Autismus: Ein Hund als Begleiter im Alltag
Autismusbegleithunde bieten autistischen Kindern Sicherheit und ihren Eltern Entlastung. Die grosse Nachfrage verlängert jedoch die Wartezeit. Thomas Gross ist Vorsitzender des Vereins Patronus-Assistenzhunde, dank dessen Unterstützung Familien schneller zu ihrem Hund kommen.
Herr Gross, der Verein Patronus-Assistenzhunde will mit der Ausbildung von Assistenzhunden Herzenswünsche erfüllen. Was unterscheidet Sie von anderen Anbietern?
Wir können auf einen grossen Pool von Hundezüchtern und -trainern zurückgreifen. Das macht uns unabhängig und hat Vorteile für Familien. Zum einen können wir individuell den besten Trainer für ihr Kind aussuchen. Darauf legen wir grossen Wert. Zum anderen erlaubt uns der Pool, mehr Hunde auszubilden – im Moment etwa 20 bis 25 pro Jahr, ab nächstem Jahr dank zusätzlichen Trainern gar 50. Das verringert die Wartezeit. Etwa neun Monate nach dem Erstkontakt kann die Familie den Hund in Empfang nehmen.
Wie sieht die Ausbildung eines Autismusbegleithundes aus?
Die Ausbildung beginnt mit der Welpenauswahl: Die Trainer erkennen schon nach einer Woche anhand der Rudelstellung das Potenzial der Welpen. Nach neun Monaten Sozialisierung in einer Patenfamilie beginnt die einjährige Grundausbildung beim Assistenzhundetrainer. Die ist für alle Hunde dieselbe. Die anschliessende Spezialausbildung richtet sich nach den Bedürfnissen der künftigen Besitzer. Gemeinsam legen wir fest, welche speziellen Fähigkeiten dem Hund antrainiert werden sollen. Die Dauer dieser Ausbildung variiert je nach Hund zwischen zehn und zwölf Monaten.
Werden die Hunde «trocken» ausgebildet oder am Autisten selbst?
Während der Grundausbildung verbringen die Hunde drei Tage die Woche in Psychiatrien,
Altersheimen und Sonderschulen. Kommen die Hunde zur Familie, gibt es keine Krankheit, die sie noch nicht kennen. Am Ende der Grundausbildung kommt es zum ersten Kontakt mit dem autistischen Kind. Meist trifft der Hundetrainer anhand von zugeschickten Videos eine Vorauswahl und stellt dem Kind mögliche Hunde vor. Die Harmonie ist uns wichtig: Der Hund muss das Kind lieben und das Kind den Hund. Schliesslich gehen die beiden eine gut dreizehnjährige Beziehung ein.
Betreuen Sie die Familien nach der Übergabe des Hundes weiter?
Die Betreuung setzen wir ein Hundeleben lang fort. In den ersten drei Monaten nach der Übergabe findet zwei Mal eine Woche Schulung vor Ort statt. Reicht das nicht aus, setzen wir die Schulung fort: Wir müssen die Eltern und die betroffenen Kinder befähigen, mit dem Hund zu leben und mit ihm zu arbeiten. Danach können die Familien einmal im Jahr eine Nachschulung bei uns machen.
Wie muss ein Autismusbegleithund beschaffen sein? Was für eine Rasse hat er? Was für einen Charakter?
Wir arbeiten in der Regel mit den Rassen Labrador und Golden Retriever. Wichtiger als die Rasse ist der Charakter des Hundes: Autismusbegleithunde sollten ruhig, ausgeglichen, wachsam, wendig und leicht führbar sein. Sie müssen aber auch die Kraft haben, sich einem Kind in den Weg zu stellen oder in der Lage sein, ein Kind zu suchen.
Wie geht eine Familie vor, die über den Verein Patronus-Assistenzhunde einen Hund erwerben möchte?
Die Familie bewirbt sich mit einem Bewerbungsschreiben und einem Anamnesebogen. Nach einem persönlichen Kennenlernen entscheiden wir, ob wir mit dieser Familie arbeiten wollen. Fotos und Videos des autistischen Kindes geben Aufschluss darüber, mit welchem Hundetrainer wir in Kontakt treten. Dieser trifft die Auswahl der Hunde.
Danach suchen wir gemeinsam nach Wegen der Finanzierung. Ein Autismusbegleithund kostet bis zu 30’000 Euro. Der Betrag umfasst neben der Anschaffung des Hundes die Tierarztkosten und 350 Stunden Ausbildung. Einberechnet sind weiter das Geschirr, die vierzehn Tage Zusammenschulung, Reise- und Übernachtungskosten sowie die Vor- und Nachbereitungszeit. Wir finanzieren uns durch Spenden und sind den Familien auch behilflich bei der Suche nach Stiftungen und Sponsoren.
Gibt es Studien, welche die Wirksamkeit eines Autismusbegleithundes nachweisen?
Studien wurden vor allem in den USA durchgeführt. In Deutschland gibt es zum Beispiel eine Studie, die zeigt, dass sich 76 Prozent der Kinder mehr zu einem Hund als zu einem Therapeuten oder einem Spielzeug hingezogen fühlen. Nach dem Spielen mit dem Hund senken sich die Vitalfunktionen wie Puls und Blutdruck. Die Kinder werden ruhiger, ausgeglichener und die Anzahl der Anfälle geht zurück. Das entspricht auch unserer Erfahrung.