Selbsttest: Bedürfnisorientiertes Zuhören und Reden

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Schluss mit elterlichen Verhören, stattdessen offene Gespräche und ungeteilte Aufmerksamkeit! Ab heute reden wir über Dinge, die im Alltag sonst keinen Platz finden – ein Selbstversuch in Kommunikation.
Da fällt mir mein Selbstversuch ein. Über mehrere Wochen will ich die Kommunikationstechniken der Psychotherapeutin Ulrike Döpfner ausprobieren. «Bedürfnisorientiertes Zuhören und Reden» lautet das Prinzip. Mit den einsilbigen Antworten meiner Kinder, wenn sie aus der Schule kommen und ich im Verhörmodus Eckpunkte abfrage, soll Schluss sein.
Offene Fragen, erstaunliche Wirkung
In der Praxis funktioniert dies tatsächlich gut. Meine offenen Fragen erzielen erstaunliche Wirkung. Selbst der sonst nicht so redselige Siebenjährige fängt an zu erzählen, wenn es plötzlich heisst: Was hat dich heute zum Nachdenken gebracht? Wer war nett zu dir? Mit wem hattest du am meisten Spass? Ich muss mich allerdings extrem zusammenreissen, um nicht in alte Muster zurückzufallen. Zu verführerisch ist es, zielgerichtet und an Fakten orientiert abzufragen, wenn der Alltag von so viel Organisatorischem überlagert ist. Hinzu kommt: Damit das Ganze nicht wieder Verhörcharakter annimmt, muss auch ich von meinem Arbeitstag erzählen. Mit wem zum Teufel hatte ich heute noch mal am meisten Spass?
Mit wem zum Teufel hatte ich heute noch mal am meisten Spass?
Am meisten Spass macht Kindern wie Eltern der Katalog aus 100 Fragen am Ende von Döpfners Buch. Sie sollen Gespräche zwischen den Generationen anregen, um mehr voneinander zu erfahren. Wir probieren es an einem warmen Sommerabend aus, beim Picknick im Garten. Der Jüngste stellt die erste Frage: «Wie würde dein Traumhaus aussehen?» Die Grosse fabuliert sofort von einem Haus direkt am Meer, «das Schlafzimmer wäre am wichtigsten, es müsste gemütlich sein zum Lesen». Ihr Bruder schwärmt von einem gigantischen Palast mit vielen Zimmern, einer riesigen Leinwand und einem Fussballstadion – «ich wohne da wie ein König und habe Leute, die für mich arbeiten». (Ist das mein Kind, das so sprudelt?) Den Mann zieht es wie die Tochter in ein Haus am Meer «mit Kaminzimmer». (Was willst du denn mit einem Kaminzimmer?) Und auch ich sehe mich am Wasser – in einem kleinen Haus, mit dem Nötigsten ausgestattet. («Warum klein, wenn du es dir aussuchen kannst?», wundert sich der Sohn.)
Erfahren, was wir nicht wussten
In stressigen Momenten allerdings schlagen die alten Muster und die Verhörtaktik wieder durch. Im besten Fall warnen der Mann und ich uns dann gegenseitig mit Augenrollen. Sehr oft verschwinden die guten Vorsätze im Alltagsrauschen. So wie an jenem Nachmittag, als der Junior unvermittelt fragt: «Wo wohne ich eigentlich, wenn ich gross bin?» Doch diesmal unterdrücke ich den Impuls, ihn auf später zu vertrösten, und antworte stattdessen: «Was glaubst du?» «Vielleicht irgendwo, wo es immer warm ist», sagt das Kind. «Vielleicht aber auch bei dir. Tschü-hüss!» Und weg ist es. Zeitaufwand: 20 Sekunden. Ist aktives Zuhören am Ende gar keine Frage der Zeit? Es ist wie eine Fremdsprache, die geübt werden will: Am Anfang überdenkt man jede Formulierung, irgendwann fliesst es von selbst.
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