Wenn Mama bloggt
Über seine Kinder im Internet zu schreiben, liegt im Trend. Ein Grund: An einem Blog kann Mama von zu Hause aus arbeiten. Aber Blogs zu Geld machen, ist ein hartes Geschäft.
Anyworkingmom entstand auch nie neben dem Wickeltisch. Andrea Jansen geht zum Schreiben ins Büro – in ihrem Fall in einen hippen Co-Working-Space in Zürich. Bloggen passiert in ihrer offiziellen Arbeitszeit von etwa 60 Prozent. Der Blog ist, neben Beratungstätigkeiten, Vorträgen und journalistischen Artikeln, zu einem beruflichen Projekt geworden – und das war auch von Anfang an so geplant. Nach einigen Werbekooperationen wollen die beiden Frauen im nächsten Jahr auf langfristige Partner setzen und versuchen, mit innovativen Ideen den Blog zu finanzieren. So zum Beispiel mit einem eigenen Produkt: lustigen Karten für Mütter, die dem Mutterberuf mit einem Augenzwinkern huldigen.
Obwohl die Familie bei den Bloggern im Zentrum ihres Schaffens steht, krabbelt nur ein einziges Kleinkind durch den grossen Seminarraum eines Kongresshotels in Basel – alle anderen haben ihre Kinder zu Hause gelassen. Die Sponsoren mit Buntstiften und Malbüchern warten vergeblich auf gelangweilte Kinder. Unter den Frauen (und vereinzelten Männern) herrscht die fröhliche Stimmung eines grossen Klassentreffens. Man kennt und liest ja viel Persönliches voneinander.
Wer Geld verdienen will, muss zu Medienunternehmen werden
Die Kugelschreiber sausen nur so über das Papier, als Svenja Walter von meinesvenja.de, einem der erfolgreichsten deutschen Familienblogs, über ihre Strategien spricht. «Ich schreibe schon lange nicht mehr, worauf ich gerade Lust habe», stellt sie klar. «Und wenn ihr eine grosse Reichweite erzielen wollt, könnt ihr das auch nicht mehr.» Die Geschäftsfrau legt ihren beeindruckenden Verdienst offen und betont gleichzeitig: «Ja, ich kann mittags für meine Kinder kochen – aber ich arbeite schon seit Jahren an sieben Tagen pro Woche.»
Nach dem energiegeladenen Auftritt von Svenja gibt es spannende Diskussionen im Foyer. «Ich weiss nicht, ob ich so strategisch werden will», sagt eine Mama. «Vielleicht sollte ich doch endlich mal wieder mein Layout überarbeiten, wenn ich sehe, wie professionell die anderen Seiten wirken», meint eine andere.
«Ich finde es einfach schade, dass viele der Mamabloggerinnen nicht mehr ins «richtige» Berufsleben zurückkommen.»
Karin aka Frau Brüllen
Dass immer mehr Bloggerinnen das Schreiben zum Beruf machen möchten, sieht Karin kritisch: «Zum einen werden sich die Blogs doch immer ähnlicher, wenn alle strategisch denken. Zum anderen wird die Bloglandschaft langweilig und glattgebügelt, wenn sich immer mehr Bloggerinnen selbst zensieren und sich nicht mehr trauen, eine vielleicht nicht mehrheitsfähige Meinung zu äussern, um keine Werbekunden oder Leser zu verschrecken. Ausserdem kommen viele dieser Frauen nicht mehr ins ‹richtige› Berufsleben zurück – und das finde ich einfach schade.»
Wer zu kommerziell wird, enttäuscht die Leserinnen
Noch 2005 hatten sich Mama-Bloggerinnen weltweit dem Credo der New Yorker Bloggerin Alice Breadley angeschlossen, die schrieb, dass das Verbloggen des Privatlebens ein «radikaler Akt» sei. Weil die Frauen hier das Mamasein genau so darstellen könnten, wie sie es täglich erleben. Mamablogs seien eine wichtige Ergänzung zu den von Männern dominierten Medien, wo Mütter nur als perfekte Werbeschablonen oder als zickige Problemwesen inszeniert würden. Genau diese «feministische Seite» des Bloggens gehe verloren, wenn die Mütter vor allem darauf aus seien, Geld zu machen, zu diesem Schluss kam auch die Studie aus Montreal.
«Könnte dieser Beitrag meinen Töchtern einmal schaden, im unwahrscheinlichen Fall, dass eine von ihnen Bundesrätin wird?»
Diese Frage stellt sich Ellen Girod jedes Mal, bevor sie auf „Veröffentlichen“ klickt.
Noch ist die Bloglandschaft in der Schweiz vielfältig: Einige Blogs sind tagebuchartige Erlebniserzählungen, andere beschäftigen sich mit bestimmten Erziehungsansätzen wie dem Attachment Parenting und der Umsetzung im Alltag oder stellen Themen wie Ernährung oder Basteln in den Mittelpunkt. Und manche wollen auch gesellschaftlich etwas bewirken. So betont Andrea Jansen, dass ihr primäres Ziel nicht das Geldverdienen sei, sondern Themen anzusprechen, über die zu wenig geredet wird.
Eines der Hauptthemen auf anyworkingmom ist die Vereinbarkeit. «Vor allem, aber nicht nur von Beruf und Familie, sondern auch die Vereinbarkeit der neuen Situation mit dem Ich», sagt Andrea Jansen. Sie will damit nicht nur andere Mütter erreichen, die mit ähnlichen Themen zu kämpfen haben, sondern vor allem junge Frauen, die sich überlegen, ob sie ein Kind bekommen sollen. «Ich höre noch immer viel zu oft den Satz: ‹Ich habe nicht gewusst, was mit einem Kind auf mich zukommt.› Das muss sich ändern.»
Wie privat ist zu privat?
Andrea Jansen wählt bewusst einzelne Bilder ihrer Kinder zur Veröffentlichung aus und versieht sie mit einem Wasserzeichen. «Da ich prominent bin, kann man sowieso herausfinden, wie meine Kinder aussehen, wenn man es denn unbedingt will. Ich finde auch, dass Kinder im öffentlichen Raum stattfinden müssen. Aber ich überlege mir jedes Bild sehr genau», erklärt sie.
Ellen Girod nimmt ihre Kinder nie frontal auf. Ausserdem überlegt sie sich bei jedem Text vor der Veröffentlichung: «Könnte er meinen Töchtern einmal schaden, im unwahrscheinlichen Fall, dass eine von ihnen Bundesrätin wird?» Andrea Jansen umgeht diese Frage so gut als möglich, indem sie über sich und ihre Gefühle als Mutter schreibt – peinliche Erlebnisse ihrer Kinder bleiben draussen. «Man muss die Hosen runterlassen, damit es ein guter Text wird», sagt sie. «Aber doch bitte die eigenen und nicht die der Kinder.»
Bloggen macht glücklich
Zur Autorin
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