Lernen gelingt in guten Beziehungen

Fotos: Salvatore Vinci / 13 Photo
Wie können Eltern und Lehrpersonen Kinder beim Lernen unterstützen? Wir meinen oft, Kindern zu helfen und bewirken das Gegenteil. Die Lernexperten Fabian Grolimund und Stefanie Rietzler raten: Setzen Sie die Beziehung zum Kind nicht für ein paar Vokabeln aufs Spiel!
Eine ältere Lehrerin, die kurz vor der Pensionierung stand und meine Mutter kannte, meinte zu mir: «So, kleiner Grolimund, zu wem willst du nach den Sommerferien?» Ich antwortete: «Also sicher nicht zu Ihnen.» Meine Mutter schämte sich bereits in Grund und Boden, als die Lehrerin nachhakte und den Grund wissen wollte. Meine Erklärung: «Sie sind uralt. Vielleicht sterben Sie bald, und wenn ich zu Ihnen in die Schule gehe, habe ich Sie dann sicher sehr gern und bin dann ganz traurig.» Sie nahm es zum Glück mit Humor.
Wann immer Kinder etwas Neues lernen, möchten sie es jemandem zeigen: «Mama, schaust du zu?», «Papa, guck mal!» Sie treffen sich mit Freunden zum Skateboarden und führen sich neue Tricks vor.
Stress und Angst blockieren den Lernprozess, Freude und Stolz motivieren uns.
Der Lehrer, der uns anerkennend zunickt oder einen netten Kommentar unter die Prüfung schreibt, spornt uns an und weckt Freude am Fach. Die Lehrerin, die den Schüler an der Tafel blossstellt, verbindet in den Gehirnen ihrer Schüler ihr Fach und Lernen im Allgemeinen mit Scham und Angst.
Kinder lernen nie nur eine Sprache, Mathematik oder die Rechtschreibung. Sie lernen immer auch etwas über sich. Mit der Zeit bilden sie Überzeugungen aus wie: «Sprachen zu lernen macht Spass!», «Ich bin zu dumm für Mathe!», «Prüfungen sind schrecklich!»

Es ist leicht, negative Beziehungssignale bei anderen wahrzunehmen. Eltern stören sich beispielsweise oft daran, dass die Lehrperson zu wenig auf ihr Kind eingeht oder einen negativen Kommentar fallen lässt. Sie sehen jedoch nicht, wie sehr ihre eigene Ungeduld und das schwere Atmen bei jedem Fehler ihrem Kind die Freude am Lesenlernen verdirbt, wie sehr sie durch ständiges Nörgeln und Nachfragen Hausaufgabenkonflikte schüren, wie unsanft sie das Kind auf Fehler hinweisen oder wie schwer es für das Kind zu ertragen ist, wenn es sehen muss, wie stark die Eltern unter schlechten Noten leiden.
Besonders die subtilen nonverbalen Signale entgehen uns – das Augenrollen, das Dasitzen mit zurückgelehntem Oberkörper, verschränkten Armen und versteinerter Miene, das Trommeln mit den Fingern auf dem Tisch, das Stirnrunzeln und Luftholen, wenn das Kind – schon wieder – den gleichen Fehler macht.
Um es zu präzisieren: Diese Signale entgehen uns – aber nicht dem Kind. Für das Kind bedeuten sie alles.
Die Ungeduld der Eltern und ständiges Nörgeln verderben die Freude am Lernen.
Wer in der Rolle des Schülers nicht gewinnen kann, sucht sich eine andere Möglichkeit. Dabei kann es durchaus befriedigend sein, aus einem Machtkampf gegen den Lehrer als vermeintlicher Sieger hervorzugehen, der Lehrerin einen Streich zu spielen, aufmüpfige Kommentare abzugeben oder den Eltern demonstrativ zu zeigen, wie wenig man von ihren Ansichten und Forderungen hält.
Bei der Beratung von Eltern und Lehrpersonen stellen wir immer wieder fest, dass sich verfahrene Situationen nur lösen lassen, wenn zuerst auf der Beziehungsebene gearbeitet wird. Damit Kinder und Jugendliche sich etwas sagen oder von jemandem führen lassen, benötigen sie das Gefühl, dass diese Person ihnen wohlgesinnt ist, dass sie ihnen etwas zutraut und sie nicht aufgibt.
Es ist daher also nicht verwunderlich, dass Studien immer wieder zeigen, dass die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden für den Lernerfolg die entscheidendste beeinflussbare Variable ist.

Für den Lernerfolg ist die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler entscheidend.

Sie dürfen die Hausaufgaben abbrechen, das Zimmer verlassen, wenn die Stimmung kippt, oder mit der Lehrperson Kontakt aufnehmen, wenn das Lernen zu viel Zeit in Anspruch nimmt oder aus dem Ruder läuft.
Setzen Sie die Beziehung zu Ihrem Kind nicht wegen ein paar Vokabeln aufs Spiel.
Das förderliche Klima, das dabei entsteht, verknüpft sich wiederum mit dem Lernen. Auf der anderen Seite gilt: Mit jedem negativen Kommentar über die Schule, mit jedem Wettern über die inkompetenten Lehrer unterschreiben Sie Ihrem Kind einen Freipass, um sich in der Schule daneben zu benehmen.
Als Eltern oder Lehrperson können Sie Ihre Haltung verändern. Wir sind oft so sehr damit beschäftigt, auf das zu achten, was falsch läuft, dass wir Fortschritte und Positives übersehen. Dabei wäre es meist sinnvoller, motivierender und entspannter, wenn wir lernten, unseren Blickwinkel zu verlagern.
Wenn wir einem Kind mit Aufmerksamkeitsproblemen in einem guten Moment sagen: «Hey, jetzt bist du gerade sehr konzentriert», und es kurz anlächeln, lernt es mehrere Dinge auf einmal. Es kann das Gefühl konzentrierten Arbeitens abspeichern: Aha, so fühlt es sich an, wenn ich konzentriert bin! Es lernt, dass wir uns über seine Fortschritte freuen, empfindet Stolz und ist motiviert, sich weiter in diese Richtung zu bemühen. Zudem schöpft es Vertrauen in seine Fähigkeiten und bildet die Überzeugung aus: Wenn ich mich anstrenge, kann ich mich konzentrieren. Die Beziehung zwischen Kind und Lehrperson oder Elternteil wird gestärkt, was wiederum dafür sorgt, dass weitere Rückmeldungen – positive wie auch kritische – auf fruchtbaren Boden fallen.
Kommentare wie «Du bist so ein Träumer, warum kannst du nicht aufpassen?!» oder «Du bist immer in den Wolken!» verinnerlicht das Kind mit der Zeit als Tatsachen. Gleichzeitig belasten sie die Beziehung – das Kind wird bockiger, die Erwachsenen setzen mehr Druck auf, und es entsteht ein Teufelskreis, bei dem Kind, Eltern und Lehrperson verlieren.
Helfen Sie Ihrem Kind nur, wenn Ihre Hilfe auch angenommen wird.
Ab und zu eine Notiz an die Eltern, auf der steht, was bereits gut läuft oder sich verbessert hat, nützt mehr als ein halbstündiges Gespräch darüber, wie unmöglich sich der Schüler wieder benommen hat. Dabei geht es nicht darum, jegliche Kritik herunterzuschlucken und die rosarote Brille aufzusetzen, sondern darum, die Beziehung so weit zu stärken, dass der Schüler einen Sinn darin sieht, an diesen Punkten zu arbeiten.
Sich an Regeln zu halten, sich anzustrengen, sich auf ein schwieriges Fach einzulassen, sich seinen Schwächen zu stellen und sich nach Misserfolgen wieder auf das Lernen einzulassen verlangt von einem «schwachen» oder «schwierigen» Schüler Motivation, Mühe und die Bereitschaft, über seinen Schatten zu springen. Hat der Schüler Eltern oder Lehrpersonen, die diese Mühen aus seiner Sicht wert sind, wird er diesen Weg eher auf sich nehmen.
Schliesslich sind auch Erwachsene motivierter, wenn sie Unterstützung und positive Beziehungssignale erhalten. Wenn wir wollen, dass unsere Kinder in einem guten Klima lernen können, benötigen wir gute Schulen. Diese entstehen – wie beispielsweise die gross angelegte Hattie-Studie zeigt – durch gute Lehrer.
Es liegt an uns allen, dafür zu sorgen, dass kompetente, motivierte und beziehungsfähige Menschen Lehrer werden und bleiben möchten. In dieser Hinsicht stimmt es uns nachdenklich und traurig, dass wir von den meisten engagierten Lehrpersonen hören müssen: «Dass alles gut läuft und die Eltern zufrieden sind, merke ich daran, dass niemand reklamiert.»
Weiterlesen:
- Wie wir lernen
- 8 knackige Hausaufgaben-Tipps für Eltern
- Herr Born, ist Üben altmodisch?
- Hilfreiche Tipps rund um das Thema Lernen finden Sie auf: www.mit-kindern-lernen.ch
- Dem Thema Selbstvertrauen/ Selbstwertgefühl widmen sich Stefanie Ritzler und Fabian Grolimund auf dem Biber-Blog: www.biber-blog.com