«Es könnte ein krankhafter Internetkonsum ausbrechen»
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Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf das Suchtverhalten bei Jugendlichen? Dr. Kurosch Yazdi wagt eine Prognose was nach der Pandemie passieren könnte. Zudem erklärt er, worin die Suchtgefahr für Kinder und Jugendliche besteht, wenn die sozialen Kontakte ausschliesslich übers Netz erfolgen.
Herr Dr. Yazdi, Jugendliche befinden sich auch ohne Pandemie in einer schwierigen Phase ihres Lebens. Ein Stressfaktor in der aktuellen Coronakrise ist der Verlust des Kontakts zu Gleichaltrigen. Teenies sind auf Austausch, Gespräche, die gegenseitige Bestätigung und Unterstützung angewiesen. Hat dieses «Eingesperrt sein» mögliche Folgen in der Form von Suchtverhalten?
Besonders im ersten Lockdown vergangenen Frühling haben Jugendliche sehr viel Zeit vor dem Computer verbracht. Das war legitim, denn der Schulunterricht fand digital statt und die sozialen Kontakte verlegten sich ins Netz. Computerspiele gewannen zunehmend an Interesse. Die grosse Überraschung für manche Eltern war dann, dass die Kinder nach dem harten Lockdown kein Interesse zeigten, rauszugehen und ihre sozialen Kontakte wieder wie vorher zu pflegen.
Eine Folge der Pandemie ist also: Jugendliche verbringen deutlich mehr Zeit im Internet. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Das hat einen positiven und einen negativen Aspekt. Der positive ist, dass digital eine Entwicklung stattgefunden hat. So ist heute Schulunterricht aus der Ferne möglich. Es ist ein spannender Lerneffekt, den das Bildungssystem auf die Beine gestellt hat und es ermöglicht Bildungschancen. So musste früher ein Kind, dass zum Beispiel mit einem Oberschenkelbruch zuhause lag, aber geistig fit war, den ganzen Schulstoff nachholen. Dank dem Fernunterricht kann das «kranke» Kind zeitgleich mit seinen Schulkameraden lernen. Das gilt auch für Kinder aus bildungsfernen Familien.
Und der negative Aspekt?
Dass es den Kindern und Jugendlichen an Bewegung fehlt, die Internetindustrie einen grösseren Zulauf erhält und alle sozialen Kontakte ins Internet verlegt wurden.
Führt ein erhöhter Medienkonsum denn automatisch zu Mediensucht?
Automatisch sicher nicht. Ein erhöhter Medienkonsum ist ein Faktor, der zur Sucht führen kann. Ob ein Jugendlicher süchtig wird oder nicht, ist sehr individuell. Übrigens wird auch nicht jeder Teenager, der regelmässig Cannabis raucht, automatisch süchtig.
Wann spricht man von einer Sucht? Welche Anzeichen gibt es dafür? Welche Kinder und Jugendlichen sind besonders anfällig für ein Suchtverhalten?
Gesunde Kinder und Jugendliche haben verschiedene Interessen. Sie treffen sich gerne mit Freunden, gehen zum Sport oder ins Kino. Wenn sich diese Vielfalt einschränkt und die Person nur noch an einer Sache interessiert ist, dann ist die Person suchtgefährdet. Wenn also der Teenager nur noch am Computer sitzt, ist das Verhalten bedenklich.
Die Gefahr besteht, dass ein grosser Teil dieser Jugendlichen im Internet hängen bleiben wird. Die Industrie bindet die Teenager ans Internet. Gepaart mit der Pandemie bewirkt das, dass künftig ein krankhafter Internetkonsum stattfinden könnte.
Was raten Sie Eltern, wenn sie an ihrem Kind ein Suchtverhalten feststellen?
Zwei Dinge. Einerseits müssen die Eltern als Vorbilder selber versuchen, ihren Internetkonsum einzuschränken. Andererseits hängt es stark vom Alter der Kinder ab. Bei 12- bis 14-jährigen haben die Eltern einen Einfluss darauf, was das Kind im Internet macht und wieviel Zeit es dort verbringt. In diesem Fall macht es Sinn, begrenzte Internetzeiten abzumachen, das WLAN zu kappen oder einzuschränken und gesunde Alternativen anzubieten, wie Familienausflüge.
Und bei älteren Teenagern?
Hier braucht es mehr Kooperationen und es sind altersgerechte Alternativen gefragt. Die Eltern müssen sich dem Thema stellen und mit Wertschätzung auf den Teenager eingehen. Wichtig ist, dass man den Jugendlichen zu verstehen gibt, dass es nicht böse gemeint ist, wenn keine Internet-Zeit stattfindet, sondern, dass man sie wertschätzt und mit ihnen etwas unternehmen möchte.
Welchen Fehler sollten Eltern auf keinen Fall machen?
Kinder zu erziehen ist sowieso schwierig und in der momentanen Situation kommen viele Eltern an ihre Grenzen. Aber Eltern dürfen nicht resignieren, wenn sie ein unpassendes Verhalten oder gar Anzeichen einer Suchterkrankung sehen. Das Motto lautet: wertschätzend lästig bleiben.
Sie haben die Gefahr angesprochen, dass eine zunehmende Anzahl Jugendlicher Probleme mit ihrer Online-Nutzung bekommen könnten. Müssen in ein paar Jahren genau diese suchtleidenden jungen Erwachsenen therapiert werden?
Das wird eine grosse Herausforderung. Es gibt in Europa zu wenig Einrichtungen für Onlinesucht-Erkrankte. Je chronischer die Erkrankung ist, desto schlimmer wird es. In Südkorea oder Taiwan bestehen bereits massive Probleme mit 20- bis 25-jährigen jungen Erwachsenen, die aufgrund ihrer Internetsucht arbeitsunfähig sind. Dort hat sich das soziale Verhalten zu einer sozialen Phobie entwickelt, ähnliche Zustände könnten sich auch in Europa abzeichnen.
Welche Auswirkungen hat das auf unsere Gesellschaft?
Das Dilemma liegt im menschlichen Beziehungswesen. Wir sind Rudeltiere und Beziehungsfähigkeit ist ein wesentliches Merkmal für unser Glücksempfinden. Je mehr Menschen also beziehungsfähig sind, desto besser geht es der Gesellschaft. Man muss sich vor Augen halten, dass es keine virtuellen Freundschaften gibt. Werden also Kontakte ausschliesslich aufs Internet reduziert und dorthin verlagert, bricht die Gesellschaft auseinander. Ich mache mir Sorgen um die Beziehungsfähigkeit nach der Pandemie.
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