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Willst du das wirklich posten?

Lesedauer: 4 Minuten

Die permanente Überwachung im Netz ist gefährlich für uns alle. Wie wir bei Kindern ein besseres Bewusstsein für das Private schaffen.

Text: Thomas Feibel
Bild: Adobe Stock

Was unter Privatsphäre zu verstehen ist, hat die UNO im 16. Artikel der Kinderrechtskonvention sehr gut beschrieben: «Kein Kind», so heisst es dort, «darf willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung oder seinen Schriftverkehr oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden.» Die Sache hat jedoch einen Haken: Die meisten Kinderrechte sind eher als Ideal zu verstehen, nicht immer stimmen Wunsch und Wirklichkeit überein.

Internet und Privatsphäre schliessen sich grundsätzlich aus.

Beim Thema Privatsphäre fällt diese Abweichung sogar besonders gravierend aus. Gerade die ganz grossen IT-Konzerne haben in den letzten Jahren die Grenzen der Privatsphäre niedergewalzt und daraus ein profitables und für die Allgemeinheit intransparentes Geschäftsfeld erschaffen. Gesundes Misstrauen scheint mir angebracht.

Internet und Privatsphäre schliessen sich meiner Meinung nach grundsätzlich aus. Denn niemand weiss, wer sich sonst noch neben Techfirmen, Geheimdiensten und Hackern im Hintergrund tummelt, um Nutzerinnen und Nutzer auszuspähen. Dass wir Erwachsene noch keine zufriedenstellende Lösung gefunden haben, um uns und unsere Kinder vor solchen Zugriffen zu schützen, fühlt sich wie ein Dilemma an. Der absolute Verzicht auf die Internetnutzung ist keine Option.

Ohne Privatsphäre keine Demokratie

Für eine demokratische Gesellschaft, die modern, frei und ohne Kontrolle leben möchte, ist die  Einhaltung der Privatsphäre eine wesentliche Grundvoraussetzung. An totalitären Systemen ist sehr gut erkennbar, was geschieht, wenn sie eingeschränkt wird. Wer im Iran ins Internet gelangen möchte, braucht eine Legitimation per Ausweis. Es herrscht Zensur und der Staat kann jeden Klick überwachen.

Und China führte vor ein paar Jahren «Social Scoring» ein, um das Verhalten der Bevölkerung zu bewerten. Chinesen, die brav und konform die Regeln des Regimes befolgen, kommen in den Genuss praktischer Vorzüge. Kritische Geister oder gescheiterte Geschäftsleute hingegen werden heruntergestuft und abgestraft. Auf diese Weise verlieren die Bürger jegliche Individualität und Authentizität. Sicher, in der westlichen Welt sind wir von solchen krassen Kontrollszenarien weit entfernt. Ausspioniert werden wir aber trotzdem. Nur nicht unbedingt vom Staat.

Dass heute IT-Konzerne unsere Netzaktivitäten permanent screenen, analysieren und auswerten, ist ein offenes Geheimnis. Mit unseren Daten und den damit verbundenen Erkenntnissen verdienen sie Milliarden. Aber längst gibt sich dieser Markt nicht mehr nur mit den Erlösen aus personalisierter Werbung zufrieden, sondern mischt mit dubiosen Mitteln auch kräftig bei Wahlmanipulationen mit. Der Brexit ist ein Beispiel dafür, welcher Schaden der Demokratie auf diese Weise zugefügt werden kann. Das ist alles bekannt.

Der Preis der Bequemlichkeit

Warum zahlen wir dann weiterhin für verschiedene Dienste mit unseren Daten? Weil wir den Nutzen über den Vertrauensbruch stellen. Es geht einfach deutlich schneller, einen Arzttermin über das Internet zu buchen, als telefonisch bei der chronisch überlasteten Sprechstundenhilfe durchzukommen. Preise lassen sich im Netz schneller vergleichen und bestellte Waren werden bis an die Haustür geliefert. Ich bin da sicher keine Ausnahme.

Die grossen IT-Konzerne haben die Grenzen der Privatsphäre niedergewalzt und daraus ein profitables und intransparentes Geschäftsfeld erschaffen.

Was dennoch bleibt, ist ein Unbehagen. Der Staat versucht zwar, mit Gesetzen und Datenschutz der misslichen Lage Herr zu werden, jedoch nur mit mässigem Erfolg. Denn es gibt noch ein weiteres Problem: Eine ganze Gesellschaft plaudert selbst unentwegt ihr ganzes privates und berufliches Leben in den sozialen Netzwerken aus. Illustrativ, exhibitionistisch, politisch und meinungsstark. Wie können wir da von Kindern, die tagtäglich in diesen Welten unterwegs sind, Zurückhaltung erwarten? Das wird zwar schwierig, ist aber nicht gänzlich unmöglich.

Kinder haben ein Recht auf Privatsphäre und brauchen sie auch. Nur wecken ihre Aktivitäten auf Tiktok und Instagram bei Eltern oft ungute Gefühle. Sicher, sie probieren sich in sozialen Netzwerken munter aus. Was sie aber mit erschreckender Freimütigkeit einer Öffentlichkeit preisgeben, löst unter Erwachsenen mitunter Kopfschütteln aus oder treibt ihnen gleich die Schamesröte ins Gesicht. Oft nehmen Gespräche dazu einen schwierigen Verlauf, da soziale Netzwerke in den Augen der Kinder fester Bestandteil der Jugendkultur sind und sie uns, ihren Eltern, hierzu keinerlei Kompetenzen zutrauen. Das macht es so schwer, Kinder vor sich selbst zu schützen.

Darum lautet mein Vorschlag, das Thema besser von der analogen Seite her aufzurollen. Das dürfte uns leichter fallen, da wir ab Beginn der Pubertät alle Zeichen eines natürlichen Abgrenzungsprozesses bei unseren Kindern beobachten: Auf einmal sollen wir nicht mehr beim Anziehen dabei sein, oder neuerdings wird das Bad abgeschlossen. Kommen Freunde zu Besuch, wird plötzlich die Kinderzimmertür zugemacht. Unser Einsammeln der herumliegenden Dreckwäsche und des angesammelten Geschirrs darin empfinden sie schnell mal als «herumschnüffeln». Tagebucheinträge und Nachrichten auf ihrem Smartphone sind ohnehin tabu. Auch erzählen sie uns nicht mehr alles, weil sie schliesslich neue Erfahrungen ausserhalb der Familie machen wollen.

Das Kinderzimmer hat eine Tür, das Internet nicht. Die Eltern verzeihen alles, das Internet vergisst nichts.

Sprechen wir doch mit ihnen darüber, dass wir ihre Grenzen respektieren und sie auf dem Weg zur Eigenständigkeit unterstützen. Versichern wir ihnen, dass ihr Zuhause der geschützte Raum ist. Und schreiben wir mit ihnen zusammen eine Liste, welche Grenzen ihnen besonders wichtig sind. Dann können wir mit ihnen anhand dieser Punkte vergleichen, warum einerseits der geschützte Raum so restriktiv behandelt werden muss, aber andererseits die unbekannte weltweite Öffentlichkeit des Netzes nicht.

Es versteht sich doch von selbst, dass Vertrauliches in der Familie bleibt, aber im Netz gibt es keine Kontrolle, was weitererzählt wird. Das Kinderzimmer hat eine Tür, das Internet nicht. Die Eltern verzeihen alles, das Internet vergisst nichts. Vielleicht können wir mit diesem Gespräch keinen Blumentopf gewinnen, aber kluge Kinder werden diese Gedanken im Hinterkopf behalten. Echte Privatsphäre gibt es nur zu Hause.

Das Mantra der Privatsphäre

  • Informationelle Selbstbestimmung heisst, dass du entscheidest, was andere von dir wissen dürfen und was nicht.
  • Das Internet vergisst nichts.
  • Halte dich mit persönlichen Informationen zurück.
  • Beachte das Recht am eigenen Bild.
  • Sei nicht zu gutgläubig.
  • Vertraue nur echten Freunden.
  • Bleibe im Netz misstrauisch.

Thomas Feibel
ist einer der führenden ­Journalisten zum Thema «Kinder und neue Medien» im deutschsprachigen Raum. Der Medienexperte leitet das Büro für Kindermedien in Berlin, hält Lesungen und Vorträge, veranstaltet Workshops und Seminare. Zuletzt erschien sein Elternratgeber «Jetzt pack doch mal das Handy weg» im Ullstein-Verlag. Feibel ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

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