Mobbing aus Sicht einer Lehrerin
* F. S. unterrichtet an einer Primarschule in Uster. Sie ist 50 Jahre alt.
Die Primarlehrerin F. S.* über ihre Erfahrungen mit einem Jungen, der anders ist als die andern. Und deswegen leiden muss.
Ich unterrichte 22 Schülerinnen und Schüler. Es gibt Kinder, die bereits Malrechnen können, die «Drei Fragezeichen» lesen, und solche, die nicht genau wissen, was mehr ist: fünf oder acht, und beim Lesenlernen erst einzelne Buchstaben erkennen. Mehrere Schüler verstehen sehr wenig Deutsch.
Das Wort «ich» höre ich öfter als vor 25 Jahren, als ich anfing, zu unterrichten. Heute, scheint mir, hängt das Glück der Eltern mehr vom Glück der Kinder ab. Geht es dem Kind gut, geht es auch den Eltern gut. Das Kind ist ein «Projekt», das geplant wird und erfolgreich sein muss.
Wenn ich zum x-ten Mal höre: «Sie, de…hät wieder…», wird es mir manchmal zu viel.
Aufmerksam werde ich, wenn ein Kind öfters und über längere Zeit beim Spielen ausgeschlossen wird, wenn es im Sportunterricht regelmässig als Letztes gewählt wird, nie zu einem Geburtstagsfest eingeladen wird und bei den Gruppenarbeiten oft zuletzt einen Partner oder eine Partnerin findet! Dann merke ich, dass es diesem Kind nicht gut geht und dass es besondere Aufmerksamkeit braucht.
Wie der Junge mit dem Anhängertierli um den Hals, der sich nicht gut spürt. Oft fasst er die anderen Kinder an, «schupft» sie beim Vorübergehen und stört die Gruppe. Er meint das nicht böse, er ist einfach eher ungeschickt und noch unreif im Umgang mit seinen Mitschülerinnen und Mitschülern.
Der Junge wurde von allen Aktivitäten ausgeschlossen
Sein auffallendes Verhalten verstärkte sich dadurch. Das brauchte unheimliche Geduld von meiner Seite, und manchmal fehlte die mir schlichtweg. Wenn ich zum x-ten Mal höre: «Sie, de…hät wieder…», wird es mir manchmal zu viel. Da wünschte ich mir mehr Engagement von den Eltern des betroffenen Kindes.
Dennoch lasse ich mir was einfallen. Ich spreche mit der Klasse, ohne das betroffene Kind, erkläre die Situation des Kindes, fordere die anderen auf, in der Pause als Klasse gemeinsam etwas zu spielen.
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Wir wollen dann wissen: Wieso schliessen sie dich aus? Was könntest du anders machen? Was könnten die anderen ändern, damit sie dich weniger ärgern? Wir treffen Abmachungen, und ich überprüfe sie regelmässig. Wenn man Glück hat, verbessert sich so das Verhalten des Kindes und der Klasse.
Wenn ich als Lehrerin merke, dass so eine Situation andauert und trotz meiner Interventionen sich nichts verändert, suche ich Hilfe bei Fachpersonen. Die Schulsozialarbeiterin kommt dann in die Klasse und übt mit den Schülern, sich abzugrenzen. Die Kinder lernen zum Beispiel mit verschiedenen Spielen, die «Stopp-Regel» einzuhalten und Grenzen zu respektieren.
Mit dem Jungen aus meiner Klasse arbeite ich mit einem Belohnungssystem. Wir haben abgemacht, dass er für jede 15 Minuten, in denen er kein anderes Kind stört, einen Smiley bekommt. Wenn er das eine halbe Stunde lang schafft, darf er sich ein Spiel im Turnen wünschen. Bei 22 Kindern den Überblick zu behalten, fordert.
Bild: Bildbyran/Imago
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