Wie Kinder auf Schleichwegen manipuliert werden

Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren
Gezielte psychologische Beeinflussung gibt es im Netz wie in der Familie. Sie missachtet stets die Kinder und verhindert ihre freie Meinungsbildung.
«Meine Mutter», meldete sich ein 17-Jähriger freimütig zu Wort, «sagt immer: Du kannst natürlich tun, was du willst, aber du weisst, wie ich darüber denke.»
Das ist schon eine sehr bemerkenswerte Aussage. Auf den ersten Blick lässt ihm die Mutter die freie Entscheidung, um sie dann auf der emotionalen Ebene so aufzuladen, dass letztlich eine freie Entscheidung nicht mehr möglich ist.
Ganz gleich, ob wir emotionalisieren oder übertrieben loben, Manipulation gehört in den meisten Familien zum Alltag und ist keine reine Netzproblematik. Manipulation macht viele Prozesse einfacher und bequemer, ist aber immer falsch. Wir hintergehen auf diese Weise das Kind, weil wir es auf Schleichwegen zu etwas bringen, das es eigentlich gar nicht will.
Wir sind als Eltern gefordert, zusammen mit den Kindern die Methoden der Manipulation zu entlarven.
Selbstverständlich versuchen Kinder auch, ihre Eltern zu manipulieren. Kein Wunder, sie lernen schnell, diese mit den eigenen Waffen zu schlagen. Im Netz gelingt das nicht.
Influencer tragen die Manipulation schon im Namen
Auch die Entwickler von Games haben einen Weg gefunden, ihre Zielgruppe zu manipulieren und ihr mehr Geld aus der Tasche zu ziehen. Etwa mit Bezahlsystemen wie den In-App-Käufen: Das Grundspiel ist gratis, weitere Elemente müssen bezahlt werden. Im kostenlosen «Fortnite Battle Royal» muss niemand Geld ausgeben, um voranzukommen. Und keiner muss Skins kaufen, die nur eine individuelle Gestaltung der Spielfigur ermöglichen. Trotzdem macht Epic Games genau damit Umsatz in Milliardenhöhe und arbeitet schon in der Konzeptionsphase mit Kognitionspsychologen zusammen. Sie sind unter anderem dafür zuständig, dass die Spieler zufrieden sind, denn nur dann kehren sie immer wieder zurück und sorgen für Umsatz. Das Motiv für den Kauf erklärte mir ein Zwölfjähriger in einem Workshop so: «Lasse ich meine Figur, wie sie ist, dann machen sich meine Freunde über mich lustig.»
In Corona-Zeiten boomt die Desinformation
So funktionieren die gängigsten Online-Manipulationstechniken:
- Framing bedeutet, Worten durch ihre Auswahl eine bestimmte Bedeutung zuzuordnen. Diese Methode wird häufig in der Politik angewandt, um die Botschaft auf eine kurze und griffige Formel zu reduzieren. Wenn also von «Flüchtlingswelle» gesprochen wird, assoziiert das Gehirn den Begriff mit etwas Negativem. So wie es auch einen Unterschied macht, ob von einem «Investor» oder von einer «Heuschrecke» gesprochen wird.
- Priming ist eine psychologische Form der Manipulation, bei der das Gegenüber durch sprachliche Reize beeinflusst wird, ohne es zu merken. Die Methode greift im Gehirn auf Gerüche, Geräusche, Erlebnisse und Gefühle zurück. Ein Beispiel, das ich gerne in Workshops anwende, ist ein alter Kinderwitz. Machen Sie selbst den Test: Lassen Sie Ihr Kind zehnmal hintereinander «weiss» sagen. Fragen Sie dann: «Was trinkt eine Kuh?» Sie trinkt natürlich Wasser. Aber die Antwort lautet meistens «Milch.» So funktioniert Priming.
- Mere-Exposure-Effekt: Kommt ebenfalls aus der Psychologie. Er bedeutet: Je öfter etwas wiederholt wird, desto positiver wird es vom Gehirn wahrgenommen. Viele wundern sich über die bizarren Aussagen von Donald Trump. Je bizarrer, desto mehr werden sie von den Nachrichten aufgegriffen. Dabei ist es gleich, ob seine Aussagen wahr, unwahr oder lächerlich sind. Denn unterbewusst wird Trump seinen Wählern auf diese Weise immer vertrauter.
All diese Methoden sind nur dazu geschaffen, den Blick der Menschen auf die Realität zu verschleiern, um sie zu manipulieren. Hinzu kommt noch ein weiterer Effekt: Viele Webseiten oder soziale Medien versuchen, aufgrund der Informationen, die sie über den einzelnen User haben, sein Verhalten vorauszusagen. Beim nächsten Besuch liefern sie ihm dann nur jene Informationen, die seine Einstellung bestätigen. Andere Standpunkte filtern sie heraus. So entsteht eine «Filterblase», in der der Nutzer den Bezug zur Realität verliert.
Wenn Kinder und Jugendliche einer solchen Manipulation unterliegen, haben sie keine Chance, sich eine klare Meinung zu bilden und die Realität zu erkennen. Wer aber nicht lernt, sich mit anderen Standpunkten auseinanderzusetzen, weil er diese nicht wirklich erlebt, wird auch niemals argumentieren können. Doch ohne freie Meinungsbildung und Argumentationsfähigkeit gibt es keine Demokratie.
Deshalb sind wir als Erwachsene gefordert, Kinder und Jugendliche dabei zu unterstützen, Informationen aus dem Netz kritisch zu hinterfragen und mit ihnen die Methoden der Manipulation zu entlarven. Beispiele im Netz gibt es genug.
So stärken Sie Ihre Kinder gegen Manipulation
- Verzichten Sie möglichst auf jede Form der Manipulation Ihres Kindes: kein übertriebenes Lob, angedrohter Liebesentzug und Flunkern.
- Suchen Sie beeinflussende Beispiele in verschiedenen Medien, etwa TV-Werbung, und sprechen Sie mit Ihrem Kind darüber.
- Suchen Sie gemeinsam nach Beispielen ausgewogener Berichterstattung.
- Lesen Sie mit Ihrem Kind «Des Kaisers neue Kleider» von Hans Christian Andersen und sprechen Sie mit ihm über den Plot.
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