09. November 2020
«Du musst nicht perfekt sein, Mama!»
Interview: Claudia Landolt
Bild: Pexels
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Lesedauer: 1 Minuten
3 Fragen an die Erziehungsforscherin Margrit Stamm, Autorin des neuen Buches «Du musst nicht perfekt sein, Mama!»
Frau Stamm, Sie sagen, Mutterschaft sei zu einer Art Religion geworden. Wie ist das zu verstehen?
Mutterschaft gilt in unserer Kultur als absoluter Höhepunkt, als erste und wichtigste Beziehung im Leben einer Frau. Mutterschaft ist zu einer neuen, sentimentalen Religion geworden. Diese mit Mutterschaft verbundenen Überzeugungen bauen aber nicht auf Erfahrungen und Beobachtungen, sondern auf fast sakralen Vorstellungen, was eine gute Mutter ausmacht. Mit Ausnahme nordischer Länder sind fast alle westlichen Kulturen von diesem Mythos durchtränkt.
Margrit Stamm ist emeritierte Professorin für Pädagogische Psychologie und Erziehungswissenschaften an der Universität Fribourg sowie Direktorin des Forschungsinstituts Swiss Education in Aarau. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Begabung, Qualität in der Berufsbildung und Förderung von Migrantenkindern.
(Bild: Raffael Waldner)
(Bild: Raffael Waldner)
Mütter stehen unter Druck? Weshalb?
Mütter sehen sich heute einer gesellschaftlichen Dauerbeobachtung ausgesetzt. Deshalb beginnen sie, sich mit anderen Frauen zu vergleichen. Was machen die besser als ich, warum sind andere Kinder klüger? Diese Aufmerksamkeit gegenüber anderen ist der grösste Motor zur Verstärkung des perfekten Erziehungsstils. Und daraus wächst wiederum häufig die Überzeugung, vieles falsch zu machen. Wenn sich Mütter Selbstvorwürfe machen, stufen sie das Gute in sich selbst ab, sehen nur noch das Mangelhafte, fühlen sich schlecht und handeln auch gegen sich selbst.
Gibt es einen Ausweg?
In einem ersten Schritt geht es darum, überhaupt zu erkennen, dass man sich dauernd mit anderen vergleicht und sich möglicherweise schuldig fühlt, keine perfekte Mutter zu sein. Zu ergründen, woher solche Gefühle kommen, lässt sich zunächst am besten mit gleichgesinnten Frauen oder einer Fachperson diskutieren. Zweitens ist es wichtig, die eigene Unvollkommenheit zu akzeptieren. Dass niemand perfekt ist, kommt üblicherweise leicht über die Lippen, aber wer gesteht sich dies wirklich auch ein? Ehrliche Aussagen sind deshalb der erste Weg, um ein gewisses Mass an Eigenliebe zu entwickeln und sich die Aussage einzuprägen: «Nicht nur ich mache Fehler, sondern alle anderen Mütter auch. Ich
bin vielleicht ungeduldig, aber dies gehört zu meiner Person, und dieses Merkmal will ich akzeptieren.»
bin vielleicht ungeduldig, aber dies gehört zu meiner Person, und dieses Merkmal will ich akzeptieren.»
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