Brutale Spiele machen etwas mit der Seele des Kindes - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Brutale Spiele machen etwas mit der Seele des Kindes

Lesedauer: 4 Minuten

Wenn Kinder und Jugendliche Ego-Shooter spielen, machen sich Eltern meist Sorgen. Warum diese oft unbegründet sind, was es mit der sogenannten Angstlust auf sich hat und warum trotzdem Vorsicht geboten ist, weiss unser Kolumnist.

Mit einem Maschinengewehr im Anschlag betritt der 12-Jährige das heruntergekommene Fabrikgelände, in dem sich ein Rudel Zombies aufhält. Zunächst heizt er der Meute mit Handgranaten und Molotowcocktails ein, dann eröffnet er das Feuer. Am Ende rammt er dem letzten Gegner sein Kampfmesser mit einem unappetitlichen Geräusch in den Kopf.

Schauen wir unserem Kind bei einem solchen Computerspiel über die Schulter, ist es für uns nahezu unmöglich, entspannt zu bleiben. Wir finden es schrecklich, können gar nicht anders. Besonders beunruhigend dabei ist, dass unser Kind aktiv am Drücker sitzt und mit einer Vielzahl an Waffen lässig hantiert. 
Ja, es gibt ein Recht darauf, sich Sorgen zu machen. Ja, Eltern dürfen ihren Kindern solche Spiele verbieten. Sie müssen nur wissen, warum.

Wenn Kinder in Action-Spiele
eintauchen, geht es ihnen nicht ums Töten. Sondern ums Spielen. Ego-Shooter machen aus Gamern nicht automatisch Amokläufer.

Aggressive Action-Games haben oft eine verstörende Wirkung, hauptsächlich auf Menschen, die sie nicht spielen. Viele Eltern hegen die Befürchtung, dass das eigene Kind in Sachen Gewalt verroht und abstumpft.

Ein sicheres Indiz dafür scheint die Aggression zu sein, die bei Spielern wie Rauch beim Feuer entsteht. Schüler erzählen mir oft, dass sie mitten im Spiel manches Mal vor Wut den Controller durch die Gegend pfeffern. Einer hat das Ding sogar aus dem Fenster geworfen.

Auf der Suche nach Möglichkeiten, Dampf abzulassen

Das Spiel mag der Auslöser für derlei Eruptionen sein, das Motiv hat jedoch einen anderen Ursprung: In der Adoleszenz funktioniert bekanntlich die Selbstregulation nur mässig und in jedem Kind und jedem Jugendlichen schlummert – auch frei von Videospielen – ein gewisses Aggressionspozential. Schliesslich erleben sie in ihrem Alltag, in der Schule, mit Freunden oder im Elternhaus immer wieder Situationen, die ihnen ihre eigene Machtlosigkeit demonstrieren. Darum sind sie auf der Suche nach probaten Mitteln, um Dampf abzulassen.

Wer Kinder und Jugendliche fragt, warum sie gerne Shooter spielen, bekommt oft zu hören, dass sie damit ihren «Frust rauslassen» wollen. Das klappt allerdings nur be­dingt, da das Scheitern im Spiel immer wieder neue Enttäuschungen nach sich zieht. Ein ähnlich missverständliches Phänomen erleben wir bei Erwachsenen, die fernsehen, um sich «zu entspannen». Meist ist das Gegenteil der Fall.

Von der Tötungshemmung zum Amoklauf?

Studien zur Frage, ob Videospiele nun die Aggressionen steigern oder nicht, sind höchst widersprüchlich und bringen uns in der Erziehungsarbeit nicht weiter. Fakt ist, dass einen nahezu jedes Spiel in Rage bringen kann – wenn man verliert.

Trotzdem wird immer wieder behauptet, dass aggressive Games beim Spieler die Tötungshemmung senken würden. Diese Theorie stammt aus dem militärischen Bereich. Untersuchungen zufolge haben zahlreiche Soldaten im Kriegseinsatz nicht auf den Feind, sondern in die Luft oder gar nicht geschossen. Darum werden in diesem Umfeld tatsächlich Simula­tionsspiele eingesetzt, die die Tötungs­­hemmung abbauen sollen. 

Nur: Hier werden solche Spiele mit einer festgelegten Absicht verwendet. Kinder und Jugendliche – und auch viele Erwachsene – spielen aber bloss zum reinen Zeitvertreib, ohne eine übergeordnete Agenda. Auch glaube ich nicht an die Plattitüde, dass Ego-Shooter aus Gamern automatisch Amokläufer machen. Gleichzeitig bin ich aber gegen jegliche Bagatellisierung des Themas Gewalt durch die Gamer-Fraktion.

Alles halb so wild?

Es sei, so heisst es aus dieser Runde immer wieder, doch ähnlich wie beim Spiel «Eile mit Weile». Es gehe nur darum, zu treffen und nicht getroffen zu werden. Andere sind der Ansicht, dass es schliesslich auch brutal sei, wenn Super Mario auf einen Pilz springe. Meiner Meinung nach stammen diese relativierenden Argumente aus der Gamer-Steinzeit, als der Tod im Spiel noch gleichbedeutend war mit «Spielende» am Arcade-Automaten. Nur der er­­neute Münzeinwurf erweckte die Spielfigur neu zum Leben.

Heute aber haben Kinder durch Mobilgeräte und Konsolen Zugriff auf Spiele mit extrem realistischen, filmähnlichen Abbildungen von Krieg und dystopischen Welten. Persönlich habe ich nichts gegen Ego-Shooter und Action-Games. Nur: Dieses Angebot ist für Erwachsene gedacht. Für Kinder und Jugendliche ist das allerdings kein Grund, sie nicht zu spielen.

Wie Kinder brutale Spiele sehen

Für Eltern ist das nur schwer nachvollziehbar, aber Kinder und Jugendliche sehen das Thema Gewalt mit völlig anderen Augen. Wenn sie tief in Action-Spiele eintauchen, geht es ihnen nicht ums Töten, sondern ums Spielen. Kein Teenager sagt zum Beispiel: «Mama, kann ich nach den Hausaufgaben zwei Stunden töten gehen?» Sie denken nicht einmal so. Sie wollen sich mit anderen Spielern messen, das Ziel erreichen und die Welt retten. 

Natürlich sind dabei für sie jene Spiele besonders reizvoll, die nicht für ihr Alter gemacht sind. Sie genies­sen den Umgang damit, weil sie davon überzeugt sind, dass sie, wie Schüler es mir gegenüber selbst ausdrückten, «die nötige Reife dazu haben». Dabei verhält es sich ähnlich wie beim klassischen Horrorfilm: Es geht um die sogenannte Angstlust. Wie viel Spannung und Schrecken halte ich aus? Das ist heikel, denn wenn dabei die Grenze des Aushaltens nur minimal überschritten wird, ist es schon zu spät. Angst, Albträume oder Schlaflosigkeit können die Folge sein. Schüler erzählen mir dann, dass sie nach dem Spielen nachts in der Wohnung unheimliche Geräusche hören, weil ihr Nervenkostüm so angegriffen ist. «Wenn ich meinem Kind ein Spiel verbiete», erklären mir Eltern resigniert, «geht es zu seinen Freunden und spielt es dort.» Na und? Ist das ein Grund, keine Haltung zu zeigen?

Ich sage es sehr deutlich: Brutale Spiele haben in Kinderhänden nichts verloren. Bin ich zum Beispiel der Meinung, dass Krieg grausam und kein Spiel sein sollte, dann vermittle ich diese Haltung und verbiete diese Spiele. Immer mit Argumenten und nicht aus Prinzip. Und vergessen wir nicht: Selbst wenn ich davon überzeugt bin, dass junge Spieler klar zwischen Gewalt im Spiel und realer Gewalt unterscheiden können, sehe ich dennoch keinen Grund zur Entwarnung. Bru­tale Spiele machen etwas mit der Seele des Kindes und die muss von uns beschützt werden.

Computerspiele und Gewalt

  • Achten Sie auf die Altersangaben der Hersteller.
  • Bei Unsicherheit den Namen des Spiels googeln.
  • Bei diesem Thema gibt es starken Gruppendruck – wie sehen das die Eltern der anderen?
  • Stillschweigende Akzeptanz von Gewaltspielen ist bequem, aber falsch.
  • Haltung zeigen, wenn Sie Gewalt als Spiel ablehnen.
  • Erklären Sie Ihrem Kind Ihre Haltung mit Argumenten.
  • Sprechen Sie mit Ihren Kindern darüber, was ihnen Angst macht.

Thomas Feibel
ist einer der führenden ­Journalisten zum Thema «Kinder und neue Medien» im deutschsprachigen Raum. Der Medienexperte leitet das Büro für Kindermedien in Berlin, hält Lesungen und Vorträge, veranstaltet Workshops und Seminare. Zuletzt erschien sein Elternratgeber «Jetzt pack doch mal das Handy weg» im Ullstein-Verlag. Feibel ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

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