Kein Sommerhaus, später

Kolumnist Mikael Krogerus malt sich aus, wie es wäre, wenn er ein Sommerhaus hätte. Doch leider kommt er nicht in diesen Genuss.
Vor vielen Jahren las ich eine Geschichte über den tragischen Umstand, «kein Sommerhaus zu besitzen». Ich verstand beim besten Willen nicht, was der Autor oder die Autorin zu so einem Text bewogen hatte. Ich war jung. Ich hatte keine Ahnung.
Heute, 15 Jahre und zwei Kinder später, weiss ich, was gemeint war. Denn auch ich habe kein Sommerhaus. Das Sommerhaus, das ich nicht besitze, liegt nicht in meinem Heimatland Finnland. Vom windschiefen, fast hundert Jahre alten Haus führt kein steiler Weg hinunter zum See.
Und unten angekommen, versteckt hinter einer kleinen Klippe, findet man nicht die alte Sauna, die mein Vater damals im Sommer 1984 nicht renovierte und in der es nicht so wunderbar nach Teerholz riecht. In der dunklen Hitze sass ich nie als Kind auf dem Boden und lauschte meinem Onkel, wie er jedes Mal den gleichen Witz machte, wenn die Hitzewelle vom ersten Aufguss mein Gesicht traf wie eine glühende Peitsche: «Das hier, Kinder, ist besser als Sex.» Die Sauna hat auch keine Veranda mit kleiner Holzbank, auf der ich heute so gern nach dem Abkühlen sitze, die Füsse aufs Geländer gestützt, ein Bier in der Hand und den Blick aufs andere Seeufer gerichtet.
Ich habe hier nicht jeden Sommer mit meinen Cousinen hinter dem Haus Himbeeren gepflückt (einmal zwei Liter in eineinhalb Stunden!), wir waren nie den ganzen Tag schwimmen und lagen nie auf den Felsen an der Sonne, um uns zu wärmen. Und nie sind wir mit dem alten Kahn rüber zur unbewohnten Insel gerudert, um dort Eierschwämmli zu sammeln und später dabei zuzuschauen, wie unsere Mutter sie mit Butter in der Pfanne briet.
Ich kann meinen Kindern nie vermitteln, was ich selber nie erlebt habe.
Abends sassen wir Kinder nie vor dem knisternden Kaminfeuer, das wir – das war eine eiserne Regel! – immer nur mit einem Streichholz und ohne Papier entfachen durften. Und nie weckte mich mein Vater in der Nacht des ersten Mittwochs im August, wenn die Krebssaison beginnt, um im Dunkeln, nur mit Taschenlampen bewaffnet, am Ufer die urtümlichen Tierchen zu jagen.
Das Haus hat vieles nicht erlebt. Nicht den grossen Sturm von 1967 und nicht den Eiswinter von 1981, als unser Nachbar in seinem Haus erfror. Es hat auch nicht die Verbreiterung der Strasse, den Streit mit den neuen Nachbarn und auch nicht das Ausheben der grossen Kiesgrube erlebt.
Und jetzt, da ich eigene Kinder habe, komme ich nicht jeden Sommer mit meiner Familie hierher. Ich werde meinen Kindern also nie vermitteln können, was ich selber nie erlebt habe: Ich werde ihnen nie zeigen, wie man einen frisch gefangenen Fisch ausnimmt, nicht, wie man sich im Wald ohne Kompass orientiert, und auch nicht, wo der Felsen liegt, auf dem ich damals in jener Julinacht nicht die Freundin meiner Cousine küsste.
Jetzt beginnt bald ein neuer Sommer. Und ich freue mich schon, mein nicht-existierendes Sommerhaus aus seinem Winterschlaf zu wecken. Vor neun Monaten hatte ich die Läden nicht verschlossen, das Ruderboot nicht an Land gezogen und den Schlüssel nicht unter die Treppe gelegt, und von genau dort werde ich ihn bald wieder nicht hervorfischen, um einen neuen Sommer zu begrüssen. Ach, wenn doch jeder so ein Sommerhaus hätte, wie ich es nicht habe.