Unsere Buchtipps für den Sommer 2019

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Ferien! Endlich Zeit wieder in eine Geschichte abzutauchen und den Kindern die Liebe für Bücher nahezubringen. Ob auf dem Balkon oder in der Ferne: diese persönlichen Lieblingsbücher empfiehlt unsere Redaktion diesen Sommer. Welcher Autor hat wohl gleich zwei Herzen erobert?
Biografien für Kids

Wortgewaltiges über unser Bewusstsein für die Eltern

Nach historischen Romanen über den Cornflakes-Erfinder John Harvey Kellogg («Willkommen in Wellville») und den Sexualforscher Alfred Charles Kinsey («Dr. Sex») kümmert sich Boyle in seinem jüngsten Werk erneut um eine reale Figur der amerikanischen Kulturgeschichte. In «Das Licht» erzählt er die Geschichte von Professor Timothy Leary, der in den frühen Sechzigerjahren an der Harvard Universität mit Drogen experimentierte und später LSD-Kommunen gründete.
Zweite Hauptfigur in Boyles Stück ist der aufstrebende wissenschaftliche Assistent Fitzhugh Loney, der auf eine LSD-Party seines Professors Leary eingeladen wird. Fitz erhofft sich davon einen wichtigen Karriereschritt, merkt aber bald, dass Learys Ziele weniger medizinischer Natur sind; es geht dem Psychologen um eine Revolution des Bewusstseins. Fitz wird mitgerissen von dieser Vision, mit Frau und Sohn schliesst er sich der Leary-Truppe an: Sie leben in Mexiko, später in der berühmten Kommune in Millbrook, mit Drogen und sexuellen Ausschweifungen ohne Ende.
Boyles neustes Buch ist eine Wucht, ein Donnerschlag, ein kreischend greller Trip an die Grenzen des Bewusstseins und darüber hinaus. T. C. Boyle at his best.
Boyle war nach eigenen Angaben früher selber Teil der Drogenkultur. Seine LSD-Trips seien aber fast alle schrecklich gewesen, hat er neulich der «NZZ» anvertraut. Wenn er nicht arbeiten könnte, wäre er innerhalb von zwei Woche ein Junkie – «ich würde aus Langeweile Drogen nehmen, aus Selbstverachtung und aus Hass auf die Gesellschaft.»
Die Frage «Warum brauchen wir Drogen oder Alkohol?» hat Boyle neulich so beantwortet: «Weil unser Bewusstsein so bedrückend ist. Wir müssen dem entfliehen. Speziell in unserer ständig eingestöpselten Gesellschaft. Wie viele Menschen haben noch Naturerlebnisse? Gehen Sie raus, ziehen Sie die Stöpsel aus den Ohren! Riechen Sie mal, wie gut das duftet.» Nik Niethammer
Zärtliche Freundschaftgeschichte für Mamas und Lehrerinnen

Es handelt sich um einen E-Mail-Roman zweier Freundinnen Mitte 40 deren Leben unterschiedlicher kaum sein könnte. Die eine ist Lyrik-Autorin in Frankfurt mit drei Kindern und Dauerchaos. Die andere ist kinderlos und wohnt nach einer Trennung und Krebserkrankung allein im Schwarzwald und führt ein ruhiges Leben, das sie immer wieder auf sie selbst zurückwirft. Beide verbindet eine gemeinsame Kindheit. Und die grosse Liebe zur Literatur.
Und die Liebe zur Sprache spürt man in jeder Zeile der E-Mails, die die Freundinnen sich nachts und früh am Morgen schreiben. Dafür, dass der Roman fast 700 Seiten stark ist, passiert erstaunlich wenig und doch hatte ich nie das Bedürfnis, ihn zur Seite zu legen, weil er sich liest wie Streicheleinheiten. Die Frauen sind so weit voneinander entfernt und sich zugleich so nah, wie zwei Menschen es nur sein können. Bei jedem Schicksalsschlag, jeder Wende, jedem sich in eigenen Gedanken verfangen, ist die andere da. Ein wunderschönes Buch zum selbst lesen oder der besten Freundin schenken. Bianca Fritz
Mädchenpower geht auch in rosa

Ihr Motto:
Rosa, Rüschen, Rausche-Roben find ich richtig toll!
Meine Eltern klagen, fragen, was der Unfug soll?
Sie wollen, dass ich mach, was nur ein cooles Mädchen tut …
doch rennen, raufen, rempeln kann ich ganz genauso gut!
Auf das Verständnis ihrer Eltern braucht Rosa aber erst mal nicht hoffen. Zum Glück hat sie ein eigenes Einhorn – einen Esel, in dem nur sie das Zauberwesen sieht – und der ihr mit Rat und Tat zur Seite steht.
Rosa zeigt sehr deutlich, dass Rosa nur eine Farbe unter vielen ist, die nicht ihr Wesen bestimmt. Auch wenn ihre (ziemlich alternativen) Eltern sich ein wenig sträuben, darf Rosa am Ende alle Facetten ihres Mädchenseins ausleben. Lustige, manchmal spannende Geschichte, die mit dem Rosa-Mädchen-Klischee spielt. Für Mädchen (und Buben) ab 6 Jahren. Evelin Hartmann
Kurzgeschichten, die hängen bleiben

Flügge werden im Sog der Grossstadt

Und dann kommt noch eine Schreckensmeldung: sein Mentor und Freund, ein ehemaliger Germanistik-Professor, ist verstorben. Das wirft ihn noch weiter aus der Bahn. Jesper zieht sich zunehmends zurück und leidet unter dieser Einsamkeit, die er mittlerweile auch in Gesellschaft spürt.
Spätestens da fängt man als Leser an, sich um diese tragisch komische Figur zu sorgen und hofft, dass es doch noch gut ausgeht mit diesem jungen Mann, dem man so manches Mal unter die Arme greifen und über den Kopf streichen möchte. Aber es geht wohl gut aus, denn «Spinner» ist Benedict Wells (ziemlich autobiographischer) Erstlingsroman, dem viele weitere erfolgreiche gefolgt sind. Beeindruckend! Evelin Hartmann
Ein besonderer Hörgenuss für Gross und Klein

«Wir entdecken Komponisten» ist eine zauberhafte Hörspielreihe, die uns die Marotten und den Alltag grosser Komponisten näher bringt. Jede Folge beschäftigt sich auf kindgerechte, aber auch für Erwachsende äusserst unterhaltsame Weise mit einem der grossen Komponisten unserer Zeit. Neben Mozart, Bach, Händel und Chopin sind beispielsweise auch Vivaldi und Schubert vertreten.
Interessante Details aus ihren Leben, aus der jeweiligen Epoche sowie die Wege und Wirrungen zu ihren grossen musikalischen Werken werden kompakt und leicht verständlich zusammengetragen. Die Erzählungen werden bereichert mit Ausschnitten der wichtigsten musikalischen Erzeugnisse des jeweiligen Komponisten.
Als Sprecher konnte seinerzeit der inzwischen verstorbene Theaterschauspieler Willi Quadflieg gewonnen werden, dessen grossartige Stimme den Hörer in die damalige Zeit entführt.
Wer also Lust verspürt, sein eigenes Wissen über klassische Musik aufzufrischen oder wer seinen Kindern einen spielerisch unterhaltsamen Zugang zu den grössten Komponisten der Weltgeschichte ermöglichen möchte, dem sei diese Hörspielreihe ganz besonders ans Herz gelegt. Nik Niethammer
Altes Kinderbuch neu entdeckt

Für verliebte Väter

Dabei wünscht sich Mathilda doch einfach nur ein klein wenig mehr Unabhängigkeit. Was sie stattdessen bekommt? Ein Handy mit Schnüffelsoftware darauf und einen ungewollten Test, ob das Töchterlein nicht vielleicht doch hochintelligent ist. Ein klarer Anti-Ratgeber in Romanform. Liebeswürdig und lustig. Und mit 208 Seiten selbst für Lesemuffel als Sommerferienlektüre geeignet. Bianca Fritz
Macht auch beim Vorlesen Spass

Schon bald hat Malwine in der Badewanne nicht mehr Platz und eine kreative Lösung muss her! Die Geschichte ist liebevoll gezeichnet und hält ein paar Augenzwinker-Momente für Gross und Klein parat. Florina Schwander
Der süsseste Sprachfehler zum Vorlesen

Erfunden hat den liebenswerten grünen Kerl Max Kruse (1921-2015). Sein Urmel, ein kleiner, lispelnder Dinosaurier, ein Urzeittier, das nach Jahrmillionen aus einem tiefgefrorenen Ei schlüpft und bei Professor Habakuk Tibatong auf der Insel Titiwu ein Zuhause findet, wurde zu einem Klassiker der Kinderbuchliteratur.
Urmel ist ein verzogenes, neugieriges Nesthäkchen in einer grossen Familie, zu der auch Waran Wawa oder Pinguin Ping gehören. Das Buch entdeckte ich, als mein Sohn einen leichten Sprachfehler hatte. Ihm fiel im Kindergarten das sch schwer. Urmels Freund Ping Pinguin sagt statt sch immer pf . Was häufig vorkommt, denn in Urmel-Büchern geht es immer um Schiffe (Pfiffe), Fische (Fipfe) sowie Muscheln (Mupfeln). Ein wunderbares Buch, um gemeinsam zu kuscheln und zu lachen. Claudia Landolt
Eine Weihnachtsgeschichte für den Sommer

Legendär ist der erste Satz: «Die Herdmann-Kinder waren die schlimmsten Kinder aller Zeiten.» Darüber ist sich der ganze Stadtteil einig: Sie lügen, klauen, rauchen Zigarren, bringen die Nachbarn zur Verzweiflung und können ein Klassenzimmer mit Hilfe ihrer halb wilden Katze in der Rekordzeit von drei Minuten leer fegen.
Klar, dass dieses Buch Kindern gefällt, oder? Mein zweitjüngster Sohn hat das Buch, das eigentlich eine Weihnachtsgeschichte ist, gerade wieder hervorgekramt. Er sagt, es sei perfekt, um sich schon jetzt gedanklich auf die Wunschliste zu Weihnachten einzustimmen … Claudia Landolt
Für Kids, die lieber vor der Spielkonsole sässen

Starke Frauenfiguren

Daran hat sich wenig geändert, und so habe ich die Lebensgeschichte der eigensinnigen Tamara Hirsch und ihrer Familie regelrecht verschlungen. Die Hirschs waren Verfolgte, Widerstandskämpfer, Opportunisten, Künstler. Ein Jahrhundert deutsche Geschichte hat sie geprägt, und die Hirschs taten nicht wenig, um dem Jahrhundert ihrerseits einen Stempel aufzudrücken. Der Grossvater, der während des zweiten Weltkriegs nach England floh und anschliessend das Schulsystem der neu gegründeten DDR mitaufbaute. Der Vater, der im französischen Widerstand gegen Nazis kämpfte und es später als Schriftsteller zu einiger Bekanntheit brachte. Die Mutter, die ihre Töchter im Stich liess. Ihre Schwester, die sich zu Tode trank.
Eine wahre Geschichte. Die Autorin berichtet, sie habe für dieses Buch sieben Jahre gebraucht. «Entstanden ist die Idee aus der Frage, warum meine Mutter so ein Biest geworden war. Ich fing an, in der Vergangenheit zu wühlen und plötzlich fielen mir so viele ungeheuerliche Zusammenhänge auf, die weit auseinanderliegende Ereignisse miteinander vernetzten, dass ich anfangen musste, diese Verknüpfungen aufzuschreiben und aufzuzeichnen. » Claudia Landolt
Detektivroman aus Afrika

Eines der Bücher, das mich an jene Zeit erinnert, ist jenes von Helon Habila. Eine Freundin, die heute selbst in einem Lesezirkel ist, hat es mir empfohlen, denn entdeckt hätte ich es wohl selbst nicht. Der Band ist Bildungsroman, Liebesgeschichte, Ökokritik und Politthriller in einem.
Die Handlung: Eine Frau verschwindet im Nigerdelta. Dies wäre keine Nachricht in den Medien wert, wurde es sich nicht um eine Britin, die Ehefrau eines hochrangigen Mitarbeiters einer ausländischen Ölgesellschaft, handeln. Als eine Lösegeldforderung eingeht, wittert der junge Journalist Rufus die Chance zu einer grossen Story und macht sich mit dem gealterten, schwerkranken Starreporter Zaq auf die Suche nach der Entführten, eine Reise ins Delta des Nigers hinein, ins Herz der Finsternis, eine apokalyptische Welt.
Mit wachsendem Entsetzen nimmt Rufus die Zerstörung der Umwelt wahr, die Eskalation der Gewalt, die Entmenschlichung auf beiden Seiten der Front. Man liest die Geschichte fassungslos, und der Roman raubt einem schier der Atem. Habilas Thriller liegt eine wahre Katastrophe zugrunde: Eine von internationalen Grosskonzernen verschuldete gigantische Ölpest im Nigerdelta, die nicht nur die gesamte Tierwelt der Region bedroht, sondern auch das Leben von 30 Millionen Menschen. Der Schriftsteller Ken Saro-Wiwa, der diese Missstände in neu neunziger Jahren anprangerte, ist dafür in einem Schauprozess zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Claudia Landolt
Für Krimifans ab 13

In vier Perspektiven wird die Handlung verfolgt und das Verbrechen aufgeklärt. Mein zweiältester Sohn findet es «spannend bis zum Schluss» und wollte gar nicht mit Lesen aufhören. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass das Buch viel von einem Schulalltag im vierten Schulzyklus, also der Oberstufe, abbildet – inklusive der sozialen Medien. An einem Nachmittag sind fünf Schüler in der Bayview High zum Nachsitzen versammelt.
Bronwyn, das Superhirn auf dem Weg nach Yale, bricht niemals die Regeln. Klassenschönheit Addy ist die perfekte Homecoming-Queen. Nate hat seinen Ruf als Drogendealer weg. Cooper glänzt als Baseball-Spieler. Und Simon hat die berüchtigte Gossip-App der Schule unter seiner Kontrolle. Als Simon plötzlich zusammenbricht und kurz darauf im Krankenhaus stirbt, ermittelt die Polizei wegen Mordes. Einer der Jugendlichen wollte gerade einen Hatepost im Netz posten. Claudia Landolt