Von Selbstvertrauen und Selbstgefühl - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Merken
Drucken

Von Selbstvertrauen und Selbstgefühl

Lesedauer: 4 Minuten

Was Eltern tun können, um die innere Balance ihres Kindes zu ­stärken. Und was sie in dieser Hinsicht besser lassen sollten.

Text: Jesper Juul
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren

Regelmässig lesen wir darüber, wie Kinder zu einem grösseren Selbstvertrauen finden. Aber geht es dabei um das Selbstvertrauen oder um das Selbstgefühl? Obwohl die Begriffe oft wie Synonyme verwendet werden, meinen sie nicht dasselbe.

Selbstgefühl ist die Fähigkeit, «sich selbst», sein «Zentrum» oder «sein inneres Wesen» zu spüren. Das Selbstgefühl handelt davon, wer wir sind – das Selbstvertrauen davon, was wir können oder tun. Bildlich gesprochen lässt sich das Selbstgefühl als innere Säule beschreiben, die mehr oder weniger hoch sein kann. Oder als eine Art Kommandozentrale, die auf jede Störung der inneren Balance reagiert und versucht, diese wiederherzustellen. Das Selbstvertrauen gleicht hingegen eher einem Gerüst, das eine Person umgibt. Menschen mit einem ausgeprägten Selbstgefühl haben fast immer viel Selbstbewusstsein, was umgekehrt jedoch nicht der Fall ist.

Leider sind die meisten von uns dazu erzogen worden, vor allem das im Auge zu haben, was wir können und leisten.

Es gibt viele Symptome für ein geringes Selbstgefühl. Die häufigsten sind Unsicherheit, Angst, extreme Schüchternheit, Angeberei, Aggressivität und destruktives Verhalten, Lernschwierigkeiten, Egozentrik und Perfektionismus. Wenn ein Kind wenig Selbstgefühl hat, nützt es nicht viel, sein Selbstvertrauen zu stärken, denn dies kommt nur Letzterem zugute. Wer eine Wurzelbehandlung braucht, hat nichts davon, die Anzahl seiner Zahnbürsten zu erhöhen.

Leider sind die meisten von uns zu Hause wie in der Schule dazu erzogen worden, vor allem das im Auge zu haben, was wir können und leisten – doch ist diese Konzentration auf das Selbstbewusstsein oft nur ein kümmerlicher Ersatz für unser Selbstgefühl. Und geringes Selbstgefühl wird oft als fehlendes Selbstvertrauen missverstanden.

Wer unmusikalisch ist, hat auf diesem Gebiet logischerweise wenig Selbstvertrauen. Und wer sich mit Mathematik schwertut, geht mit wenig Selbstvertrauen an mathematische Fragestellungen. Wer aber ein stabiles Selbstgefühl hat, kann mit so einer Selbsterkenntnis gut leben und sie gelassen hinnehmen. Unser Selbstgefühl macht sich auch bemerkbar, wenn wir spüren, dass wir über ein festes Wertesystem verfügen, einen Massstab, der uns hilft, gesunde und klare Grenzen zu setzen und zu entscheiden, was richtig und falsch für uns ist.

Betrachten wir anhand eines Beispiels, wie Eltern das Selbstgefühl ihres Kindes stärken können. Finn ist zweieinhalb und mit seiner Mutter auf dem Spielplatz. Er sitzt oben auf der Rutsche und ruft: «Mama, guck mal!» Man kann diese Aufforderung buchstäblich nehmen. Wie alle Kinder (und Erwachsenen) hat er das Bedürfnis, sein unmittelbares Erleben zum Ausdruck zu bringen und ein Echo von seiner Umgebung zu erhalten. Ein Echo, das eine Bestätigung seiner einzigartigen Existenz in genau diesem Augenblick ist. «Sieht das toll aus!», könnte seine Mutter rufen, oder «Wie hoch das ist!», falls er etwas Angst zu haben scheint. Damit erkennt sie seine Wirklichkeit an und hat sein Empfinden in Worte gefasst. Das fördert sein Selbstgefühl.

Kinder wollen Anteilnahme, keine Beurteilung

Die meisten Eltern neigen aber dazu, den Kindern mehr zu geben, als diese verlangen: «Ja, toll machst du das!» Die Mutter will Finns Selbstvertrauen stärken, indem sie ihn lobt. Für Finn ist das eine Art Kulturschock. Denn er ist ganz im Hier und Jetzt, in seiner Freude des Augenblicks, und hätte sich niemals vorstellen können, dabei von jemandem beurteilt zu werden. Da er, wie alle Kinder, mit seinen Eltern kooperieren möchte, wird sich seine Aufmerksamkeit von sich selbst weg und zu seinen Eltern und deren Urteil hin bewegen. Von nun an wird er versuchen, einen guten Eindruck zu machen, statt einfach er selbst zu sein und den Augenblick zu geniessen.

Finns Mutter könnte auch «Sei vorsichtig!» rufen, doch so gut gemeint diese Warnung auch sein mag, ist sie irrelevant und fehl am Platz. Sollte Finn unsanft im Sand landen, wird ihn diese Erfahrung alles lehren, was er braucht. Die voreilige Warnung seiner Mutter hingegen beeinträchtigt sein unmittelbares Erleben und bereitet ihn auf etwas vor, das er ohnehin selbst erfahren muss. Wenn Eltern ihrem Kind gegenüber häufig Angst und Besorgnis zum Ausdruck bringen, fügen sie seinem Selbstgefühl (und dem Selbstvertrauen!) erheblichen Schaden zu, weil sie die Aufmerksamkeit des Kindes von sich selbst ablenken – was dessen Selbstgefühl reduziert.

Lassen Sie uns ein weiteres Beispiel betrachten. Später zeigt Finn seinem Vater eine Zeichnung, die er angefertigt hat. Viele Väter reagieren mit folgenden Sätzen: «Das ist wirklich ein sehr schönes Bild. Das Haus, das du neulich gezeichnet hast, hat mir aber noch besser gefallen.» Sie äussern also Lob oder sanfte Kritik – im Grunde die Reaktion eines Zeichenlehrers auf die Arbeit eines Schülers. Kleine Kinder malen aber keine Bilder für ihre Eltern, um fachliche Kritik zu erhalten, sondern weil sie gerne malen und die Eltern an ihrer Freude teilhaben lassen wollen.

Man stärkt das Selbstgefühl seiner Kinder am besten, indem man sie bedingungslos liebt.

So eine Situation erfordert eine Antwort, die sich ein wenig von der auf dem Spielplatz unterscheidet. «Das Bild gefällt mir richtig gut. Sieht fast ein bisschen unheimlich aus, findest du nicht? Wie lieb von dir! Ich kann fast nicht erkennen, was das darstellen soll. Hast du an etwas Bestimmtes gedacht?» So zeigen wir unsere innere Beteiligung und Wertschätzung. Es kommt vor allem darauf an, dass unsere Reaktion persönlich und aufrichtig ist und das Geschenk an sich anerkennt, statt es zu beurteilen. Viele Kinder sind leider schon von klein auf abhängig vom Lob ihrer Umgebung – was die Eltern zur Ausrede bringt, die Kinder würden doch selbst nach Lob verlangen.

Man stärkt das Selbstgefühl seiner Kinder am besten, indem man sie bedingungslos liebt. Nicht weil sie hübsch, wohlerzogen oder fleissig sind, sondern weil es sie gibt. Punkt. Wer aus verschiedenen Gründen ohne ein ausgeprägtes Selbstgefühl erwachsen wurde, hat einen langen und beschwerlichen Weg vor sich, dieses wieder aufzubauen. «Sich selbst zu finden» ist bekanntlich nicht leicht – noch schwieriger ist es, sich selbst die bedingungslose Liebe entgegenzubringen, die einem als Kind aus dem einen oder anderen Grund verwehrt wurde.

Gekürzte Fassung des Texts mit dem Originaltitel «Selvtillid og selvfølelse». Übersetzt von Knut Krüger. 

Jesper Juul
Der dänische Familientherapeut Jesper Juul hat wie kein anderer in den vergangenen Jahrzehnten Menschen mit seinen Erziehungs- und Beziehungsprinzipien geprägt. Der Gründer von familylab, einem Beratungsnetzwerk für Familien, und Autor von über 40 Büchern («Dein kompetentes Kind», «Aus Erziehung wird Beziehung») starb am 25. Juli 2019 im Alter von 71 Jahren nach langer Krankheit in Odder, Dänemark. Er war zweimal verheiratet und hinterlässt einen Sohn aus erster Ehe und zwei Enkelkinder.

Alle Artikel von Jesper Juul

Mehr zum Thema Selbstbewusstsein

Advertorial
Strath Kids – die optimale Ernährung für kleine Helden
Strath Kids: Das natürliche Schweizer Nahrungsergänzungsmittel stärkt das Immunsystem und fördert gesundes Wachstum.
Vergleiche: Wer kann was am besten?
Gesellschaft
Wer kann was am besten?
Sei es in der Schule oder auf Social Media: Kinder und Jugendliche vergleichen sich ständig. Sie gewinnen damit wichtige Informationen über sich selbst.
Wie werde ich beliebt?
Familienleben
«Wie kann ich beliebter werden?»
Die neunjährige Jasmina ist unsicher, weil ihre Freundin Ballett tanzt und sehr beliebt ist. Sie bittet unsere Expertin Sarah Zanoni um Rat.
Mut braucht vor allem Selbstvertrauen
Erziehung
«Mut braucht vor allem Selbstvertrauen»
Mut hat viele Facetten. Ingenieurin Anne Richter erzählt, wer von ihren Jungs eher zu physischem und wer zu sozialem Mut neigt.
Familie Grundlehner zum Thema Ängste und Mut
Gesundheit
«Amyras Ängste schränkten unser Leben zunehmend ein»
Familie Grundlehner lebt am Bodensee. Als die achtjährige Tochter Amyra immer ängstlicher wurde, holte sich das Paar professionelle Hilfe.
Mut entwickeln und Ängste überwinden
Erziehung
Wie wird mein Kind mutig?
Eltern wünschen sich mutige Kinder. Mut zeigt sich auf verschiedene Weise. Was hilft einem Kind, mutig zu werden? Und wie können Eltern es unterstützen?
Fördern Sie den Optimismus Ihres Kindes
Erziehung
Fördern Sie den Optimismus Ihres Kindes
Optimistische Menschen haben es leichter im Leben. Sie können den Alltag besser geniessen, trauen sich zu und können sogar mit Rückschlägen und Misserfolgen besser umgehen. Möchten Sie Ihrem Kind dabei helfen, ein wenig optimistischer zu werden?
Elternbildung
Wie wird mein Kind selbstbewusst? 
Kinder brauchen kein übertriebenes Lob, um sich ihrer selbst sicher zu werden, sondern die authentische Reaktion ihrer Eltern.
Selbstvertrauen: Wie Kinder ihren Weg im Leben finden
Familienleben
Wurzeln und Flügel: Wie Kinder ihren Weg im Leben finden
Damit Kinder ihren Weg im Leben finden, müssen sie Selbstvertrauen entwickeln und sich als selbstwirksam erfahren. Ob das gelingt, hängt vom Verhalten ihrer Eltern ab.
7 Tipps
Elternbildung
7 Tipps, wie Sie das Selbstwertgefühl Ihres Kindes stärken
Je selbstbewusster Kinder sind und je stärker ihr Selbstwertgefühl ist, desto besser können sie mit sich, dem Leben und anderen Menschen umgehen.
Was Kinder stark macht
Entwicklung
Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl: Das starke Kind
Wir wünschen uns Kinder, die ihre Stärken kennen und nutzen und ihre Schwächen akzeptieren. Hier erfahren Sie, wie Sie als Eltern Ihr Kind im Alltag stärken.