«Wir gehen mit unseren Ängsten bewusst und konstruktiv um» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Wir gehen mit unseren Ängsten bewusst und konstruktiv um»

Lesedauer: 2 Minuten

Julie, 35, und Stefan Balmer, 45, leben mit ihrem Sohn Tiago, 7, in Biberist SO. Das Paar teilt sich Job und Care-Arbeit zu gleichen Anteilen. Sie ist schulische Heilpädagogin, Erlebnispädagogin und Hausfrau, er Spengler, Sanitärinstallateur und Hausmann. Nebst Ängsten um die Zukunft ihres Kindes macht ihnen besonders das Thema Loslassen Sorgen.

Text: Julia Meyer-Hermann
Bild: Joan Minder / 13 Photo

«In unserem Umfeld gibt es in vielen Familien einen mehr und einen weniger ängstlichen Elternteil. Bei uns ist das nicht so. Das liegt vielleicht auch daran, dass wir unsere familiären Aufgaben absolut gleich aufteilen: Es gibt also keinen Elternteil, der mehr auf mögliche Gefahrensituationen für Tiago achten muss.

Wir sind ohnehin beide keine besonders ängstlichen Menschen, besonders dann nicht, wenn es um Expeditionen in die Natur und Bergwelt geht. Wir waren mit Tiago von klein auf viel draussen unterwegs. Er begleitet uns auch seit jeher bei Bergtouren.

Wir sorgen uns manchmal, ob wir genug Zeit mit Tiago verbringen und den Spagat zwischen Job und Familie irgendwann bedauern werden.

Wir kennen mögliche Risiken und zeigen ihm, wie wir damit umgehen, wenn beispielsweise das Wetter kippt, ein Wegstück schmal oder eine Wiese rutschig ist. Tiago ist ein vorsichtiges, manchmal ängstliches Kind. Wenn er sich etwas nicht traut, drängen wir ihn nicht. Da er sehr umsichtig ist, müssen wir uns auch nicht sorgen, dass er Gefahren ignoriert.

Die grössten Sorgen als Eltern betreffen andere Dinge. Bei uns beiden ist Loslassen ein Thema. Vor der ersten Übernachtung ausserhalb der Familie haben wir uns zum Beispiel gefragt, ob das schon so früh sein muss. Wir wollten nicht, dass Tiago sich nachts allein fühlt.

Wir sorgen uns auch beide manchmal, ob wir genug Zeit mit Tiago verbringen und den Spagat zwischen Job und Familie irgendwann bedauern werden. Auch wenn wir beide gerne arbeiten und das immer so handhaben wollten, blitzt manchmal die Angst auf, vielleicht einige Entwicklungsschritte und besondere Momente nicht genug zu begleiten. Wir lösen diese Sorge dadurch auf, dass wir uns in den gemeinsamen Zeiten aufeinander konzentrieren und unsere gemeinsame Zeit sehr bewusst gestalten und geniessen.

Wir zeigen unserem Sohn, dass wir unseren Alltag und unsere Zukunft beeinflussen können. Das mindert Ängste.

Eine weitere Sorge wird von aussen an uns herangetragen: Angesichts der Konflikte, Kriege und der Klimakrise fragen wir uns, mit welcher Welt Tiago umgehen muss. Unser Ansatz ist, mit diesen Ängsten bewusst und konstruktiv umzugehen. Wir erklären Tiago kindgerecht, was unsere Befürchtungen sind und warum wir deshalb zum Beispiel Umweltschutz wichtig finden und unseren Teil dazu beitragen wollen.

Wir zeigen ihm, dass wir unseren Alltag, unser Lebensgefühl und unsere Zukunft beeinflussen können. Das mindert Ängste. Im Übrigen ist es so, dass uns durch Tiago auch Unsicherheiten genommen werden: In unserem letzten Urlaub an der Ostsee hätten wir uns ohne seinen Entdeckerdrang nicht getraut, tote Quallen anzufassen. Und früher hätten wir so manche riesige Spinne einfach eingesaugt. Aber unser Sohn besteht darauf, dass man sie lebend nach draussen bringt.»

Julia Meyer-Hermann
lebt mit ihrer Tochter und ihrem Sohn in Hannover. Ihre Schwerpunkte sind Wissenschafts- und Psychologiethemen.

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