Gespräch statt Verhör: Wie rede ich mit meinem Kind? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Merken
Drucken

Gespräch statt Verhör: Wie rede ich mit meinem Kind?

Lesedauer: 7 Minuten

Die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Ulrike Döpfner ist überzeugt, dass sich über Sprache Nähe schaffen lässt und Eltern ihre Kinder besser ­kennenlernen können. Die Buchautorin sagt, warum Kinder oft knapp antworten, wenn man sie nach der Schule oder ihrem Befinden fragt, und weshalb wir mit Söhnen mehr über Gefühle reden sollten. 

Frau Döpfner, frage ich meine Tochter mittags, wie es in der Schule war oder wie ihre Prüfung gelaufen ist, ­bekomme ich oft ein einziges Wort zu hören: «gut». Weshalb sind Kinder so einsilbig?

Das liegt meist an der elterlichen Haltung. Häufig lassen wir uns nicht richtig auf unsere Kinder ein, begegnen ihnen nicht mit voller Aufmerksamkeit, sind abgelenkt von Anrufen oder Mails. Ausserdem kommunizieren wir nicht immer empathisch, stattdessen ähneln unsere Gesprächsversuche Verhören: Wir sind an bestimmten sachlichen Infos interessiert und lenken die Unterhaltung entsprechend. Die Folge: Das Kind fühlt sich unter Druck und weicht aus. Warum stellen Sie Ihrer Tochter denn diese Frage?

Weil mich tatsächlich interessiert, wie die Prüfung war.

Gerade deshalb sollten Sie Ihrem Kind aufmerksam zuhören und auf Zwischentöne achten. Antwortet es leichthin: «Oh ja, die Englischarbeit lief super», besteht vermutlich kein Gesprächsbedarf. Sagt es aber: «Naja, ich weiss auch nicht», hilft meist ein vorsichtiges Nachhaken. «Du klingst etwas enttäuscht – hattest du dir mehr erhofft?» Damit gehen Sie auf den Gesamteindruck ein, den das Kind vermittelt. Was erfolgversprechender ist als: «Wie? Hast du nicht genug geübt?» Dazu müssen wir allerdings aufmerksam und empathisch sein – nur so fühlt sich das Kind verstanden und ist bereit, zu erzählen.

Und wenn es ausweichend antwortet?

Dann ist es am besten, dem Kind ohne Vorwurf in der Stimme zu sagen: «Ich habe den Eindruck, dass du nicht darüber sprechen magst – kann das sein?» Fühlt sich das Kind verstanden, erzählt es vielleicht weiter. Drängen wir es hingegen zu einem Gespräch, macht es oft komplett zu.

Was im Alltag schnell passiert. Wann lohnt es sich, die Englischarbeit noch einmal anzusprechen?

Lassen Sie das Kind erst mal ankommen, warten Sie einen ruhigen Moment ab und versuchen es dann. Manchmal allerdings müssen Eltern akzeptieren, dass der Nachwuchs nicht reden will. Wichtig ist, dies nicht als Ablehnung der eigenen Person zu werten, sondern gesprächsbereit zu bleiben.

Über Gespräche lässt sich mit wenig Aufwand Nähe schaffen, sagen Sie. Was braucht es dafür?

Ungeteilte Aufmerksamkeit ist ganz wichtig; einmal am Tag sollte der Fokus auf dem Kind liegen, ganz ohne Ablenkung. Wir wissen ja von uns selbst: Lässt jemand sein Handy klingeln und gibt dem Gespräch mit uns Priorität, fühlen wir uns wertgeschätzt. Idealerweise sind Eltern dabei offen und neugierig.

Wie meinen Sie das?

Spreche ich mit meinem Kind, ­sollte nicht die Haltung «Wie will ich, dass mein Kind ist?» im Vordergrund stehen, sondern das ehrliche Interesse: «Wer ist eigentlich dieses Wesen?» Auch aktives Zuhören ist hilfreich: Halten sich Eltern zunächst mit Tipps und Einschätzungen zurück und geben wieder, was vom Nachwuchs bei ihnen ankam, fühlt sich das Kind verstanden, denn es kann selbst das Gespräch in die Richtung lenken, die ihm wichtig ist. Darüber hinaus sind Gesprächsrituale hilfreich. Beispielsweise wenn beim gemeinsamen Abendessen die «Frage zum Tag» diskutiert wird: Was war das Lustigste heute? Worüber hast du dich geärgert? Wem hast du geholfen? Jedes Familienmitglied berichtet reihum, auch die Eltern. So sprechen Gross wie Klein als gleichwertige Gesprächspartner auf Augenhöhe, was für Kinder sehr stimulierend ist, weil eben kein Verhör stattfindet, keine Kommunikation von oben nach unten. Es schafft auch Nähe, wenn Kinder etwas vom Tag ihrer Eltern erfahren und nicht nur umgekehrt.

«Unsere Gesprächsversuche ­ähneln Verhören: Wir sind an bestimmten Infos interessiert und lenken die Unterhaltung entsprechend.»

Ein Austausch, für den im dicht ­organisierten Alltag oft kein Platz ist.

Umso wichtiger ist es, dafür Raum zu schaffen. Auch die «100 Fragen» im Anhang meines Buches habe ich dafür entwickelt. Zusammen darüber nachzudenken: «Was macht einen guten Freund aus?», oder sich auszumalen: «Was würde ich gern richtig gut können?», schafft Nähe. Man erfährt auf diese Weise viel mehr voneinander, als wenn nur sachliche Infos abgefragt werden. Dies bereichert beide Seiten ungemein.

Klassischerweise wollen Kinder ­gerade dann über etwas Wichtiges reden, wenn dafür eigentlich gar keine Zeit ist. Morgens, wenn gerade alle das Haus verlassen, zum Beispiel.

Das stimmt. Interessanterweise braucht es aber meist gar nicht so viel Zeit dafür. Das Ganze ist eher ein gedankliches Problem: Wir sind zu absorbiert mit all unseren Punkten auf unserem Tagesplan, um uns darauf einzulassen und plötzlich grosse Fragen über das Leben und den Tod zu debattieren.

Deshalb würgen wir solche Gespräche meist ab mit einem «Weiss ich auch nicht» oder «Besprechen wir später».

Was für mich verpasste Chancen sind! Schaffen wir es aber, uns aus dem aktuellen Stress kurz rauszuziehen und innezuhalten, macht das einen grossen Unterschied: Wir erfahren etwas von unserem Kind. Später ist der Moment dafür meist vorbei und das Kind auch nicht mehr interessiert. Kinder leben im Hier und Jetzt.

Eltern sollen nicht werten oder Tipps geben, sagen Sie. Wenn die Tochter mit ihrer besten Freundin Streit hat, will ich ihr aber doch gerne einen Rat geben.

Natürlich können Sie das – aber nicht reflexartig als ersten Impuls. Sonst berauben Sie Ihre Tochter der Chance, eigene Lösungen zu entwickeln. Sagen wir Eltern immer «Mach das so!» oder «Mach das nicht!», können sich Kinder nicht als kompetent erleben. Es geht darum, dem Kind nicht unsere Sicht überzustülpen, sondern erst einmal zuzuhören. Dann kann das Kind präzisieren, wie es sich fühlt, und wird viel ausführlicher erzählen, weil es realisiert: «Ich werde verstanden!» Für Eltern ist es anfangs seltsam, so zurückhaltend zu sein mit eigenen Meinungen und Tipps.

Sich zurücknehmen im Gespräch ­können ja auch viele Erwachsene nicht. Kommunikation ist sehr oft eine ­Einbahnstrasse, die Leute senden nur, aber empfangen nicht.

Das ist tatsächlich so. Erzählen wir etwas, geht unser Gegenüber oft gar nicht darauf ein, sondern sagt nur: «Ich habe da mal etwas Ähnliches erlebt, das war so…», und redet von sich. Dabei habe ich doch gerade von mir erzählt! Sehr viele Menschen kapern einfach die Gespräche und es findet kein wahrer Austausch statt, der einander näherbringt. Umso wichtiger ist es, dass Kinder in einer guten Gesprächskultur aufwachsen, in der sie lernen, bei der Kommunikation zu senden und zu empfangen.

Oft ist es schwierig, Gefühle zu ­erkennen. Schmollt der Siebenjährige vor sich hin, hilft es nicht, wenn man fragt: «Was ist denn los mit dir?»

Das klingt ja auch schnell vorwurfsvoll. Deshalb versuche ich lieber zu erspüren: «Du bist gerade unzufrieden, oder?» Worauf er vielleicht antwortet: «Nein, ich bin sauer!» So hat er die Chance, das Gefühl zu benennen. Es liegt an uns, ein Kind dabei zu unterstützen, über Gefühle reden zu lernen. Ich habe oft mit Jugendlichen zu tun, die lediglich sagen können: «Es geht mir nicht gut.» Weiter zu definieren vermögen sie nicht, weil sie nie geübt haben, über ihre Gefühle zu sprechen.

Wie können Eltern ihre Kinder dabei konkret unterstützen?

Es vorleben, eigene Gefühle benennen, von sich erzählen. Etwa: «Mir geht es heute nicht gut, ich bin so müde und gestresst.» Aber auch: «Heute hatte ich so ein tolles Erlebnis, ich bin sehr glücklich!» Studien zeigen übrigens, dass Mütter mit Töchtern deutlich emotionsgeladener sprechen als mit Söhnen. Dies führt dazu, dass Mädchen einen Vorsprung darin haben, Gefühle zu thematisieren. Der häufige Vorwurf von Frauen an Männer: «Du sprichst nicht über deine Ge­fühle» ist also ein Stück weit Sozialisierung. Umso wichtiger ist es, dass wir versuchen, mit Jungen genauso über Gefühle zu reden wie mit Mädchen.

«Es ist wichtig, dass Kinder in einer ­Gesprächskultur aufwachsen, in der sie ­lernen, zu senden und zu empfangen.»

Weshalb ist es für Kinder so wichtig, von sich zu erzählen?

Weil es ihnen hilft, Emotionen und Ereignisse in ihrem Leben zu verstehen und zu ordnen. Und weil sie über den gemeinsamen Austausch von Persönlichem, Gutem, aber auch Traurigem Verbindung und Nähe herstellen. Sie geben etwas von sich preis und geben so ihrem Gegenüber die Möglichkeit, sie zu verstehen. Lernen Kinder über sich und ihre Gefühle zu berichten, werden sie auch bereiter sein, sich für die Gefühle ihrer Mitmenschen zu interessieren.

Kommen Kinder in die Pubertät, befürchten Eltern oft, nicht mehr genug von ihnen zu erfahren.

In dieser Zeit ziehen sich Jugendliche zurück, Eltern verlieren zugunsten von Freunden an Bedeutung – das ist eine vollkommen normale Entwicklung. Eltern sollten dies nicht als Zurückweisung verstehen. Natürlich sind Jugendliche, die an Selbständigkeit gewinnen, nicht mehr so einplanbar in das Familienleben, auch nicht für das tägliche Gespräch. Umso wichtiger ist es, dass Eltern ihnen Verfügbarkeit signalisieren: «Ich bin die nächsten ein bis zwei Stunden zu Hause; wenn du Lust zu reden hast, auf eine Tasse Tee oder einen Spaziergang – komm auf mich zu.»

Und wenn das nicht funktioniert?

Das Wichtigste ist: nicht beleidigt sein, wenn das Angebot nicht auf Anhieb angenommen wird. Stattdessen Gespräche immer wieder anbieten, am Ball bleiben. Nicht ablegen unter: «Er hat kein Interesse, lassen wir es», sonst denkt sich der Jugendliche :«Meine Eltern interessieren sich sowieso nicht», und ein Teufelskreis entsteht. Es liegt an den Eltern, immer wieder Angebote für einen Austausch zu machen und hier eine gewisse Flexibilität zu zeigen. Pubertät bedeutet nicht zwangsläufig eine Entfremdung zwischen Eltern und Kind – auch in dieser spannenden Zeit können Eltern und Kinder Nähe erleben.
Ulrike Döpfner, 52, ist Kinder- und ­Jugendpsychotherapeutin in Potsdam (D) und Mutter von drei Söhnen. Sie schrieb das Buch «Der Zauber guter Gespräche. ­Kommunikation mit Kindern, die Nähe schafft». Dazu gehört auch ein Katalog von 100 Fragen, mit denen sich Gespräche zwischen Eltern und Kindern anregen lassen (geeignet für Kinder zwischen 4 und 12 Jahren).
Ulrike Döpfner, 52, ist Kinder- und ­Jugendpsychotherapeutin in Potsdam (D) und Mutter von drei Söhnen. Sie schrieb das Buch «Der Zauber guter Gespräche. ­Kommunikation mit Kindern, die Nähe schafft». Dazu gehört auch ein Katalog von 100 Fragen, mit denen sich Gespräche zwischen Eltern und Kindern anregen lassen (geeignet für Kinder zwischen 4 und 12 Jahren).
Kristina Reiss ist freischaffende Journalistin und lebt mit ihren zwei Kindern und ihrem Mann am ­Bodensee. Sie schreibt am liebsten über den Mikrokosmos Familie und interessiert sich für alles, was Menschen bewegt: Wünsche, Sehnsüchte, Ängste und Hoffnungen.
Kristina Reiss ist freischaffende Journalistin und lebt mit ihren zwei Kindern und ihrem Mann am ­Bodensee. Sie schreibt am liebsten über den Mikrokosmos Familie und interessiert sich für alles, was Menschen bewegt: Wünsche, Sehnsüchte, Ängste und Hoffnungen.


Mehr lesen zum Thema Kommunikation in der Familie: 

  • Zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus?
    Plötzlich schreit jemand, und Türen werden geknallt. Kommunikation in der Familie ist eine knifflige Sache, zumal Kinder manchmal auf Durchzug schalten. Fünf Beispiele aus dem Alltag – und wie man es besser machen kann.
  • Schluss mit starren Rollen – zuhören!
    Viele Eltern flüchten sich gegenüber ihren Kindern in Schauspielerei, weil sie Angst haben, die Führung zu verlieren. Dabei würden ihnen Empathie und ein echter Dialog auch helfen, Grenzen zu setzen, so Jesper Juul.