Momente, die bleiben

Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
Stellen Sie sich vor, Ihre Kinder sind mittlerweile erwachsen und erzählen Ihren Enkeln aus der Kindheit und Jugendzeit. Welche Momente sind ihnen wohl in besonders schöner Erinnerung geblieben? Welche Erlebnisse haben sie geprägt? Bei der Suche nach Antworten hilft eine einfache Formel.
Die Pandemie stiehlt uns Momente, die uns stolz und glücklich machen und die
uns Aha-Erlebnisse bescheren.
Vier Elemente machen positive Erlebnisse prägend
Elevation: Darunter versteht man Momente, die aus dem Alltag herausstechen. Diese tauchen auf, wenn die gewohnte Routine durchbrochen wird und etwas Unvorhergesehenes oder Ungewöhnliches passiert. Wir erinnern uns vielleicht an den ersten Schultag, die ersten Verliebtheitsgefühle, an ein Naturschauspiel wie eine Sonnenfinsternis oder einen Kometenschauer, den man als Familie verzückt verfolgt hat, oder eine aufregende Übernachtung im Kindergarten oder in der Schule.
Pride: Erlebnisse, auf die wir stolz sind, prägen sich besonders gut ein. Wahrscheinlich können Sie Ihre Abschlussfeier mit der Zeugnisübergabe vor Ihrem inneren Auge sehen. Auch kleinere, persönliche Meilensteine bleiben uns: der Moment, in dem wir uns zum ersten Mal überwinden konnten, eine Halfpipe herunterzusausen, vom Sprungturm zu springen, oder endlich den schweren Endgegner in einem Computerspiel bezwungen haben und es sofort unseren Freunden erzählen mussten. Momente, in denen wir vor Publikum etwas präsentiert haben: ein Vortrag in der Schule, eine Theateraufführung, Vorspielen mit dem eignen Instrument oder das gewonnene Finale mit anschliessender Siegerehrung. Vielleicht denken wir auch mit Stolz an Situationen zurück, in denen wir uns behaupten mussten und den Mut hatten, für uns oder andere einzustehen.
Insight: Auch Aha-Erlebnisse haben das Potenzial, sich in unserem Gedächtnis einzunisten und uns zu prägen. Wir erinnern uns besonders gut an Lerninhalte, wenn wir uns einem Thema widmen und dabei plötzlich neue Zusammenhänge entdecken oder nach langem Ringen endlich verstehen, wie ein bestimmter Aufgabentyp gelöst werden kann. Noch intensiver sind Aha-Momente, wenn sie unser Leben betreffen: Wenn wir in einem Augenblick der Klarheit plötzlich erkennen, was uns wirklich wichtig ist, und daraufhin bedeutsame Entscheidungen treffen: auf eine Schule wechseln, die besser zu uns passt, uns auf eine Lehre festlegen oder uns endlich aus einer toxischen Freundschaft lösen können.
Connection: Wenn wir unser inneres Fotoalbum durchsehen, merken wir, dass die meisten bleibenden Erinnerungen Augenblicke sind, in denen wir uns auf besondere Weise mit anderen verbunden gefühlt haben. Da flackern Momente auf, in denen sich ein Elternteil Zeit für uns alleine genommen hat und wir über persönlichere Dinge gesprochen haben als im Alltag; mit Freunden verbrachte Urlaubstage; ein Ausflug mit der Patentante oder dem Patenonkel ohne Eltern und Geschwister im Schlepptau; die heimliche Hausparty mit der Clique, als die Eltern übers Wochenende verreisten; Gespräche, in denen uns jemand ein Geheimnis anvertraut hat.
Digitale Verbundenheit ersetzt gemeinsame Erlebnisse nicht
Über Monate hinweg haben wir alles versucht, um ein Gefühl von Verbundenheit zu erhalten: Wir haben (Video-)telefoniert, um mit Grosseltern, Verwandten und Bekannten in Kontakt zu bleiben, und dabei gemerkt, dass wir zwar froh um diese Möglichkeiten sind, sie aber eine Umarmung und gemeinsame Erlebnisse nicht ersetzen können.
Für viele Jugendliche, die ihre Lehre oder die Matura abgeschlossen haben und nun ins Arbeitsleben oder Studium eingetreten sind, sind wichtige Übergangsrituale verloren gegangen. Der Abschluss, auf den man so lange hingearbeitet hat, konnte nicht in gebührendem Masse gefeiert werden. Junge Menschen haben ihr Studium fast ausschliesslich mit Heimunterricht begonnen – teilweise in einer fremden Stadt, in der sie noch niemanden kennen und noch gar nicht ankommen konnten, weil das Verbindende fehlt.
Gibt es Kleinigkeiten, mit denen Sie die gewohnte Routine durchbrechen können? Welche Mini-Erfolge gibt es zu feiern?
Mit dem Blick auf die Elemente, die besondere Momente ausmachen, wird uns klar, was wir so schmerzlich vermisst haben, warum viele von uns frustriert und ausgezehrt sind und warum wir uns wegen dieser Gefühle nicht auch noch Vorwürfe machen müssen, «weil wir es doch eigentlich so gut haben».
Auf der anderen Seite können wir überlegen, wie wir zukünftig da und dort einzelne Tage mit einer Prise EPIC aufwerten können: Gibt es Kleinigkeiten, mit denen Sie die gewohnte Routine durchbrechen könnten? Welche Mini-Erfolge könnten Sie mit der Familie bewusster feiern? Welchem lieben Menschen wollen Sie oder die Kinder gleich morgen ein unerwartetes Zeichen der Zuneigung schenken? Was möchten Sie als Familie unbedingt nachholen oder nachfeiern, sobald dies wieder möglich ist?
Zur Autorin:
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