Wie nachhaltig leben wir?
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Strom sparen, gesünder essen, weniger konsumieren. Ein nachhaltiger Lebensstil schont die Umwelt und das Portemonnaie. Familie Brügger stellt sich dem WWF Öko-Check – exklusiv für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi.
Gross prangt der Aufkleber auf dem Briefkasten des Mehrfamilienhauses. «Werbung OK» ist darauf zu lesen. «Den würde ich wegmachen», sagt Christoph Meili und schaut in die Runde. «Die ganzen bunten Werbebroschüren verleiten dazu, etwas zu kaufen, was man eigentlich gar nicht braucht.» Und das ist schlecht für die Umwelt und für das Portemonnaie.
Ökobilanz-Experte Christoph Meili ist beim WWF angestellt und an diesem Tag bei Familie Brügger in Schwarzenburg BE zu Gast, um beim Gang durch Wohnung und Keller zu checken, in welchen Bereichen die Familie noch umweltbewusster leben und sparen kann.
Familie Brügger, das sind Tanja, 42, Samuel, 44, Remo, 11, Joel, 8, und Katze Schnurrli. Sie leben in einer 4,5-Zimmer-Wohnung, machen gerne Ferien in der Schweiz, gehen im Winter Ski und Sommer Velo fahren.
«Wir geben uns grosse Mühe, die Umwelt zu schonen, aber ich denke, wir können bestimmt noch mehr tun», sagt Tanja Brügger und bittet den Gast ins Haus.
Treppe rauf, Tür aufgeschlossen und rein in die gute Stube. Wo den Energieberater hell leuchtende Spots empfangen. «Super. Diese LED-Spots benötigen fünf bis neun Mal weniger Strom als Halogenspots oder Glühbirnen», sagt dieser. Alle setzen sich um den grossen Familientisch, es gibt Tee und Kaffee und erste Informationen vom Ökobilanz-Experten.
Mobil – und das ohne eigenes Auto
In vier Bereichen lohnt es sich, das persönliche Verhalten auf Nachhaltigkeit hin zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern: Ernährung, Mobilität, Wohnen und Konsum. Wobei Verhaltensänderungen in den Bereichen Ernährung und Mobilität die wichtigsten sind beziehungsweise die, in denen Haushalte am meisten erreichen können.
Dass Familie Brügger ohne eigenes Auto auskommt, finden Nachbarn und Kollegen mitunter verwunderlich. «Wie geht das denn auf dem Land?», werden Tanja und Samuel Brügger oft gefragt. Das geht ziemlich gut, findet das Paar. Die nächste S-Bahn-Station ist in zehn Minuten zu Fuss erreicht, der nächste Supermarkt in fünf Minuten. Zwei Mobility-Standorte gibt es in Schwarzenburg, und wenn es doch mal nötig ist, leiht sich Tanja Brügger das Auto ihrer Eltern aus. Die wohnen auch im Ort. Und was machen sie in den Ferien? «Da entdecken wir tolle Gegenden in der Schweiz. Wenn es weiter weg gehen soll, fahren wir mit dem Auto meiner Schwiegereltern», sagt Samuel Brügger. Nach Italien ans Meer zum Beispiel. Die letzte Flugreise liegt bei den Brüggers elf Jahre zurück.
300 Gramm Fleisch pro Woche – mehr nicht
«So viel zu Fuss, mit dem Velo oder den öffentlichen Verkehrsmitteln zu machen, ist wahrscheinlich unsere grösste Leistung in Sachen Nachhaltigkeit», sagt seine Frau und lacht. Und die grösste Schwachstelle?
«Unser Fleischkonsum», ist sich das Ehepaar einig. «Samuel ist Maurer, er arbeitet als Vorarbeiter auf Baustellen und braucht viel Energie.» Wie man die aus pflanzlichen Produkten ziehen kann? Christoph Meili hat gute Tipps: Nudeln und Kartoffeln liefern wertvolle Kohlenhydrate, Hülsenfrüchte, Nüsse und Sojaprodukte (beispielsweise Tofu, Sojamehl oder Sojamilch) eine gehörige Portion Eiweiss, Kalzium und Eisen. Dabei geht es aus Umweltsicht nicht darum, komplett auf Fleisch zu verzichten, sondern seinen Konsum auf etwa 300 Gramm pro Person und Woche zu reduzieren.
«Ein Rind muss 5 bis 20 Kilo Futtermittel, oft Weizen, Sojaschrot oder Reis, fressen, um 1 Kilo Fleisch zu produzieren», gibt Christoph Meili zu bedenken. Seitan, ein Produkt aus Weizen- oder Dinkeleiweiss, kommt Fleisch im Geschmack, wenn gut gewürzt, und in der Konsistenz übrigens am nächsten. Aber nicht nur die Quantität ist entscheidend, sondern auch die Qualität: Bei Fleisch und Wurstwaren unbedingt nach Bioprodukten greifen! Klar hat Qualität ihren Preis. Du bist, was du isst – darum solle man lieber an anderen Orten als beim Essen sparen, findet der Ökobilanz-Experte. Und: «Ein Drittel unserer Nahrung landet im Müll, das muss nicht sein», sagt Christoph Meili, öffnet den Kühlschrank und zieht eine Tupper-Dose heraus. «Das sind Nudeln von gestern, die braten wir heute Abend mit Gemüse», sagt Tanja Brügger. Der Berater nickt anerkennend. Auch über die Wurst freut er sich. Dafür werden bei der Produktion Reste der Fleischproduktion verwertet. Trotzdem rät der Experte, möglichst oft zu pflanzlichen Eiweisslieferanten zu greifen.
Den Sodastreamer der Familie hält er für eine sinnvolle Anschaffung. Christoph Meili: «Man muss nicht wöchentlich schwere PET-Mineralwasserflaschen nach Hause schleppen. Diesen Verpackungsmüll und Transportwahnsinn kann man sich bei der hervorragenden Hahnenwasser-Qualität hierzulande sparen.» Und noch etwas legt Christoph Meili Verbrauchern wie Familie Brügger ans Herz: Wo immer es geht, die Herdplatte dem Backofen vorziehen, das spart 90 Prozent Energie!
«Das machen wir», freut sich Tanja Brügger, «und erhitzen das Wasser, beispielsweise für Pasta, zuerst im effizienten Wasserkocher, dann im Topf. Bringt das was?» Christoph Meili: «Nur Zeitgewinn. Beim Umschütten vom Wasserkocher in den Topf geht durch das Erwärmen des Topfes leider die eingesparte Energie wieder verloren.»
Drei Mal täglich fünf Minuten stosslüften
Apropos Wärme: Geheizt wird das 2007 erbaute Haus mit einer umweltfreundlichen Holzschnitzelheizung. Zu warm mag es die Familie nicht, da wird lieber ein wärmender Pullover angezogen, als die empfohlene Zimmertemperatur von etwa 21 Grad zu überschreiten.
«Hier schlafe ich!», ruft Remo stolz und öffnet auf dem Rundgang gleich mal sein Zimmerfenster. Stosslüften – am besten drei Mal täglich für etwa fünf Minuten ist effizienter, als das Fenster stundenlang auf Kipp stehen zu haben. So wird die Raumluft komplett aufgefrischt, ohne viel Wärme zu verlieren. Remo weiss das schon. Ebenso dass man Elektrogeräte ganz ausschalten sollte, wenn man sie gerade nicht braucht. Auch im Stand-by-Modus verbrauchen sie Strom. Christoph Meili hat dazu einen wertvollen Tipp: «Bei mir zu Hause habe ich Geräte, wie Modem oder Fernseher, deren Sender sich verstellen könnten, wenn man sie ganz vom Strom nimmt, in einer seperaten Steckdosenleiste, alle anderen in einer zweiten. Letztere schalte ich komplett aus, wenn ich die angeschlossenen Geräte nicht benötige.»
Tanja und Samuel Brügger freuen sich über die Profitipps und haben viele Fragen. Gemeinsam gehen sie in den Keller, in dem jede Mietpartei ihren eigenen kleinen Kellerraum samt Waschmaschine und Trockner hat. «In unserer Waschküche ist leider wenig Platz. Was kann ich im Winter tun, um nicht so oft den Wäschetrockner benutzen zu müssen?»
Flecken mit einem Fleckenstift vorbehandeln
An schönen Wintertagen spricht nichts dagegen, die Wäsche ebenfalls draussen zu trocknen – es dauert einfach etwas länger, meint der Experte. «Wird die Wäsche drinnen aufgehängt, sollte häufiger stossgelüftet werden, damit die erhöhte Luftfeuchtigkeit aus der Wohnung verschwindet und sich kein Schimmel an den Wänden bildet.» Egal ob draussen, drinnen oder im Wäschetrockner, es lohnt sich immer, das Waschprogramm mit dem Schleudergang zu beenden. Das Trocknen geht so deutlich schneller. Auch wichtig: Schmutzflecken mit einem Fleckenmittel vorbehandeln und die Wäsche dafür möglichst nur mit 20 oder 30 Grad waschen.
Christoph Meilis Blick fällt auf eine geflickte Kinderhose. Und auch sonst versuchen Brüggers, Gegenstände nicht so schnell auszutauschen, sondern lassen sie reparieren, wenn sie kaputt gegangen sind. «Mein Smartphone nutze ich so lange, bis es nicht mehr funktioniert oder repariert werden kann», sagt Tanja Brügger.
Viel besser kann man es kaum noch machen, findet der Ökobilanz-Experte. Was sich die Familie nach seinem Besuch vornimmt? Weniger Fleisch und das in Bioqualität essen, Freunden und Kollegen von den schönen Ferien erzählen, um zu zeigen, dass auch nahe gelegene Regionen sehenswert sind – und natürlich: den Werbeaufkleber vom Briefkasten entfernen!