Wie Vereinbarkeit gelingen kann - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Merken
Drucken

Wie Vereinbarkeit gelingen kann

Lesedauer: 4 Minuten

Für den Staat hat es viele Vorteile, wenn beide Elternteile berufstätig sind. Dennoch stehen Familien, die das selber auch wollen, vor vielen Hindernissen. Philippe Gnaegi von Pro Familia zeigt Auswege aus dem Dilemma. 

Haushalt, Kinder, Partnerschaft, die Betreuung von Angehörigen – in der modernen Familie gilt es, viele verschiedene Dinge mit der Erwerbstätigkeit zu vereinbaren. Nach wie vor übernimmt diese Aufgabe in den meisten Fällen die Frau: Das noch immer dominierende Familienmodell sieht die Mutter in einem Teilzeitpensum sowie den Vater in einem Vollzeitpensum vor. Gerade mal 18 Prozent aller Männer arbeiten in einem reduzierten Pensum.

Bis die Kinder zwölf Jahre alt sind, arbeitet die Hälfte der Frauen mit einem Beschäftigungsgrad von weniger als 50 Prozent, rund 20 Prozent arbeiten gar nicht. Zeit also, sich zu fragen: Wie steht es heute um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Schweiz? Dazu erst einmal zehn Feststellungen.

Feststellung 1: 

Hierzulande absolvieren ebenso viele Frauen wie Männer ein Hochschulstudium. Aus wirtschaftlicher Sicht ist die Investition in die Ausbildung für die Gesellschaft nicht rentabel. Ein grosser Teil dieser Hochschulabsolventinnen arbeitet nicht oder nur in geringen Pensen.

Feststellung 2: 

Ein Beschäftigungsgrad von weniger als 60 bis 70 Prozent beeinträchtigt die Arbeitnehmerin und den Arbeitnehmer:
 

  • Im Hinblick auf die Verbesserung ihrer resp. seiner Fähigkeiten: Die Person schöpft ihr Aus- bzw. Weiterbildungspotenzial nicht aus. 
  • Im Hinblick auf die Übernahme von Verantwortung im Unternehmen: Die Person übt wahrscheinlich eine weniger verantwortungsvolle Tätigkeit aus, macht keine Karriere.
  • Im Hinblick auf die Pensionierung: Aufgrund des niedrigeren Pensums zahlen sie weniger in die Rentenkasse ein und werden eine tiefere Rente beziehen.
  • Im Falle einer Scheidung: Betroffene Personen sind oftmals gezwungen, ihr Arbeitspensum zu erhöhen, da ihre Existenz mit einem geringen Teilzeiteinkommen nicht gesichert ist. Nicht selten sind Einelternfamilien von Sozialhilfe abhängig.

Feststellung 3: 

Frauen und Männer verbringen gerne Zeit mit ihren Kindern, schätzen es aber gleichzeitig, Zeit in ihrem Arbeitsumfeld zu verbringen. 

Feststellung 4: 

In der Schweiz ermöglichen vielen Paaren 160 Stellenprozente ein «existenzsicherndes Leben» für die Familie.

Feststellung 5: 

Das Schulmodell in der Schweiz verlangt von den Eltern einen wichtigen Beitrag: eine Begleitung der Kinder in der Ausbildung (Hilfe bei den Hausaufgaben, Kommunikation mit Lehrpersonen etc.) sowie bei Aktivitäten ausserhalb der Schule (Sport, Kultur, Betreuung am Nachmittag etc.).

Feststellung 6: 

Es existieren noch immer viele Stereotypen, sowohl in Bezug auf das ideale Familienmodell als auch in Bezug auf den Beschäftigungsgrad von Männern und Frauen.

Feststellung 7: 

Die Kosten für die externe Kinderbetreuung sind hoch und können Familien in ihrem Entschluss bekräftigen, auf ein doppeltes Einkommen zu verzichten. Dabei ist die finanzielle Belastung der Eltern in den einzelnen Kantonen sehr unterschiedlich. So bezahlen Eltern in Zürich beispielsweise doppelt so viel für die Kinderbetreuung wie diejenigen im Kanton Waadt.

Feststellung 8: 

Die Angebote und Verfügbarkeiten von externen Betreuungsstrukturen decken die Bedürfnisse der Familie nicht immer ab.

Feststellung 9: 

Das progressive Steuersystem benachteiligt Paare, in denen beide Partner einen hohen Beschäftigungsgrad haben.

Feststellung 10: 

Kinder, die nicht gut in die Gesellschaft integriert sind, werden benachteiligt. Deshalb ist die Frühförderung, etwa in Kinderkrippen, so wichtig. 

Wichtige Rahmenbedingungen schaffen

Doch wie kann die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben verbessert und somit beiden Elternteilen ermöglicht werden, mehr als 60 bis 70 Prozent arbeiten zu können? Es kann nicht alleine die Aufgabe der Mütter sein, Arbeit und Familienleben unter einen Hut zu bringen.

Frauen wollen und werden sich mehr auf dem Arbeitsmarkt engagieren, Männer wollen und werden mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen, wenn sie die Gelegenheit dazu bekommen. Die dazu nötigen Rahmenbedingungen betreffen verschiedene Aspekte:
 
1. Pädagogische Aspekte
Die Schule muss Kinder – sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Schule – stärker unterstützen und fördern. Dies unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit und mit dem Ziel, das Berufsleben der Eltern sowie die Entwicklung der Kinder zu verbessern.

2. Finanzielle Aspekte
Die Besteuerung muss Männer und Frauen vor dem Gesetz gleichstellen – dazu braucht es die Individualbesteuerung. Heute ist die Familie steuertechnisch benachteiligt. Zudem tragen Paare mit Kindern höhere Kosten als Paare ohne Kinder. Wenn die Frauen-Erwerbsquote steigt, profitieren Bund und Kantone von mehr Steuereinnahmen. Diese Mittel müssten so reinvestiert werden, dass die Menschen, die eine berufliche Tätigkeit ausüben, von besseren Rahmenbedingungen – wie einer qualitativ hochwertigen Kinderbetreuung – profitieren.

3. Unternehmen und Behörden
Wenn Unternehmen und Behörden vermehrt qualifizierte weibliche Arbeitskräfte suchen, müssen sie sich an der Schaffung besserer finanzieller Rahmenbedingungen (finanzielle Beiträge wie in den Kantonen Neuenburg, Waadt und Freiburg, wo die Arbeitgeber einen Teil an die Betreuung zahlen), an Vorschlägen für neue Arbeitszeitmodelle (flexible Arbeitszeiten, Homeoffice) und an der Schaffung von Teilzeitstellen in verantwortungsvollen Positionen beteiligen.

Gerade mal 18 Prozent aller Männer arbeiten in einem reduzierten Pensum.

4. Betreuungseinrichtungen
Die Zahl der Kinderbetreuungseinrichtungen muss erhöht werden, ohne die Qualität des Angebots zu vernachlässigen. Dies nicht nur für kleine Kinder, sondern auch für ältere, die mittags in der Schule bleiben. Unternehmen, die Kinderbetreuungseinrichtungen anbieten, sollten von Steuervorteilen profitieren.

5. Das Prinzip der Gleichstellung
Es müssen mehr Massnahmen ergriffen werden, um die Gleichstellung von Mann und Frau zu fördern, auch bei Menschen mit Migrationshintergrund. Schulen, Unternehmen, Verwaltungen und Politiker müssen sich stärker mit Fragen der Geschlechter-Stereotypisierung befassen, indem sie die geschlechtsneutrale Rollenverteilung innerhalb der Familie betonen.

Obwohl wir von Pro Familia ein breites Spektrum an Massnahmen vorschlagen, sind wir der Meinung, dass in der Frage, ob beide Elternteile berufstätig sein sollen, Wahlfreiheit herrschen muss. Dies ist eine individuelle Entscheidung, die Eltern frei von Zwängen treffen können müssen. Die Rahmenbedingungen, die es dazu von Seiten der Behörden und der Unternehmen brauchen würde, sind in der Schweiz jedoch leider noch nicht gegeben.

Bild: Pexels


Online-Dossier Vereinbarkeit

Dieser Artikel gehört zum grossen
Dieser Artikel gehört zum grossen Online-Dossier Vereinbarkeit. Wir geben Tipps, wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelingt und zeigen, wo die grossen Herausforderungen liegen.


Zum Autor:

Philippe Gnaegi, Dr., ist Ökonom, ist Direktor von Pro Familia Schweiz und arbeitet als Dozent an der Uni Freiburg. Er ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.
Philippe Gnaegi, Dr., ist Ökonom, ist Direktor von Pro Familia Schweiz und arbeitet als Dozent an der Uni Freiburg. Er ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.


Mehr zum Thema Vereinbarkeit: