Eine Familie auf Reisen: Moderne Nomaden
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«Das Glück reist mit»: Moderne Nomaden

Lesedauer: 5 Minuten

Eine Familie begibt sich auf eine Reise und merkt, dass sie nicht mehr sesshaft werden möchte. Was sie zu diesem Entschluss geführt hat, wie Leben und Lernen mit zwei Teenagern unterwegs geht und welche Einsichten sie am meisten überrascht haben.

Text + Bilder: Debora Silfverberg

Vorsichtig klaube ich das vertrocknete Ästlein vom Küchenschrank. Es handelt sich um ein paar ausgedörrte Myrtenblätter und eine kleine, verschrumpelte Beere. Sogleich habe ich den Geruch dieser aromatischen Pflanze wieder in der Nase und stehe neben den «Tomba dei Giganti», den eindrücklichen prähistorischen Gräbern auf Sardinien. Unverhofft rollt mir eine Träne die Backe runter.

«Dicker» wird gerade von oben bis unten geputzt. Schritt für Schritt verschwinden alle persönlichen kleinen Erinnerungen und nach einem Tag steht wieder ein ganz normaler Wohnwagen vor uns. Nichts an dem Vehikel aus Holz, Metall und Kunststoff erzählt mehr von unseren Abenteuern. Nur ein paar Gebrauchsspuren zeugen davon, dass hier gelebt wurde.

Wir sind äusserst zufrieden damit, nirgends fest angebunden zu sein.

«Den Geist von Dicker übertragen wir in unser neues Gefährt», sagen die Mädchen. Die «Dicke» oder wie auch immer sie heissen wird, ist noch nicht da. Aber wenn wir an sie denken, haben wir Schmetterlinge im Bauch. Das Wohnmobil wird uns an neue Orte tragen, gemeinsam mit uns neue Erfahrungen sammeln und uns ermöglichen, etwas leichter unterwegs zu sein.

Im Frühjahr 2020 geben Debora Silfverberg und Nicolas Krückeberg ihre Jobs auf, um mit ihren zwei Töchtern und Hündchen Maila eine grosse Reise durch Europa zu machen. Die Serie «Das Glück reist mit» gibt Einblicke in verschiedene Aspekte einer ungewöhnlichen Familienauszeit.

Ein neues Kapitel

Die Veränderung kam schleichend und doch ist sie für uns alle eindeutig: der Wunsch und das Verpflichtungsgefühl, als Familie ein dauerhaftes Zuhause finden zu müssen, sind verschwunden. Wir sind äusserst zufrieden damit, nirgends fest angebunden zu sein.

Noch immer ist unsere Devise: Jedes Familienmitglied hat ein Veto. Sobald das Bedürfnis nach mehr Kontinuität im täglichen Leben überhandnimmt, werden unsere Energien wieder in die Suche nach einem beständigen Wohnort investiert. 

Teil einer Expat-Blase zu sein, ist nicht das, wonach wir suchen.

Heute überwiegen jedoch die guten Gründe, weiterhin nomadisch zu leben. Wir wenden ganz bewusst das Blatt einem neuen Kapitel zu.

Bye-bye Portugal

Unser Landeversuch in Portugal war ein Durchstarter. Das schöne Dorf am Atlantik gefällt uns weiterhin sehr gut. Die Grundlagen dafür, uns permanent niederzulassen, haben jedoch nicht standgehalten.

Unser Campingplatz wurde zwar wieder geöffnet – die Preise haben sich jedoch verdoppelt und die Gemeinde hat ein Zeitlimit von zwei Monaten pro Jahr für Aufenthalte eingeführt.

Die lebendige Gemeinschaft von Vanlifern, Langzeitreisenden und Einheimischen musste dem Kurzzeit-Tourismus Platz machen. Das Tiny-House-Projekt, an dem wir uns beteiligen wollten, ist neuen Feuerregulationen zum Opfer gefallen.

Die Preise auf dem geliebten Campingplatz in Portugal haben sich verdoppelt.

Wir verabschieden uns also fürs Erste. Das ist traurig, denn wir haben Freunde fürs Leben gefunden. Die Landschaft und das Klima sind wunderbar. Wir sind uns jedoch einig, dass wir Portugal als Besucher besser schätzen können. Unser Bestreben, das Land und seine Leute zu verstehen und ein echtes Zuhause zu etablieren, kostete viel Energie. Vorwiegend Teil der «Expat-Blase» zu sein, wäre demnach einfacher. Es ist jedoch nicht das, wonach wir suchen. Egal wie liebenswürdig die kunterbunte Gruppe aus aller Welt auch sein mag.

Ein Homeschooling-College für die Zukunft

Die Kinder hatten vor anderthalb Jahren auf eine internationale Schule in Portugal mit britischem Lehrplan gewechselt. Dieser Schritt eröffnete ihnen für die weitere Bildung ganz neue Türen. Nun haben wir eine in Oxford basierte Fernschule gefunden, die es uns seit dem neuen Jahr ermöglicht, jederzeit und von überall auf der Welt zu lernen.

Die Mädchen sind sich selbstmotiviertes Lernen gewöhnt und können sich Frontalunterricht kaum mehr vorstellen.

Bis für die Älteste eine erste Berufsentscheidung mit Konsequenzen auf ihren Lebensort ansteht, haben wir noch gute drei Jahre Zeit. Beide Mädchen sind sich selbstmotiviertes Lernen gewöhnt. Sie können sich Frontalunterricht kaum mehr vorstellen.

Die beiden Töchter geniessen ihr selbstbestimmtes Leben.

Was uns daran besonders freut: Das «Homeschooling College» existiert schon seit fast hundertdreissig Jahren und unterstützt auch Familien mit nomadischem Lifestyle mit grosser Wertschätzung. Die Lehrpersonen scheinen Spass daran zu haben, örtlich unabhängig zu arbeiten und dabei Kinder aus über 125 Ländern zu begleiten. Etwas, das im deutschsprachigen Raum so nicht existiert.

Sind wir reisesüchtig?

Sind wir krank mit unserem Wunsch nach weiteren Reisen? Man könnte sagen, wir sind reisesüchtig. Vielleicht haben wir Reisefieber oder Fernweh oder gar einen Wandertrieb?

Der Wortsinn all dieser Begriffe unterstellt dem Wunsch, reisen zu wollen, etwas Ungesundes. Dabei hat sich unser Leben in vielerlei Hinsicht verbessert, seit wir nicht mehr sesshaft sind. Bereits die Vorstellung, zurück in ein Hamsterrad gehen zu müssen, drückt allen auf die Brust.

Sesshaft an einem Ort zu leben, heisst natürlich nicht, jegliche Selbstbestimmung zu verlieren. Für uns fühlt es sich jedoch an, wie ein zu klein gewordener Schuh. Dank unserem Haus in den Cevennen haben wir eine sichere Basis, in welche wir jederzeit zurückkehren können. Mit Backofen und Waschmaschine, um die Bedürfnisse nach häuslichen Annehmlichkeiten zwischendurch stillen zu können.

Das Haus in Frankreich dient der Familie als Rückzugsort.

Im Moment haben wir die perfekte Ausgangslage, um ein nomadisches Leben zu gestalten.

Drei Einsichten 

Vieles ist passiert, das wir nicht erwartet hätten, bevor unsere Reise begann. Drei Dinge überraschten uns besonders:

1. Die Frage: «Was gibt einer Familie Sicherheit?» 

Dass wir unsere Sicherheit in der Beweglichkeit gefunden haben und nicht an einem neuen Wohnsitz, war für uns eine Überraschung. Wir fühlen uns geborgen im Gedanken, uns nicht auf einen Ort festlegen zu müssen. Wir können unsere Destination nach Wetter, Pollenflug und Beziehungsbedürfnissen ausrichten. 

Unterwegs zu sein, ist Teil der Identität unserer Töchter geworden.

Wann immer uns in den letzten drei Jahren eine Krise, Panne oder Krankheit heimsuchte, waren wir umgeben von Menschen, die sich freimütig für uns einsetzten. Heute wissen wir: Wo immer Not ist, gibt es jemanden, der eine extra Meile geht, um zu helfen. Für uns wurde gekocht und eingekauft. Wir haben Fahrdienste geleistet und andere Kinder gehütet. Alles mit Selbstverständlichkeit.

2. Die Aussage: «Teenager soll man nicht entwurzeln» 

Sie mag in vielen Fällen ihre Richtigkeit haben. Bei uns sind jedoch die Kinder der treibende Faktor, einen nomadischen Lebensstil weiterzuführen. 

Unterwegs zu sein, ist Teil ihrer Identität geworden. Sie blicken mit Stolz darauf. Wenn jemand die Auswirkungen unserer Entscheidungen auf ihr Leben in negativer Weise hinterfragt, sind es nicht zuletzt die Mädchen, die empört darauf reagieren. Ihre Freundschaften sind über Deutschland, die Schweiz, Frankreich und Portugal verteilt und es fehlt ihnen nicht an «Jugendkultur». Bedenken, dass wir ihnen einen Bärendienst erweisen, haben wir hinter uns gelassen.

3. Die Erkenntnis: «Unser Glück liegt in alltäglichen Dingen» 

Vor ein paar Jahren träumten wir von einem grossen Stück Land mit einem grossen Haus für ein Projekt mit Ambitionen. Das wäre Glück. Wir hatten eine Wohnung, vollgestopft mit Zeug, das wir irgendwann gekauft hatten und kaum brauchten. Wir lebten im Überfluss. Glücklich darüber waren wir nicht.

Heute sind unsere Ambitionen kleiner geworden. Glück heisst für uns: Trocken sein, ein warmes Bett haben, morgens einen heissen Kaffee trinken. Es heisst, uns frisches und gutes Essen leisten können. Es heisst, einen einmaligen Ausblick geniessen. Und vor allem: Es ist unser Glück, so viel Zeit mit unseren Kindern zu verbringen.

Was uns obendrein glücklich macht, sind gute Gespräche mit freundlichen, neugierigen und weltoffenen Menschen. Das Glück ist mehr als drei Jahre mit uns mitgereist und hoffentlich ist es auch in unserem neuen Wohnmobil stets dabei. Die Reiseserie «Das Glück reist mit» gelangt hier zu einem Ende. Wie schön, dass Sie auch ein kleines Stück mitgereist sind!

Es folgt die neue Serie «Moderne Nomaden» mit Beobachtungen und Gedanken zum Leben als reisende Familie.

Debora Silfverberg
hat viele Jahre als Fach- und Leitungsperson in der Familien- und Sozialpsychiatrie gearbeitet. Seit 2020 ist sie mit ihrem Mann und den beiden Töchtern in verschiedenen Ländern Europas unterwegs und schreibt als freie Journalistin und Autorin über gesellschaftliche Themen.

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