Fridays und Families for Future - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Fridays und Families for Future

Lesedauer: 6 Minuten

An den «Fridays for Future» demonstrieren nicht nur Jugendliche, auch immer mehr Eltern und Grosseltern setzen sich für eine umweltfreundliche Zukunft ein. In der Familie unserer Autorin Ulrike Légé löste dies viele Fragen aus: Sollten wir nicht auch endlich anfangen, nachhaltiger zu leben? Aber was genau ist dabei wichtig und wie binden wir unsere Kinder ein? 

In den 90er-Jahren hatte ich an den grossen Umwelt-Themen aktiv mitgearbeitet: Beim Berliner Umweltgipfel, der Giftmüll-Kampagne von Greenpeace und den ersten Gesetzen im Europa-Parlament gegen gentechnisch manipulierte Pflanzen und Tiere war ich dabei. Mit dem Outrigger-Kanu fuhr ich durch Polynesien, um Korallenriffe zu retten, mit dem Fahrrad durch Hamburg, um Vögel zu schützen.

Zwanzig Jahre später fahre ich Mini-Van, denn nur da passte die ganze Familie herein. Unser Zuhause habe ich nicht nach Minergie-Standard umbauen lassen, das war einfach zu teuer. Und meine Arbeits-Projekte suche ich pragmatisch statt idealistisch aus, schliesslich muss ich eine Familie miternähren. Immer schien es bislang gute Gründe zu geben, mit jedem Jahr ein Stück weniger nachhaltig und engagiert zu leben. 

Ulrike Légé ist Biologin. In den 90er-Jahren arbeitete sie aktiv an Umweltschutzprojekten mit. Hier auf Besuch im Europaparlament als die ersten Umweltschutz-Gesetze verabschiedet wurden.
Ulrike Légé ist Biologin. In den 90er-Jahren arbeitete sie aktiv an Umweltschutzprojekten mit. Hier auf Besuch im Europaparlament als die ersten Umweltschutz-Gesetze verabschiedet wurden.
Doch seit die Wälder auf der ganzen Welt brennen, ist auch mein Umwelt-Interesse wieder entflammt. Ich frage mich: Müssten wir als Eltern nicht mehr tun, als Diesel zu fahren, ein bisschen zu recyclieren und meistens Stofftaschen beim Einkauf dabeizuhaben? 

Christoph Meili vom World Wide Fund for Nature, Schweiz, beantwortet mir dies mit einem dringlichen Ja. «Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird sich die Erde um drei bis vier Grad erwärmen. Allein das bedeutet über ein Drittel Ernte-Einbussen und ein Aussterben von rund 40 Prozent aller Tier- und Pflanzen-Arten. Vier von fünf Gletschern werden bis zum Ende des Jahrhunderts verschwunden sein», warnt er.

Neue Initiativen: Eltern werden aktiv für ihre Kinder

Dass dies düstere Aussichten für unsere Kinder sind, ist den meisten Müttern und Vätern wohl bewusst, auch, wenn es in der Schweiz bislang keine Studien gibt, die das Umweltbewusstsein von Eltern gesondert untersuchen, sagt mir die Umwelt-Psychologin Dr. Hannah Scheuthle vom Bundesamt für Umwelt. Als ich beginne, nach konkreten Initiativen zu suchen, treffe ich aber viele Eltern, die genau dies motiviert. Um schweizweit politisch aktiv zu werden, startete Jonas Hostettler aus Zürich mit Petra Schmidt und Victor Garcia zum Beispiel die Gruppe «Eltern fürs Klima». Über 2000 Mitglieder traten in wenigen Monaten bei. 

Damit es vor Ort umweltfreundliche Produkte gibt, setzt sich Sonja von Känel mit drei weiteren Müttern dafür ein, den Wochenmarkt in Therwil BL wiederzubeleben. «Nicht jeder schafft es in die Hoflädeli und der Markt ist eine jahrhundertalte Art, verpackungsarm einzukaufen», erklärt sie. «Mit Unterstützung der Gemeinde und Spende der lokalen Brocki wird das Projekt nun in unserem Dorf verwirklicht».

Lokal ökologisch einkaufen zu können, das war auch die Motivation der Product Designerin Ingrid Sanguanini. Im ältesten Chalet von Appenzell verkauft sie ökologisch produzierte Produkte und Kleidung. «Wir fanden auf dem Land kaum Nachhaltiges mit schönem Design – also verkaufe ich sie jetzt einfach selber», erzählt sie. Andere Familien pflanzen und ernten in modernen Kooperativen gemeinschaftlich Kräuter, Obst und Gemüse. 

Umweltprojekte an exotischen Orten inklusive kurzer Pause auf der Palme: «Mit dem Outrigger-Kanu fuhr ich durch Polynesien, um Korallenriffe zu retten», sagt Ulrike Légé.
Umweltprojekte an exotischen Orten inklusive kurzer Pause auf der Palme: «Mit dem Outrigger-Kanu fuhr ich durch Polynesien, um Korallenriffe zu retten», sagt Ulrike Légé.
Sie lassen ihre Haushaltsgeräte in einem der 156 Schweizer Reparatur-Cafès warten und flicken. Viele Eltern mieten Baby- und Kinder-Kleidung, statt sie zu kaufen, und gehen in Unverpackt-Läden einkaufen, die es hierzulande schon an über vierzig Orten gibt. Und sie bemühen sich, ganz konkret im Alltag nachhaltig zu handeln. 

Doch was bedeutet es überhaupt, nachhaltig zu leben? Aus dem Bio-Studium erinnere ich mich, dass der Begriff «Nachhaltigkeit» aus der Forstwirtschaft stammt: In einem nachhaltig bewirtschafteten Wald wird jedes Jahr nur so viel Holz geschlagen, wie auch nachwächst. Für uns Menschen bedeutet dies, den eigenen Naturverbrauch durch sparsame, effiziente Nutzung und Wiederverwertung von Ressourcen innerhalb der Grenzen zu halten, die uns der Planet Erde setzt. 

Wie können wir als Familie mit Nachhaltigkeit beginnen? 

Auch wir müssen aufhören, mehr zu verbrauchen, als der Planet uns geben kann. Um herauszufinden, womit genau wir als Familie die Umwelt besonders stark belasten, bestimme ich erstmal unseren ökologischen Fussabdruck über den Footprint Rechner des WWF. Und stelle fest, dass wir durch unsere Mobilität, Stromverbrauch und Heizung, sowie Ernährung besonders viel Treibhausgase verursachen.

Diese «Grossen Drei» seien typisch, erklärt mir der Erfinder des Rechners, Christoph Meili vom WWF. Um eine bessere Umweltbilanz zu bekommen, sollten wir Technologien nutzen, die ohne fossile Brennstoffe wie Heizöl, Benzin und Diesel auskommen. Der Strom müsste aus Solar und Wind-Energie stammen, Fernkontakte sollten wir online oder per ÖV pflegen und Flugreisen stark einschränken. Unser Konsum von tierischen Produkten wie Fleisch und Käse sei um mindestens zwei Drittel zu reduzieren.

Die Dreifach-Mama lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Therwil BL. Die Familie hat sich fest vorgenommen, Umweltschutz noch mehr in den Familienalltag zu integrieren. 
Die Dreifach-Mama lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Therwil BL. Die Familie hat sich fest vorgenommen, Umweltschutz noch mehr in den Familienalltag zu integrieren. 
Noch mehr Ideen bringt meine jüngste Tochter nach Hause, die mit ihrer Klasse gerade einen Kurs bei der Umweltpädagogin Barbara Schumacher erlebt hat: «Ich nehme nie wieder verpacktes Z’Nüni mit in die Schule, wir müssen im Garten viel mehr Kompost machen und nicht so viel Müll wegschmeissen!». Frau Schumacher ist froh, dass die Umwelt einen jungen, aber enthusiastischen Beschützer mehr hat.  

Hunderte von Kindergarten- und Schulkindern unterrichtet sie jedes Jahr und stellt immer wieder fest: Kinder lassen sich schnell für praktisches Tun begeistern. Eier auf dem Bauernhof kaufen, wo die Hühner glücklich draussen picken. Kompostieren und all die spannenden Lebewesen in der Erde entdecken. Stoffsäcke und Behälter einpacken für jeden Einkauf.

Sie gibt uns einen Tipp für die Familie: «Baut den Umweltschutz einfach wie ein Entdecker-Spiel auf! Legt Euren Müll aus und schaut, woraus besteht er, was können wir reduzieren? Geht abends durch die Räume und schaut, wo blinkt und leuchtet es, was müssen wir ausmachen? Fragt euch, müssen wir das Auto nehmen oder entdecken wir ganz andere Wege zum Laden, zum Ausflug, zu den Grosseltern?»

Uns Eltern rät Barbara Schumacher, das eigene Handeln zu hinterfragen, jeden Tag aufs Neue. Wir müssten kritisch prüfen, ob es so, wie wir es immer gemacht hatten, wirklich das Richtige sei. Oder ob wir ohne Bequemlichkeits-Einbussen nicht doch etwas ändern könnten?

Wir lernen, Vorurteile zu hinterfragen 

Im Gespräch mit engagierten Familien und Experten erscheint das nachhaltige Leben ganz einfach. Aber meine Alltags-Sorgen halten mich noch zurück: Uns mangelt es jetzt schon an Zeit und Geld – wo wir sollen die noch hernehmen für die Umwelt?

Mit Professor Ernst Ulrich von Weizsäcker war ich 1995 zum Berliner Klimagipfel gefahren. Als ich ihn nun kontaktiere, freut sich der 81-jährige Vordenker und Mitglied der Umweltforscher im «Club of Rome» an meinem wiedererwachten Interesse. Er beruhigt mich und plädiert für Pragmatismus: «Ulrike, macht doch einfach, was machbar ist. Mit meinen zwei Krücken kann ich selbst zum Ökoladen weder laufen noch radeln. Dann bringe ich den Wocheneinkauf eben im Auto zurück!»

Was die Kosten betrifft, rät er uns kritischer und weniger zu konsumieren, und lieber auf langlebige, reparier- und wartungsfähige Produkte zu setzen. Wir sollten nicht ständig das Neueste kaufen, denn einen grossen Teil unseres Naturverbrauchs machten die Neuwaren aus. «Freche Lügen» des Marketings müssten wir durchschauen und nicht mehr anschaffen, als es für Umwelt und Familien-Budget gut sei.

Selbst Vater und Grossvater kann er unser Zeit-Problem gut verstehen, ermutigt mich aber zu einer ganz anderen Perspektive: «Die Idee, dass immer der Schnellste gewinnt, ist für unsere Zivilisation eine Katastrophe. Für Familien steckt ein grosser Wert darin, sich gar nicht erst nicht auf das Geschwindigkeits-Karussell zu begeben. Geht es langsam an, aber konsequent.» Ein weiser Rat.

Beim Umsetzen sind unsere Kinder engagiert dabei

Als ich meiner Familie sage, wir würden nun endlich Ernst machen mit dem nachhaltigen Leben, merke ich: Die Kinder sind uns weit voraus. «Wird ja höchste Zeit», meint unser ältester Sohn und liest uns die neuesten Fakten vor: Bereits am 8. Mai 2020, unserem «Swiss Overshoot Day», hatten wir alle natürlichen Ressourcen aufgebraucht, die die Erde innerhalb eines Jahres regenerieren kann. 14 Tonnen an klimaschädlichem CO2 verursacht jeder von uns pro Jahr. Knapp drei Planeten bräuchten wir, wenn jeder Mensch auf der Erde so leben würde wie wir Schweizer. Einen haben wir.

Ob er nach Corona auch endlich zu Fridays for Future gehen darf, will mein Sohn wissen. Und ob wir eigentlich die Botschaft von Greta kapieren würden und wie dringlich es sei? Wir hatten die Notwendigkeit von Umweltschutz schon verstanden, als Greta noch nicht einmal geboren war, möchte ich mich verteidigen. Dann wird mir klar, wie schlecht wir unseren Planeten geschützt und wie viele Jahre wir vergeudet haben. «Klar, darfst du zu den Demos», sage ich deshalb nur. Und nehme mir vor, ich werde auch gehen.


Was können wir als Familie sofort und budgetfreundlich umsetzen?

  • Das Auto mindestens einen Tag in der Woche stehen lassen. Stattdessen zu Fuss gehen, Velo fahren oder die ÖV nutzen. 
  • Die nächsten Ferien in der Schweiz oder dem nahen Ausland planen, am besten ohne Flugreise. 
  • Zu einem Ökostrom-Anbieter wechseln und Geräte und Lichter konsequent ausschalten.
  •  Termin für eine Energie-Beratung ausmachen; viele Gemeinden, Versorger und Energie Schweiz (0848 444 444) bieten dies kostenfrei an.
  • Nur Dinge kaufen, an denen man lange Freude haben kann und die repariert werden können. Falls ein Neukauf unumgänglich ist, die ökologisch empfehlenswerte Variante wählen.
  • Mindestens jeden zweiten Tag fleischlos essen und auf gesunde abwechslungsreiche, pflanzliche Nahrungsmittel setzen.
  • Jede Woche einmal regional, saisonal und in Bio-Qualität einkaufen, am besten auf dem Markt, Hofladen oder mittels Biokiste.
  • Nur so viel Lebensmitteln einkaufen, wie gegegessen werden kann. Bei überschrittenem Mindesthaltbarkeitsdatum sich auf die eigenen Sinne verlassen und Reste verwerten. 
  • Eigene Tragetaschen und Behälter mitnehmen und so Verpackungsabfall vermeiden. 
  • Second-Hand Läden, Kleiderbörsen, Miet- und Tauschmöglichkeiten nutzen, statt nur neue Kleidung zu kaufen.
  • Wieso nicht auch ein Engagmenent für die Umwelt als Freiwillige oder Freiwilliger? 
  • Umweltfreundlich abstimmen. 

Zur Autorin

Ulrike Légé ist Biologin mit Schwerpunkt Naturschutz. Sie arbeitet als freie Journalistin und Autorin. Seit 1995 schreibt sie über Umweltthemen undwird nun selbst aktiv. Vor allem für die Zukunftihrer drei Kinder, mit denen sie und ihr Mannauf dem Land nahe Basel leben, liegt ihr dasThema am Herzen.
Ulrike Légé ist Biologin mit Schwerpunkt Naturschutz. Sie arbeitet als freie Journalistin und Autorin. Seit 1995 schreibt sie über Umweltthemen und
wird nun selbst aktiv. Vor allem für die Zukunft
ihrer drei Kinder, mit denen sie und ihr Mann
auf dem Land nahe Basel leben, liegt ihr das
Thema am Herzen.


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