Was macht eine gute Gotte aus?
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Was macht eine gute Gotte aus?

Lesedauer: 5 Minuten

Die Gotti- oder Götti-Wahl kann manchmal grandios scheitern. So geschehen bei Autorin Debora Silfverberg. Ungeschminkt teilt sie ihre Erfahrungen zur Patenschaft und weicht auch selbstkritischen Fragen nicht aus.

Text: Debora Silfverberg
Bild: Adobe Stock

Was, jetzt schon? Hielt ich ihn nicht erst gestern zum ersten Mal in meinem Arm? Ich war noch nicht Mama. Doch spürte ich diesen ersten Anflug von bedingungsloser Liebe und einem tiefen Verantwortungsgefühl für ein kleines Menschlein. Heute meldet sich ein junger Mann mit tiefer Stimme per WhatsApp-Sprachnachricht und bedankt sich für die Glückwünsche zum 18. Geburtstag.

Zeit und Nähe schenken

«Schenken Sie vor allem Zeit. Es ist das Wertvollste, das Sie Ihrem Patenkind geben können!», legen viele Ratgeber angehenden Gottis und Göttis ans Herz. Mein schlechtes Gewissen schnellt ruckzuck in die Höhe. Seit bald vier Jahren bin ich mit meiner Familie immerzu unterwegs. Es gibt kaum Gelegenheiten, Zeit mit meinen Patenkindern zu verbringen.

Unbewusst existierte auch der Wunsch, durch die Patenschaft Freunde an uns zu binden.

Als unser erstes Kind in England auf die Welt kam, war für uns die räumliche Nähe der potenziellen Gottis und Göttis nicht besonders wichtig. Ich wuchs in der Schweiz auf, mein Mann in Norddeutschland. In Schottland lernten wir uns kennen. Viele unserer gemeinsamen Freunde leben überall in Europa verteilt. Also schauten wir auf andere Kriterien.

Wer soll Pate sein?

Eltern fragen häufig ihre Geschwister, ob sie eine Patenrolle übernehmen. Das macht Sinn, denn diese Verbindung ist oft auf natürliche Weise beständig. So sollte der einzige Onkel in der Familie auf jeden Fall auch Götti unseres ersten Kindes werden.

Das Kind sollte nicht dafür verantwortlich sein, die Beziehung zu den Paten aufrecht zu erhalten.

Vordergründig wünschten wir uns in den Paten vor allem Vertrauenspersonen, die unseren Kindern mit Wohlwollen beim Aufwachsen zuschauen. Wir hofften, dass unsere Töchter in ihnen eine weitere erwachsene Ansprechperson fänden. Insbesondere dann, wenn sie mal die Nase voll hätten von uns und eine andere Perspektive bräuchten. Eher unbewusst existierte auch der Wunsch, durch die Patenschaft Freunde an uns zu binden.

Zweifel ernst nehmen

Sie sei nicht sehr gut darin, meinte eine Freundin, als wir sie baten, Patin unserer jüngeren Tochter zu sein. «Das kommt schon gut», dachten wir. Die Zweifel wischten wir beiseite. Eine Weile bekam meine Tochter kleine Aufmerksamkeiten zu Weihnachten. Diese zeichnete für ihr Gotti und schrieb kleine Briefchen nach England. Antworten darauf kamen immer seltener.

Als es irgendwann so aussah, als vertauschten sich die Rollen, gaben wir auf. Das Kind sollte nicht dafür verantwortlich sein, die Beziehung aufrecht zu erhalten. Die Funkstille tut weh. Die Freundin dafür verantwortlich zu machen, wäre aber nicht richtig. Sie stand der Aufgabe von Anfang an mit Skepsis gegenüber. Wir wollten es bloss nicht wahrhaben.

Wäre es schlauer, Gottis und Göttis nicht bei der Geburt, sondern erst viel später festzulegen?

Eine ähnliche Geschichte entfaltete sich auch bei der Patin der älteren Tochter. Gelegentlich nachfragen wie es ihr geht? Ein Kärtchen zum Geburtstag? Auch da, Flaute. Unsere Schlussfolgerung: Freundschaften werden durch ein Patenamt nicht stärker. Vielleicht wurden die freundschaftlichen Beziehungen durch unsere Erwartungshaltung sogar geschwächt?

Zur Geschichte der Taufpaten

Die Rolle des Taufpaten wurzelt im Glaubensunterricht (Katechumenat) der frühen Kirche. Christen wurden im Römischen Reich bis zum Jahr 313 verfolgt. Sie mussten deshalb vorsichtig sein. Ausserdem wollten sie vermeiden, dass heidnisches Gedankengut den Glauben infiltriert.

Bis ins Mittelalter waren es meist Erwachsene, welche die Sakramente (Taufe, heilige Eucharistie und Konfirmation) erhielten. Die Rolle der Paten lag darin, die Integrität der Person zu bezeugen und diese bei der Vorbereitung zu begleiten.

Erst um das Jahr 800 wurde die Säuglingstaufe zur Norm. Für Babys übernahmen Paten das Glaubensbekenntnis in deren Namen. Sie waren verantwortlich, das Kind in den Glauben einzuführen. Insbesondere, wenn die Eltern dieser Pflicht nicht nachkamen.

Verantwortung für das Kind im Todesfall der Eltern

Das Wort «Pate» kommt vom lateinischen Pater spiritualis bzw. Patrinus, das heisst «geistlicher Vater» bzw. «Väterchen». Der Name «Gotti» oder «Götti», wie er in der Schweiz benutzt wird, geht offensichtlich auf das germanische Wort «Gott» zurück.

In der Schweiz war es bis Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts üblich, dass Paten die Verantwortung für Kinder übernahmen, wenn die Eltern frühzeitig verstarben. Erst dann wurden verschiedene Gesetze eingeführt, um die staatliche Verantwortung für Waisenkinder zu regeln.

Für den Fall ihres unerwarteten Todes haben Eltern heute die Möglichkeit, ein Sorgerechtstestament zu verfassen. In diesem Dokument können sie festlegen, dass ein Pate oder eine Patin die Vormundschaft für ihr Kind übernehmen soll.

Glück mit dem Ersatz-Gotti 

Eine sehr enge Freundin von mir baute von Anfang an eine Verbindung zu beiden Kindern auf. Sie zeigte sozusagen «natürliches Gottiverhalten». Als meine ältere Tochter zwölf Jahre alt war, fragte sie diese Freundin, ob sie ihr Wahl-Gotti sein könnte. Sie schrieb einen Brief und erklärte ihr die fehlende Nähe zum «offiziellen» Gotti. Zuvor sprach ich mit der Auserwählten, um sicherzustellen, dass sie damit auch einverstanden ist. Und wie!

Inzwischen wirkt sie als Ersatz-Gotti für beide Mädchen. Über WhatsApp schickt sie ihnen wöchentlich kleine Nachrichten. Und dies, obwohl sie zwei Kleinkinder hat, inklusive Schlafmangel und alle Hände voll zu tun. Ihr Interesse ist liebevoll und echt. So viel Aufmerksamkeit haben meine eigenen Gottikinder kaum je von mir erhalten. Mein schlechtes Gewissen erreicht somit den Höhepunkt.

Die Patenwahl für unsere Kinder würde heute anders ausfallen.

Inzwischen frage ich mich, ob es grundsätzlich schlauer wäre, Gottis und Göttis nicht bei der Geburt festzulegen. Gerade, wenn es keine christliche Grundlage für die Rolle gibt. Und selbst dann: Mein Mann wurde erst als Teenager auf eigenen Wunsch getauft – er fragte gleich die Pastorin selbst, ob sie seine Taufpatin sein würde. Sie war für ihn die erwachsene Bezugsperson ausserhalb der Kernfamilie, die ihm genau das gab, was er brauchte. Zumindest teilweise würde die Patenwahl für unsere Kinder heute anders ausfallen.

Gotti fürs Leben

Würden die Eltern meiner Gottikinder oder auch sie selber, mich heute ein zweites Mal aussuchen? Meine Selbsteinschätzung als Gotti fällt eher unterdurchschnittlich aus. Was hoffentlich nicht heisst, dass ich gänzlich untauglich bin für die Rolle.

Für mich hört die Gotti-Rolle mit der Volljährigkeit nicht auf. Vielleicht nimmt die Bedeutung dann sogar zu?

Ich mag alle meine drei Gottikinder äusserst gerne. Alle drei haben wunderbare Eltern, die eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren Kindern pflegen. Für ihr Wohl wird auf allen Ebenen gesorgt. Deshalb haben meine Mankos als Gotti hoffentlich wenig negative Auswirkungen auf ihr Leben.

Für mich hört die Gotti-Rolle mit der Volljährigkeit nicht auf. Vielleicht nimmt die Bedeutung von Gottis und Göttis in den ersten Jahren der Volljährigkeit sogar zu? Das junge Erwachsenenleben ist voller Fragen, Herausforderungen und Kreuzungen. Da könnte es von Vorteil sein, ein Gotti oder Götti in der Hosentasche zu haben. Meine Türen bleiben auf jeden Fall immer offen – für alle meine Patenkinder.

Ich habe übrigens auch ein Gotti. Der Koffer mit 120 Farbstiften von Faber-Castell, den ich zum 16. Geburtstag erhielt, bereitet mir immer noch Freude. Kürzlich zeichneten meine Töchter damit und sortierten wieder einmal alle schön nach Farben. Mein Gotti hat bis heute keinen einzigen meiner Geburtstage vergessen. Und das sind inzwischen ganz schön viele.

Debora Silfverberg
hat viele Jahre als Fach- und Leitungsperson in der Familien- und Sozialpsychiatrie gearbeitet. Seit 2020 ist sie mit ihrem Mann und den beiden Töchtern in verschiedenen Ländern Europas unterwegs und schreibt als freie Journalistin und Autorin über gesellschaftliche Themen.

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