Cybergrooming als Todesfalle
Eine Teenagerin wird tot aufgefunden. Ihren mutmasslichen Mörder lernte die 14-Jährige über den Chat von Fortnite kennen. Der tragische Fall aus Deutschland wirft Fragen auf: Wie gefährlich sind Onlinespiele? Und wie können Eltern ihr Kind vor den Gefahren im Netz schützen?
Wir alle wissen, dass das Internet für Kinder und Jugendliche voller Gefahren steckt. Die grösste Bedrohung geht dabei von Pädophilen aus, die sich mit sexuellen Absichten an sie heranmachen. Cybergrooming, so der Fachausdruck, ist ein unerträgliches Verbrechen. Und es kann tödlich enden, wie ein aktueller Fall aus Deutschland zeigt.
Die 14-jährige Ayleen hatte über den Chat des Onlinegames Fortnite einen Fremden kennengelernt und sich mit ihm verabredet. Tagelang galt das Mädchen aus der Nähe von Freiburg im Breisgau als vermisst, bis die Polizei ihre Leiche in einem See fand. Ein 29-jähriger Mann aus Hessen, der als Jugendlicher bereits wegen einer versuchten Vergewaltigung aufgefallen war und deswegen zehn Jahre in einem psychiatrischen Krankenhaus verbrachte, hat die Tat gestanden.
Ayleens gewaltsamer Tod löste über die Landesgrenzen hinaus vor allem bei Eltern grosse Bestürzung, aber auch Besorgnis aus, zumal Fortnite zu den populärsten Spielen unter Kindern und Jugendlichen zählt. Dass ein Gewaltverbrechen an einem Teenager bei vielen Ängste schürt, ist verständlich. Kinder- und Jugendschutz kann allerdings nur gelingen, wenn wir Eltern uns informieren.
Fortnite: Worum geht es?
Fortnite ist ein Onlinegame mit etwa 20 Millionen aktiven jugendlichen und erwachsenen Spielern. Das Spielziel: Im weitverbreiteten Modus «Battle Royal» landen 100 bewaffnete, heldenartige Figuren auf einer Insel. Der Spieler, der am Ende überlebt, gewinnt die Runde. Dabei ist es hauptsächlich der gemeinsame Wettkampf, dem Fortnite seine Beliebtheit verdankt.
Das Actionspiel ist niederschwellig, da es kein Geld kostet und sogar plattformübergreifend funktioniert. Dies bedeutet, dass Spielerinnen und Spieler unabhängig von ihrem Gerät – Mobiltelefon, PC oder Konsole – an einer der schnellen, oft nur knapp 20 Minuten dauernden Runden teilnehmen. Wie in vielen anderen Onlinegames können sich die Beteiligten dabei via Chatfunktion unterhalten. Fortnite ist ab 12 Jahren freigegeben und stand schon öfter in der Kritik. Viele Eltern sehen es kritisch, wenn ihr Kind in einem Game mit Waffen hantiert. Zudem können die möglichen In-App-Käufe beachtliche Summen verschlingen.
Eltern möchten warnen, nicht ängstigen. Dennoch helfen nur klare Worte: Im Web gibt es Erwachsene, die sich mit Kindern zum Sex verabreden wollen.
Wichtig zu wissen: Das Risiko, bei Fortnite auf Pädokriminelle zu stossen, ist nicht höher als bei anderen Onlinespielen mit Chatfunktion. Wenn wir unsere Kinder vor Kriminellen schützen wollen, gelten die gleichen Regeln wie überall im Netz.
Mangelhafter technischer Schutz
Zwar gibt es eine Reihe von technischen Schutzmassnahmen, die aber keine ausreichende Sicherheit bieten und auch nicht immer sinnvoll sind. So dürfen Eltern in den Einstellungen von Fortnite zwar viele Einschränkungen vornehmen und zum Beispiel den Chat unterbinden. Befreundete Spieler sind anschliessend aber nicht mehr in der Lage, ihre Strategie abzusprechen.
Schwierig ist auch die Elternbegleitung, die viele soziale Netzwerke heutzutage anbieten. Kinder und Jugendliche, die sich auf digitalen Spielplätzen tummeln, befinden sich pubertätsbedingt in einem Ablösungsprozess von ihren Eltern und fühlen sich in solchen Settings oft zu stark beobachtet, kontrolliert und kompromittiert.
Hilfreich ist nur eines: ein regelmässig wiederholtes aufklärendes Gespräch. Das fällt vielen Eltern jedoch schwer. Gerade wenn es um so drastische Themen wie Cybergrooming geht, reagieren sie häufig gehemmt und vermeiden deutliche Worte. Erziehende möchten ihr Kind nur warnen, nicht ängstigen. Bloss: Schwammige Formulierungen wie «Es gibt böse Menschen» helfen nicht weiter.
Vielmehr muss Klartext gesprochen werden: Im Web gibt es Erwachsene, die sich mit Kindern über Sex unterhalten oder sich mit ihnen zum Sex verabreden wollen. Mädchen und Jungen, die alt genug sind, das Internet aktiv zu nutzen, sind auch alt genug, um mit unangenehmen Wahrheiten umzugehen. Schliesslich sind Internet, Onlinegames und soziale Netzwerke für Pädokriminelle perfekte Orte, um junge Opfer mit Lügen und Schmeicheleien zu manipulieren.
Regula Schwager, Psychotherapeutin und Co-Leiterin der Opferberatungsstelle Castagna, brachte es kürzlich auf den Punkt: «Kinder und Jugendliche sind sehr ansprechbar auf Menschen, die ihnen Aufmerksamkeit und Zuwendung geben, die Tag und Nacht für sie verfügbar sind.»
Fachleute unterscheiden bei Pädokriminellen zwischen hypersexualisierten Tätern und Intimitätstätern. «Erstere möchten vornehmlich Nacktbilder und Videos von einem Kind haben», sagt der Brandenburger Cyberkriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. «Dem Täter oder der Täterin geht es darum, mit einem Kind Kontakt aufzunehmen und schnell Erpressungsmaterial in die Hand zu bekommen, um das Kind zu immer weiteren Handlungen zu zwingen.»
Sollen wir Fortnite jetzt verbieten?
Intimitätstäter hingegen seien seiner Erfahrung nach «wesentlich seltener, ihnen geht es eher darum, ernsthaft Vertrauen mit einem Kind aufzubauen, damit sie sich mit diesem treffen und eine Art Missbrauchsbeziehung führen können. Hypersexualisierte Täter haben manchmal dreistellige Opferzahlen, Intimitätstäter, wenn überhaupt, eins, zwei oder drei Opfer».
Was bedeutet dies für Eltern? Wie sollen sie mit einem Spiel wie Fortnite umgehen? Sicher ist: Verbote haben noch nie die gewünschte Wirkung erzeugt. Vielmehr steigern sie den Reiz einer Sache erst recht. Ausserdem sind bei Cybergrooming nicht die Spiele das Problem, sondern die Pädokriminellen. Eltern müssen sich nicht gleich bei Fortnite einklinken. Mütter und Väter brauchen sich nicht für die Spiele selbst zu interessieren – aber für ihre Kinder und das, was diese bewegt, für deren Themen und Interessen.
Und ja, da kann ein gewisses Verständnis für das jugendliche Bedürfnis nach Games nicht schaden. Gerade nach langen und stressigen Schulstunden hat sich Fortnite als kurzweilige Freizeitaktivität etabliert. Am Nachmittag treffen sich darin viele Schülerinnen und Schüler online für ein paar schnelle Runden zur Entspannung. Auch mein Sohn spielt täglich nach dem Unterricht Fortnite – er ist Lehrer.
Missbrauch im Netz kommt häufiger vor, als es uns bewusst ist. Laut der JAMES-Studie 2020 sind 44 Prozent der Kinder und Jugendlichen online bereits einmal mit sexuellen Absichten angesprochen worden. 2018 waren es noch 30 Prozent.
Kinder und Jugendliche sollten in Games und sozialen Netzwerken ..
… niemals ihren Echtnamen benutzen.
… keine Fotos von sich an Fremde schicken.
… sich nicht in andere Chaträume locken lassen.
… nicht ihre Handynummer herausgeben, um eine Unterhaltung auf Whatsapp fortzuführen.