Wie digitale Bildung gelingt - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Wie digitale Bildung gelingt

Lesedauer: 4 Minuten

Was Kinder und Jugendliche mit digitalen Geräten lernen und wie diese im Unterricht eingesetzt werden sollen, ist umstritten. In den letzten Jahren war die Industrie die treibende Kraft – digitale Bildung in der Schule braucht aber vor allem pädagogische Konzepte.

Ich schreibe diesen Beitrag, weil ich mich kürzlich geär­gert habe. Auf einem Kon­gress zum Thema digitale Bildung erklangen aus­ schliesslich Lobeshymnen zu eben diesem Thema. In sämtlichen Vor­trägen, Workshops und Podiums­diskussionen ähnelte die begeisterte Stimmung dem missionarischen Eifer einer Sekte. Kritische Fragen waren nicht erwünscht oder wurden rasch beiseite gewischt.

Ich wollte zum Beispiel wissen, wie sich Päda­goginnen und Pädagogen in Kitas und Schulen ins Boot holen lassen, die dem Einsatz neuer Technologien in ihrer Einrichtung eher kritisch gegenüberstehen. «Man muss sie eben zwingen», antwortete ein Experte, der an einer pädagogischen Fachhochschule lehrt. Diese Ant­wort überraschte mich. Seit wann gilt Zwang als zielführende Mass­nahme?

Als ich einen Blick auf die Liste der Referenten werfen konnte, wurde mir schnell klar, dass die Beteiligten aus Wirtschaft und Wis­senschaft vor allem ein finanzielles Interesse am Thema hatten. Es geht eben um sehr viel Geld. Aber wenn Geschäfte und Forschungsgelder der Grund für digitale Bildung sein sol­len, dann gute Nacht.

Digitale Bildung ist das Schlag­wort der Stunde und weist einen breiten Interpretationsspielraum auf. Jeder Mensch versteht etwas anderes darunter – oder eben nur das, was er darunter verstehen möchte. Dabei ist der Terminus digitale Bildung eigentlich genial. Denn die beiden Worte umschrei­ben punktgenau das Sujet und ver­mitteln dabei gleichzeitig die mah­nende Dringlichkeit, nicht länger den digitalen Wandel in der Bildung zu verschlafen.

Digitale Bildung – was ist das eigentlich?

Heute wird in der Schule unter digi­taler Bildung das technologieunter­stützte Lernen begriffen. Was digi­tale Medien hierzu beitragen können, haben sie in der Pandemie unter Beweis gestellt. Gerade weil die persönliche Anwesenheit der Schülerinnen und Schüler in der Klasse zeitweise nicht möglich war, bewährten sich digitale Tools als Rettung.

Zur digitalen Bildung gehört auch das Wissen, wie wir mit der Technologie, die so viele Bereiche betrifft, souverän und sicher umgehen.

Doch wirklich interessant wird diese Entwicklung erst dann, wenn sich am Ende der Pandemie abzeichnet, welche der digitalen Massnahmen den Unterricht auch in Zukunft erleichtern und berei­chern können. Es gibt aber noch eine andere Definition von digitaler Bildung. Der Begriff muss nicht allein der Wissensvermittlung mit digitalen Mitteln vorbehalten sein, sondern sollte in einem deutlich grösseren Kontext betrachtet werden. Denn zur digitalen Bildung gehört auch das Wissen, wie wir mit einer Tech­nologie, die so unglaublich viele Bereiche betrifft, souverän und sicher umgehen. Lassen Sie uns hierzu einige Stichworte genauer betrachten:

  • Technik
    Ohne Wissen über technische Grundlagen ist ein sinn­voller Einsatz von Geräten nicht möglich. Nur weil viele Kinder heute spielend einfach mit Handy und Tablets umgehen, wissen sie noch lange nicht, wie sie etwa einen Rechner herunterfahren oder gar ein Update durchführen.
  • Schutz
    Unter anderem müssen sie auch wissen, dass ein Klick auf einen Link oder ein PDF Computer­viren und Trojaner auf den Com­puter spülen kann, der Daten und möglicherweise sogar die Hardware beschädigt. Hinzu kommen noch Themen wie Datenschutz und Schutz vor Fremden.
  • Kommunikation
    Messenger wie Whatsapp haben die Kommunika­tion einfacher, schneller und direk­ter, aber auch nerviger gemacht. Das setzt nicht nur Kinder und Jugend­liche unter Druck. Sie müssen zudem den Unterschied zwischen innerer und äusserer Kommunika­tion kennen – unterhalten sich nur zwei Personen oder lesen noch viele andere mit? Auch wenn sich Kinder nicht für E-­Mails interessieren, so sind sie das zentrale Instrument für die Kommunikation etwa mit der Schule. Auch das Thema Höflichkeit kommt hier oft zu kurz. Das beginnt schon bei einer höflichen Anrede oder in Videokonferenzen mit dem Deaktivieren des Mikros desjenigen, der gerade nicht spricht.
  • Lesefähigkeit
    In diesem Maga­zin habe ich schon mehrfach darü­ber geschrieben, dass jedes Medium einer eigenen Lesefähigkeit bedarf. Für ein Buch wird eine andere Lese­fähigkeit benötigt, als für soziale Netzwerke, das Internet und ein Game.
  • Kommerz
    Der Einkauf im Inter­net hat vieles vereinfacht. So kann der beste Preis für ein Paar Sneaker im Handumdrehen ermittelt wer­den. Doch welche ökologischen Fol­gen das bequeme Bestellsystem hat, steht auf einem anderen Blatt. Zudem sind Online­-Anbieter durch Algorithmen in der Lage, die Preise für den jeweiligen Kunden zu vari­ieren. Beim zweiten Besuch des Shops kostet das Produkt plötzlich mehr.
  • Ökologie
    Das ist ein neues und spannendes Zukunftsthema. Es gibt bereits erste Pilotprojekte, in denen Schülerinnen und Schüler lernen, wie sich die Welt der Informatik mit Ökologie und Nachhaltigkeit ver­knüpfen lässt.
  • Zur Ruhe kommen
    Pausen und Ausschalten der digitalen Geräte – auch das muss geübt und erlernt werden. Ständiges On-­Sein ist unge­sund.

Ja, digitale Bildung ist enorm wich­tig. Aber sie sollte vor allem inhalt­lich und pädagogisch und mit Augenmass betrieben und nicht mit grossem Nachdruck durchgepeitscht werden. In den letzten Jahren war vor allem die Industrie die treibende Kraft, wenn es um den digitalen Fortschritt in Bildungsinstitutionen ging.

Nachdem nun alle Schulen weitgehend ausgestattet sind, sind jetzt die Kindergärten dran. Nicht allen gefällt das. Vor allem, wenn wir auf die Weltgesundheitsorganisation WHO hören, die dringend davon abrät, Kinder unter drei Jahren an die Bildschirme zu lassen.

Sinnvoller wäre es, das pädagogische Konzept mit einer überzeugenden Zielset­zung gemeinsam im Team zu ent­wickeln, bevor es an die Anschaf­fung geht.

Um Missverständnisse zu ver­meiden: Ohne die Wirtschaft geht es nicht, aber es muss eine Partner­schaft auf Augenhöhe sein. Oft war es in den letzten Jahren so, dass erst die Geräte angeschafft wurden und dann Überlegungen über einen sinnvollen Einsatz angestellt wur­den.

So ist es kein Wunder, wenn einzelne Mitarbeitende aus pädago­gischen Einrichtungen vom Einsatz digitaler Medien in ihrer Arbeit nicht überzeugt sind. Sinnvoller wäre es, das pädagogische Konzept mit einer überzeugenden Zielset­zung gemeinsam im Team zu ent­wickeln, bevor es an die Anschaf­fung geht. Konstruktive Kritik sollte stets erwünscht sein und die Zweif­ler nicht als Technologiemuffel und Spielverderber abqualifiziert wer­den. Nur gemeinsam kann digitale Bildung gelingen.

Digitale Bildung – 5 Thesen

  • Ohne funktionierende Strukturen und wohlüberlegte Konzepte geht es nicht.
  • Viele Lehrkräfte wünschen sich nach dem Ende der Pandemie eine Rückkehr zur Normalität. Aber Unterricht mit mehr digitalen Mitteln ist die neue Normalität.
  • Digitale Bildung ist kein Wundermittel. Schülerinnen und Schüler werden auch mit Tablets nicht umhinkommen, den Stoff zu lernen.
  • Die Industrie muss sich dem Vorwurf, sie würde zu stark in die Bildung eingreifen, respektvoll und kritisch stellen.
  • Ziel muss es sein, dass digitale Bildung irgendwann ein selbstverständlicher Bestandteil der Allgemeinbildung wird.

Thomas Feibel
ist einer der führenden ­Journalisten zum Thema «Kinder und neue Medien» im deutschsprachigen Raum. Der Medienexperte leitet das Büro für Kindermedien in Berlin, hält Lesungen und Vorträge, veranstaltet Workshops und Seminare. Zuletzt erschien sein Elternratgeber «Jetzt pack doch mal das Handy weg» im Ullstein-Verlag. Feibel ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

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