Von Selbstvertrauen und Selbstgefühl
Was Eltern tun können, um die innere Balance ihres Kindes zu stärken. Und was sie in dieser Hinsicht besser lassen sollten.
Regelmässig lesen wir darüber, wie Kinder zu einem grösseren Selbstvertrauen finden. Aber geht es dabei um das Selbstvertrauen oder um das Selbstgefühl? Obwohl die Begriffe oft wie Synonyme verwendet werden, meinen sie nicht dasselbe.
Selbstgefühl ist die Fähigkeit, «sich selbst», sein «Zentrum» oder «sein inneres Wesen» zu spüren. Das Selbstgefühl handelt davon, wer wir sind – das Selbstvertrauen davon, was wir können oder tun. Bildlich gesprochen lässt sich das Selbstgefühl als innere Säule beschreiben, die mehr oder weniger hoch sein kann. Oder als eine Art Kommandozentrale, die auf jede Störung der inneren Balance reagiert und versucht, diese wiederherzustellen. Das Selbstvertrauen gleicht hingegen eher einem Gerüst, das eine Person umgibt. Menschen mit einem ausgeprägten Selbstgefühl haben fast immer viel Selbstbewusstsein, was umgekehrt jedoch nicht der Fall ist.
Leider sind die meisten von uns dazu erzogen worden, vor allem das im Auge zu haben, was wir können und leisten.
Es gibt viele Symptome für ein geringes Selbstgefühl. Die häufigsten sind Unsicherheit, Angst, extreme Schüchternheit, Angeberei, Aggressivität und destruktives Verhalten, Lernschwierigkeiten, Egozentrik und Perfektionismus. Wenn ein Kind wenig Selbstgefühl hat, nützt es nicht viel, sein Selbstvertrauen zu stärken, denn dies kommt nur Letzterem zugute. Wer eine Wurzelbehandlung braucht, hat nichts davon, die Anzahl seiner Zahnbürsten zu erhöhen.
Leider sind die meisten von uns zu Hause wie in der Schule dazu erzogen worden, vor allem das im Auge zu haben, was wir können und leisten – doch ist diese Konzentration auf das Selbstbewusstsein oft nur ein kümmerlicher Ersatz für unser Selbstgefühl. Und geringes Selbstgefühl wird oft als fehlendes Selbstvertrauen missverstanden.
Wer unmusikalisch ist, hat auf diesem Gebiet logischerweise wenig Selbstvertrauen. Und wer sich mit Mathematik schwertut, geht mit wenig Selbstvertrauen an mathematische Fragestellungen. Wer aber ein stabiles Selbstgefühl hat, kann mit so einer Selbsterkenntnis gut leben und sie gelassen hinnehmen. Unser Selbstgefühl macht sich auch bemerkbar, wenn wir spüren, dass wir über ein festes Wertesystem verfügen, einen Massstab, der uns hilft, gesunde und klare Grenzen zu setzen und zu entscheiden, was richtig und falsch für uns ist.
Betrachten wir anhand eines Beispiels, wie Eltern das Selbstgefühl ihres Kindes stärken können. Finn ist zweieinhalb und mit seiner Mutter auf dem Spielplatz. Er sitzt oben auf der Rutsche und ruft: «Mama, guck mal!» Man kann diese Aufforderung buchstäblich nehmen. Wie alle Kinder (und Erwachsenen) hat er das Bedürfnis, sein unmittelbares Erleben zum Ausdruck zu bringen und ein Echo von seiner Umgebung zu erhalten. Ein Echo, das eine Bestätigung seiner einzigartigen Existenz in genau diesem Augenblick ist. «Sieht das toll aus!», könnte seine Mutter rufen, oder «Wie hoch das ist!», falls er etwas Angst zu haben scheint. Damit erkennt sie seine Wirklichkeit an und hat sein Empfinden in Worte gefasst. Das fördert sein Selbstgefühl.
Kinder wollen Anteilnahme, keine Beurteilung
Die meisten Eltern neigen aber dazu, den Kindern mehr zu geben, als diese verlangen: «Ja, toll machst du das!» Die Mutter will Finns Selbstvertrauen stärken, indem sie ihn lobt. Für Finn ist das eine Art Kulturschock. Denn er ist ganz im Hier und Jetzt, in seiner Freude des Augenblicks, und hätte sich niemals vorstellen können, dabei von jemandem beurteilt zu werden. Da er, wie alle Kinder, mit seinen Eltern kooperieren möchte, wird sich seine Aufmerksamkeit von sich selbst weg und zu seinen Eltern und deren Urteil hin bewegen. Von nun an wird er versuchen, einen guten Eindruck zu machen, statt einfach er selbst zu sein und den Augenblick zu geniessen.
Finns Mutter könnte auch «Sei vorsichtig!» rufen, doch so gut gemeint diese Warnung auch sein mag, ist sie irrelevant und fehl am Platz. Sollte Finn unsanft im Sand landen, wird ihn diese Erfahrung alles lehren, was er braucht. Die voreilige Warnung seiner Mutter hingegen beeinträchtigt sein unmittelbares Erleben und bereitet ihn auf etwas vor, das er ohnehin selbst erfahren muss. Wenn Eltern ihrem Kind gegenüber häufig Angst und Besorgnis zum Ausdruck bringen, fügen sie seinem Selbstgefühl (und dem Selbstvertrauen!) erheblichen Schaden zu, weil sie die Aufmerksamkeit des Kindes von sich selbst ablenken – was dessen Selbstgefühl reduziert.
Lassen Sie uns ein weiteres Beispiel betrachten. Später zeigt Finn seinem Vater eine Zeichnung, die er angefertigt hat. Viele Väter reagieren mit folgenden Sätzen: «Das ist wirklich ein sehr schönes Bild. Das Haus, das du neulich gezeichnet hast, hat mir aber noch besser gefallen.» Sie äussern also Lob oder sanfte Kritik – im Grunde die Reaktion eines Zeichenlehrers auf die Arbeit eines Schülers. Kleine Kinder malen aber keine Bilder für ihre Eltern, um fachliche Kritik zu erhalten, sondern weil sie gerne malen und die Eltern an ihrer Freude teilhaben lassen wollen.
Man stärkt das Selbstgefühl seiner Kinder am besten, indem man sie bedingungslos liebt.
So eine Situation erfordert eine Antwort, die sich ein wenig von der auf dem Spielplatz unterscheidet. «Das Bild gefällt mir richtig gut. Sieht fast ein bisschen unheimlich aus, findest du nicht? Wie lieb von dir! Ich kann fast nicht erkennen, was das darstellen soll. Hast du an etwas Bestimmtes gedacht?» So zeigen wir unsere innere Beteiligung und Wertschätzung. Es kommt vor allem darauf an, dass unsere Reaktion persönlich und aufrichtig ist und das Geschenk an sich anerkennt, statt es zu beurteilen. Viele Kinder sind leider schon von klein auf abhängig vom Lob ihrer Umgebung – was die Eltern zur Ausrede bringt, die Kinder würden doch selbst nach Lob verlangen.
Man stärkt das Selbstgefühl seiner Kinder am besten, indem man sie bedingungslos liebt. Nicht weil sie hübsch, wohlerzogen oder fleissig sind, sondern weil es sie gibt. Punkt. Wer aus verschiedenen Gründen ohne ein ausgeprägtes Selbstgefühl erwachsen wurde, hat einen langen und beschwerlichen Weg vor sich, dieses wieder aufzubauen. «Sich selbst zu finden» ist bekanntlich nicht leicht – noch schwieriger ist es, sich selbst die bedingungslose Liebe entgegenzubringen, die einem als Kind aus dem einen oder anderen Grund verwehrt wurde.
Gekürzte Fassung des Texts mit dem Originaltitel «Selvtillid og selvfølelse». Übersetzt von Knut Krüger.