Nur wer mitspielt, kann mitreden! - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Nur wer mitspielt, kann mitreden!

Lesedauer: 4 Minuten

Der Fall des 12-jährigen Paul, der von einem Mann entführt wurde, den er in einem Onlinegam kennen gelernt hat, hat viele Eltern aufgeschreckt. Vielen von uns war vermutlich nicht einmal bewusst, dass Onlinegames oft eine Chatfunktion beinhalten. Aus aktuellem Anlass wiederholen wir einen Text vom Spieleexperten und Vater Marc Bodmer, der Eltern dazu auffordert, mitzuspielen. Und erzählt, wie das funktioniert, ohne sich anzubiedern.

Ich bin so frei und nehme an, dass Sie über eine E-Mail-Adresse verfügen, vielleicht  täglich durchs World Wide Web surfen und sogar hin und wieder Ihre Facebook-Seite mit Dingen füttern, die Sie beschäftigen. Tag für Tag kommunizieren wir online, suchen nach Informationen, eignen uns die dafür nötigen Fähigkeiten und Kompetenzen an. Die einen schneller, die anderen haben Schwierigkeiten und veröffentlichen zum Beispiel Nacktbilder, die sie ihren Job im Bundeshaus kosten. 
 
Doch mit einem, ausgerechnet dem ersten rein digitalen, Unterhaltungsmedium tun sich die Erwachsenen in der Regel schwer: den Videospielen. Ihre kommerziellen Anfänge gehen auf das Jahr 1972 zurück, als mit «Pong» von Atari eine äusserst simple Tischtennis-Simulation in die Spielsalons gestellt wurde. Wo einst zwei Striche und ein wandernder Punkt für Vergnügen sorgten, stehen sich heute Cyber-Klone von Roger Federer und Rafael Nadal in massstabgetreu rekonstruierten Stadien gegenüber. In Anbetracht dieses fundamentalen Wandels wirkt die elterliche Aussage «Ich habe ja selbst einmal gespielt» sehr schwach. «Pac-Man», «Space Invaders» und Co. haben mit den heutigen Games etwa so viel gemein wie ein Trottinett mit einem Hochgeschwindigkeitszug. 

Eltern daddeln auf dem Handy, wollen aber von Videogames nichts wissen.

Gewandelt hat sich auch die Spielergemeinde. 53 Prozent der Spieler sind männlich, 47 Prozent weiblich. Dieses fast ausgeglichene Verhältnis liegt am Aufkommen der Smartphones und den mobilen Spielen auf dem Telefon. Diese werden vornehmlich von Frauen gespielt. Auch sind die Spieler im Schnitt älter geworden – und damit der Generationengraben kleiner. 

Trotzdem hat sich die Einstellung der Eltern gegenüber jenen Videospielen, die der Sohnemann bevorzugt, kaum verändert. Ist das Spiel komplexer als das schnelle Puzzle-Game auf dem Handy oder die abgespeckte Variante eines Echtzeit-Strategie-Spiels vom Schlag «Die Siedler», schreckt das viele Eltern ab. Titel wie «Fifa» oder Action-Games à la «Call of Duty» oder «GTA 5» verlangen nicht nur Nerven, sondern viel Fingerfertigkeit, Reaktionsvermögen und vor allem Zeit. All diese Komponenten erschweren den Zugang zu einem Medium, das laut James-Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften von über 90 Prozent der männlichen Schweizer Jugendlichen regelmässig genutzt wird. Schon allein aus diesem Grund können wir Eltern es uns nicht erlauben, uns nicht selbst mit diesem interaktiven Medium auseinander zusetzen und auf Dritterfahrungen zu setzen. 

Vertrauen Sie sich der fachkundigen Anleitung Ihres Kindes an!

Gerade Computerspiele zeichnen sich durch ein sehr individuell geprägtes Erleben aus, weil die Interaktivität im Spiel eine grosse Rolle spielt. Jeder empfindet das Spiel etwas anders, aber jeder muss es selbst erfahren, um es zu verstehen. Vergleichbares kennen wir aus dem Sport. Es gibt zum Beispiel Tage, an denen läuft der Ball rund: jeder Schuss ein Treffer. Doch dann gibt es Momente, die geprägt sind von Zweifeln. Man spielt zögerlich, ärgert sich über dumme Fehler. Solche Erfahrungen gibt es beim Schauen eines Filmes nicht. Solche Momente erfordern ein aktives Zutun. 
 
Überhaupt die Fehler: Sie gehören beim Gamen einfach dazu. Niemand mag sie, aber «trial and error – Versuch und Irrtum» bilden die Grundlage des Mediums. Das Schöne dabei ist, dass man im Spiel nichts kaputt machen kann. Uns «Alte» begleitet im Vergleich zu den Kids, die einfach mal ausprobieren, stets die Angst, etwas falsch oder kaputt zu machen. Dieses unschöne Gefühl können wir getrost ablegen und uns der kundigen Führung unserer Kinder anvertrauen. 

Sie werden vieles über die Gesetzmässigkeiten und Mechanismen von Games lernen!

Sicher: Die Position des Lernenden wird für Sie ungewohnt sein. Üblicherweise sind es ja wir, die aufgrund unserer Erfahrung den Kids einiges mitgeben. Nun bewegen wir uns in ihrer Welt, einer Welt, in der sie Grandioses vollbringen: das Universum retten, Kriege gewinnen oder gottgleich über virtuelle Untertanen regieren. Von der Anlage her erinnern einige Spiele an Räuber und Gendarme. Doch vom Erleben her gab es in unserer Kindheit nichts Vergleichbares. Wir konnten lediglich davon träumen, Superhelden zu sein. Es blieb uns verwehrt, sie wirklich zu spielen, wie James Bond irgendwo eine Bombe zu pflanzen, um dann aus sicherer Entfernung das Feuerwerk zu beobachten. 
 
Um das zu erleben, braucht es aber Geduld. Von Ihnen und noch mehr von Ihrem Nachwuchs. Schreibmaschinenschreiben haben Sie auch nicht in fünf Minuten gelernt. Doch hier müssen Sie ein gutes Dutzend Tasten und Schalter am Controller blind bedienen können, sonst sind Sie weg vom Bildschirm. Deshalb empfiehlt es sich, mit einem einfachen Videospiel wie Autorennfahren einzusteigen. Klar werden Sie die ersten paar Minuten von Leitplanke zu Leitplanke donnern, aber danach verläuft die Lernkurve ziemlich steil. Geduld wird mit dem gemeinsamen Spielerlebnis belohnt, und natürlich wissen Sie anschliessend auch mehr über die Mechanismen und Gesetzmässigkeiten von Games. 

Zuschauen gilt nicht!

Sie erfahren, dass online gespielte Rollenspiele wie «Skyrim» oder «League of Legends» mehr Zeit pro Spiel in Anspruch nehmen als «Fifa» oder ein Rennspiel. Bei Online-Games, die zusammen mit Bekannten gespielt werden, kann man auch nicht einfach speichern und aussteigen, wie dies beim Online-Einzelspiel möglich ist. Sie werden kompetenter in die nächste Diskussion um andere Verpflichtungen des Kindes wie Hausaufgaben, Abendessen, Aufräumen gehen. Verhindern werden Sie die Diskussion natürlich nicht. 
 
Grundvoraussetzung für den Einstieg in die Welt der Videospiele ist echtes Interesse. Wenn es nicht den Spielen gilt, dann zumindest dem Zeitvertreib der Kinder. Eine anbiedernde Haltung wird entlarvt. Nutzen Sie die Chance, besonders mit den Jungs in Dialog zu treten, und lassen Sie sich die Dinge erklären. Sie werden staunen, wies sonst wortkarge Zeitgenossen bildhaft von ihren Errungenschaften und Abenteuern erzählen. Im Cyberspace geht es eben ums Erleben. Zuschauen gilt nicht. 

Dieser Text erschien in der Printausgabe 10/14 des Schweizer ElternMagazins Fritz+Fränzi. Die Ausgabe kann hier nachbestellt werden.


Tipps für Eltern beim gemeinsamen Gamen mit Kindern

  • Steigen Sie mit einem einfachen Spiel wie einem Autorennspiel oder einer Tennis-Simulation ein. Reaktionsschnelle können auch einen Shooter wählen.

  • Die Tasten müssen blind bedient werden können, und das braucht Zeit und Übung. Haben Sie Geduld!

  • Fragen Sie Ihre Kinder nach ihren Lieblingsspielen und informieren Sie sich online. Auf www.ign.com oder www.twitch.tv können Sie zum Beispiel Spielstars zuschauen. Für die Erklärung braucht es aber Ihre Kinder.

Tipps für Kids beim gemeinsamen Gamen mit Eltern…

  • Setzt euch auf eure Hände. Finger weg vom Controller! Erklärt Taste für Taste, was Mutter oder der Vater machen muss.

  • Auch ihr habt nicht alles gleich begriffen, und eure Eltern mussten sich gedulden. Jetzt seid ihr dran mit der Geduld! 

  • Eure Eltern werden immer wieder scheitern. Ermutigt sie weiterzumachen. Ihr seid die Coaches. Helft ihnen mit Tipps, wie sie es besser machen können.

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Marc Bodmer schreibt seit mehr als 20 Jahren über Videospiele und ist stolzer Vater eines Teenagers. 
Marc Bodmer schreibt seit mehr als 20 Jahren über Videospiele und ist stolzer Vater eines Teenagers.