24. September 2017
Warum sollten Paare sich Familien- und Erwerbsarbeit egalitär teilen?
Interview: Evelin Hartmann
Bilder: Herbert Zimmermann / 13 Photo
Bilder: Herbert Zimmermann / 13 Photo
Lesedauer: 7 Minuten
Seit 1993 begleitet Margret Bürgisser im Rahmen einer Studie Paare, die sich sowohl die Erwerbsarbeit als auch die Kinderbetreuung gleichwertig teilen. «Egalitär» nennt sie diese Rollenteilung und spricht von einem Erfolgsmodell. Die Soziologin über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, den Verzicht auf Status und das Gefühl des «Ungenügendseins».
Ein Familienquartier am Luzerner Stadtrand. Zwischen den gepflegten neuen Häusern spielen Kinder, fahren Velo und Trottinett. Für die Eltern stehen Bänke bereit. In der obersten Etage eines dieser Häuser wohnt Margret Bürgisser mit ihrem Mann. Von ihrer Dachterrasse aus kann sie die Kinder beobachten. «Schön, dass Familien hier so viel Raum haben», sagt die Soziologin, und: «Wollen wir das Gespräch hier draussen oder im Wohnzimmer führen? Ich richte mich nach Ihnen.»
Margret Bürgisser, Sie haben die Lösung für ein Problem gefunden, dass viele Mütter und Väter umtreibt. Wie lassen sich Beruf und Familie besser vereinbaren?
Als Patentrezept für jeden Mann und jede Frau würde ich meine Studienergebnisse nicht bezeichnen. Aber ja, meinen Erhebungen zufolge erweist sich das «egalitäre» oder partnerschaftliche Rollenmodell als Weg zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und zum Erreichen einer hohen Lebensqualität für die ganze Familie.
Sie haben 28 Elternpaare aus der Deutschschweiz in Abständen von etwa zehn Jahren dreimal über ihre Rollenteilung interviewt.
Als ich 1993 mit meinen Recherchen begann, gab es nur sehr wenige Paare, die solch ein Familienmodell lebten. Um eine substanzielle Beteiligung der Väter an Kinderbetreuung und Hausarbeit zu gewährleisten, habe ich bewusst diejenigen Paare gewählt, bei denen die Männer 50, 60 oder maximal 70 Prozent berufstätig waren. Heute würde ich das egalitäre Modell offener definieren.
Dr. phil. Margret Bürgisser ist Soziologin und Inhaberin des Instituts für Sozialforschung, Analyse und Beratung ISAB (www.isab.ch) sowie Buchautorin. Seit über 20 Jahren forscht sie über sozialen Wandel, Gleichstellung, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, partnerschaftliche Rollenteilung sowie andere Themen.
Margret Bürgisser: Partnerschaftliche Rollenteilung – ein Erfolgsmodell. Hep Verlag 2017.
Margret Bürgisser: Partnerschaftliche Rollenteilung – ein Erfolgsmodell. Hep Verlag 2017.
Und wie?
Unter egalitärer Rollenteilung verstehe ich eine Arbeitsteilung zwischen Mutter und Vater, die in einem ähnlich grossen Teilzeitpensum berufstätig sind und sich die Verantwortung für Berufsarbeit, Kinderbetreuung und Hausarbeit gleichverantwortlich teilen.
Im September erscheint Ihr Buch: «Partnerschaftliche Rollenteilung – ein Erfolgsmodell», die Quintessenz Ihrer Erkenntnisse. Damit wollen Sie jungen Eltern Mut machen, dieses Modell zu leben. Worin liegen denn die Vorteile?
Die partnerschaftliche Rollenteilung bietet Eltern die Möglichkeit, sowohl ihrem Beruf nachgehen zu können als auch an der Entwicklung der Kinder teilzuhaben. Und es gewährleistet, dass die Hausarbeit – das ungeliebte Stiefkind – auf beide Partner aufgeteilt wird. Wenn die Verantwortung für die Erwerbsarbeit auf zwei Schultern ruht, verteilt sich ausserdem das Risiko der Existenzsicherung.
Das hört sich traumhaft an. In der Praxis klagen aber vor allem Mütter, dass sie sich zwischen Job und Familie zum Teil bis zur Erschöpfung aufreiben.
Ich vermute, dass dieses Gefühl des Unvermögens in der ersten Familienphase, wenn die Kinder klein sind, sehr verbreitet ist. Irgendwo kommt immer etwas zu kurz. Man hat als junge Mutter oder junger Vater nun mal nur begrenzte Möglichkeiten – unabhängig vom Familienmodell. Wenn aber die Mutter zu Hause bleibt, um einem Ideal zu entsprechen, obwohl sie eigentlich andere Ambitionen hätte, kann auch das in ihr Gefühle des «Ungenügendseins» auslösen.
Meines Erachtens liegt das Problem auch darin, dass die meisten Paare die Rollen trotz Berufstätigkeit der Frau oftmals nicht wirklich teilen. Der Vater arbeitet weiterhin 100 Prozent und die Mutter trägt neben ihrem 50-Prozent-Erwerbspensum zu Hause weiterhin die Hauptverantwortung.
Paare mit jüngstem Kind unter drei Jahren arbeiten in der Schweiz in etwa gleich viel, nämlich die Frauen 71,7 und die Männer 71,4 Stunden pro Woche. Das ist die Summe aus Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung und Hausarbeit. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern liegt darin, dass die Arbeit der Männer mehrheitlich bezahlte Erwerbsarbeit ist und die der Frauen unbezahlte Familienarbeit. Verständlicherweise haben Frauen immer noch das Gefühl, dass die Koordination von Kinderbetreuung und Hausarbeit mehrheitlich bei ihnen liegt.
Die Frau ist also so etwas wie die logistische Schaltzentrale der Familie?
Genau. Von daher stimme ich Ihnen zu, wenn Sie sagen, dass mehr Familienarbeit an der Mutter hängen bleibt als am Vater. Aber es hängt eben von der Höhe der Arbeitspensen ab. Arbeiten Mann und Frau ähnlich viel, gleicht sich die Rollenteilung in der Praxis an. Wenn ein Vater (mindestens!) einen Tag pro Woche zu Hause für alles allein verantwortlich ist, vom Kochen übers Waschen bis hin zur Kinderbetreuung, fühlt er sich ebenso für den häuslichen, familiären Bereich verantwortlich.
«Paare, die sich gemeinsam entwickeln, haben stabilere Beziehungen als andere Paare.»
Margret Bürgisser, Soziologin
Aber in dem Fall bleibt nicht nur ein Partner, sondern gleich beide hinter ihren beruflichen Möglichkeiten zurück.
Die von mir befragten Paare betonen mehrheitlich, dass die Karriere für sie nicht im Vordergrund stand. Verstehen sie mich nicht falsch: Das sind zum Teil hochqualifizierte Fachleute, die sich als leistungs- und berufsorientiert beschrieben haben. Doch die Balance zwischen Familie und Beruf war ihnen immer wichtig. Viele Paare haben auch betont, dass sie, als die Kinder klein waren, auf manches bewusst verzichtet haben. Es ging ihnen primär um die Qualität ihres Zusammenlebens und nicht um Geld und Karriere. Ich habe auch festgestellt, dass Paare, die sich gemeinsam entwickeln, stabilere Beziehungen haben als andere Paare. Die Scheidungsrate egalitär organisierter Paare liegt unter dem schweizerischen Durchschnittswert.
Verzicht ist bei diesen Familien demnach ein Schlüsselbegriff?
Im Sinne von Verzicht auf Geld und Status, ja. Nicht im Sinne von inhaltlicher Weiterentwicklung im Beruf. Bezeichnend ist, dass ein Grossteil der Studienteilnehmer zu einem späteren Zeitpunkt sein Arbeitspensum aufgestockt hat und ein Viertel sogar noch Karriere machen konnte. Das partnerschaftliche Familienmodell schliesst demnach eine – verzögerte – berufliche Karriere nicht aus.
Ich stelle mir das aber auch nicht einfach vor: Da hat man diese Abmachung und dann kommt ein tolles berufliches Angebot. Halten diese Beziehungen so etwas aus?
Das muss kein Beziehungskiller sein, sofern man das gut miteinander aushandelt. An meiner Studie hat beispielsweise ein Paar teilgenommen, das zusammen eine Grafikagentur geführt hat, bis die Frau das Angebot bekam, in einem Verlag eine Führungsposition zu übernehmen. Ihr Mann riet ihr, die Chance zu ergreifen, und das Ganze hat sich gut entwickelt. Allerdings waren ihre Kinder schon grösser. Wichtig ist in solchen Situationen, dass keiner den Eindruck hat, der andere lebe auf seine Kosten.
Die Soziologin Margret Bürgisser im Gespräch mit Fritz+Fränzi-Autorin Evelin Hartmann.
Sie sprachen es eben an: Bei Ihren Studienteilnehmern handelte es sich um qualifizierte bis hochqualifizierte Fachkräfte. Welche Voraussetzungen braucht es, dass das Modell funktioniert?
Zunächst einmal braucht es von beiden Partnern den Willen, diese Rollenteilung zu leben, sowie ein hohes Mass an Organisations-, Verhandlungs- und Konfliktfähigkeit. Man muss auch akzeptieren können, wenn der Partner etwas andere Vorstellungen von Kindererziehung und Ordnung hat. Auch die gerechte Vereilung der Hausarbeit war bei manchen Paaren immer wieder ein Zankapfel. Ausserdem müssen die Rollen stetig neu definiert werden: Wie geht es uns gerade als Paar? Als Familie? Wie sieht es mit meinen Bedürfnissen aus, wie mit deinen? Stimmt es noch so für uns? Das ist mitunter anstrengend, hält die Beziehung aber längerfristig lebendig. Man bleibt im Gespräch.
Welche wirtschaftlichen Faktoren spielen eine Rolle?
Für Geringverdiener ist es sehr schwierig, so zu leben, da oft beide Partner voll arbeiten müssen, um die Existenz zu sichern. Ein Teilzeitpensum ist in solchen Fällen kaum möglich. Das geht nur bei Paaren, bei denen beide einen recht guten Lohn verdienen. Ausserdem ist es schwierig für selbständig Erwerbende, die hochpräsent für ihre Kundschaft sein müssen, und auch in Branchen, in denen die Bereitschaft, Teilzeit zu ermöglichen, gering ist. Aber die Nachfrage steigt! Das Bundesamt für Statistik hat 2013 junge Menschen nach ihrem favorisierten Erwerbsmodell befragt. Ein Grossteil der Befragten hat sich für das partnerschaftliche Modell mit beidseitiger Teilzeitarbeit ausgesprochen.
Aber die Realität sieht doch bei vielen anders aus. Kaum ist das Baby auf der Welt finden sich viele Paare in einem annähernd klassischen Rollenmodell wieder. Warum das?
Das ist eine gute Frage. Vielleicht weil viele junge Männer immer noch denken, sie müssten zwingend und schnell Karriere machen. Oder weil die Arbeitgeber zu wenig entgegenkommend sind in Sachen Teilzeitarbeit. Oder weil die Männer immer noch nicht den Mut haben, sich für eine Pensenreduktion starkzumachen. Der Typus des Karrieremannes, der bereit ist, im Job eine überdurchschnittliche Leistung zu bringen, ist immer noch das ideale Männerbild, dem die Männer nacheifern. Zu sagen: solange die Kinder nicht zur Schule gehen, werde ich 80 Prozent oder sogar noch weniger arbeiten, dazu fehlt vielen Männern der Mut.
Eine partnerschaftliche Rollenteilung würde auch bedeuten, dass manche Fraen mit ihren Pensen hochgehen oder zumindest häusliche Verantwortung an die Väter abgeben müssten. Und dazu sind nicht alle Mütter bereit – weil sie die Zeit mit den Kindern verbringen wollen oder weil sie es auch ganz schön finden zu Hause…
… dann sollen sie das so machen. Ich bin dafür, dass die Leute das realisieren, was sie sich wünschen. Wenn dieses Modell für sämtliche Familienmitglieder stimmt, ist das doch auch eine Lösung. Ich bin überzeugt vom partnerschaftlichen Modell – unter bestimmten Rahmenbedingungen –, aber ich bin keine Missionarin, die es allen überstülpen will.
Statistisch gesehen stagniert das egalitäre Rollenmodell seit Jahren im niedrigen Prozentbereich.
Das stimmt und hat nicht zuletzt auch politische Gründe. Es mangelt an griffigen Fördermassnahmen. Das 1996 in Kraft getretene Gleichstellungsgesetz zielt fast ausschliesslich auf Gleichstellungsmassnahmen im Erwerbsbereich ab.
«Ab 2019 werden keine Finanzhilfen mehr an Frauenberatungs- und Wiedereinstiegsfachstellen gezahlt.»
Margret Bürgisser kritisiert die Schweizer Gleichstellungspolitik.
Was sinnvoll klingt.
Aber sehr einseitig ist. Bisher wurden ausgewählte Fachstellen dabei unterstützt, Mütter und Väter in Sachen Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu beraten. 2016 hat der Bundesrat jedoch entschieden, ab 2019 keine Finanzhilfen mehr an Frauenberatungs- und Wiedereinstiegsfachstellen zu zahlen. Wenn junge Paare sich also beraten lassen wollen, müssen sie diese Dienstleistung künftig selbst bezahlen. Ab 2019 werden nur noch unternehmensbezogene Projekte, welche der Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt und der Gleichstellung von Frau und Mann im Erwerbsleben dienen, von Finanzhilfen profitieren können. Die Gleichstellungspolitik wird damit faktisch in den Dienst der Wirtschaftspolitik gestellt.
Was braucht es Ihrer Meinung nach, um mehr Paaren eine egalitäre Rollenteilung zu ermöglichen?
Um Vätern den Weg in die Familienarbeit zu ebnen, bieten sich verschiedene Massnahmen an. Eine davon ist die Förderung von Teilzeitarbeit – auch für Männer in anspruchsvollen Positionen. Eine Chance wäre auch ein Vaterschafts- oder Elternurlaub beziehungsweise ein «Elterngeld» – analog dem deutschen Vorbild. Die Diskussion über die Zukunft der Familie sollte auch weniger von wirtschaflichen Interessen und Kosten-Nutzen-Überlegungen geleitet sein. Stattdessen sollte sie auf die Frage fokussieren: Welche Rahmenbedingungen brauchen Eltern und Kinder in der heutigen Zeit, um ein erfülltes Leben in Sicherheit und Geborgenheit zu führen?
Sie selbst haben keine Kinder. Hätten Sie das partnerschaftliche Modell im Falle einer Familiengründung auch gewählt?
Ja, das hätte ich mir gewünscht. Ich plädiere dafür, dass Paare, wenn sie Eltern werden, das Wohl des Kindes ins Zentrum stellen – so wie es meine Studienteilnehmer getan haben. Das bedeutet aber nicht den Verzicht auf berufliche Herausforderung und Erfüllung.
In Ihrer letzten Befragung sind auch die mittlerweile erwachsenen Kinder zu Wort gekommen. Wie beurteilen diese das Lebensmodell ihrer Eltern?
Mehrheitlich sehr positiv. Und auf die Frage, welche Eigenschaften sie an ihren Eltern jeweils bewundern, wurden andere als die typisch geschlechtsspezifischen Eigenschaften genannt. So schätzt man an der Mutter insbesondere ihr Durchsetzungsvermögen, ihre Power und ihre Zielstrebigkeit, während die Väter für ihre Sozialkompetenz, ihre Ruhe und Ausgeglichenheit bewundert werden. Das finde ich sehr spannend, ebenso, dass drei Viertel aller Befragten es – wenn sie einmal Kinder haben – ebenso machen möchten wie ihre Eltern. Das spricht doch klar für dieses Modell.
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