufstätige Mütter zu verstehen, wieder mehr zu Hause zu sein, dagegen wehrt sich Daum vehement. Im Gegenteil, auch die Männer sind gefordert: «Viele im Homeoffice arbeitenden Väter konnten eine intensivere Bindung zu ihren Kindern aufbauen, auch mit mehr Verständnis für deren Bedürfnisse». Er meint allerdings auch, dass es naiv wäre, anzunehmen, dass nur mehr Homeoffice linear zu einer besseren Vereinbarung von Familie und Beruf führt. «Wenn man zu Hause gleichzeitig arbeiten und sich um die Kinder kümmern muss, kann beides darunter leiden».

Ein Argument, das nicht von der Hand zu weisen ist. Trotzdem: Die Zeit, die Eltern durch den Wegfall des Arbeitsweges einsparen, schafft mehr Freiraum und nimmt den Stress raus. Die Corona-Krise könnte daher durchaus zu einer Verschiebung der Prioritäten im Familienleben führen – vorausgesetzt Mütter und Väter gelingt es, ihren Job flexibler zu organisieren. Dies unterstreicht unter anderem auch die vorgängig zitierte BiB-Studie: «Es ist davon auszugehen, dass die Erfahrungen während des Lockdowns langfristig zu einer neuen Balance von An- und Abwesenheit am Arbeitsplatz führen werden», sagt Studienleiter Norbert F. Schneider. Mit anderen Worten: Das Homeoffice kann eine entscheidende Rolle spielen, Familie und Beruf besser zu vereinbaren. 

«In die Diskussion über die Vereinbarkeit von Job und Familie gehört das Homeoffice sicher zu den wichtigen Punkten», sagt Diana Baumgarten. Denn für eine bessere Situation für Familien brauche es, so die Familiensoziologin, langfristig andere Arbeitszeiten und gewährleistete Kinderbetreuung, «auch im Homeoffice», – und kurze Arbeitswege.  

Irena Ristic

Irena Ristic
war bis 2024 als feste freie Online-Redaktorin für Fritz+Fränzi tätig. Sie ist Kommunikationsspezialistin mit Fokus auf Corporate Publishing und Content-Strategie.

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