Wie helfe ich meinem Kind in einer Trauersituation?
Bilder: Harry + Lady / Plainpicture und iStock
Kinder gehen mit dem Verlust eines nahestehenden Menschen anders um als Erwachsene. Wie Eltern einem trauernden Kind beistehen und ihm helfen können.
Wenn jemand stirbt, ist das traurig und oft sehr schmerzhaft. Doch das ist nicht das Problem. Das Problem ist vielmehr, wie wir damit umgehen: Die Trauer um einen Verstorbenen ist nicht mehr gesellschaftsfähig. Diese Emotion ist so negativ besetzt wie nie zuvor. Sie darf nicht sein, und wenn doch, dann bitte wirklich nur kurz. Unsere Leistungsgesellschaft verlangt nach fröhlichen Gesichtern und arbeitsfähigen Menschen. Wir tragen am Tag der Beerdigung grosse Sonnenbrillen und sagen zu uns selbst: zusammenreissen.
Ist Trauer heutzutage verboten?
«Geburt, Krankheit und Tod waren völlig natürliche Vorgänge, an denen die komplette Familie und Verwandtschaft teilgenommen haben», erzählt Christine Leicht. «Erst als die Grossfamilien zerfallen sind, die Grosseltern anderswo lebten, Tanten und Onkel weit entfernt arbeiteten und keiner mehr Zeit hatte, wurde all das ausgelagert.»
Durch altersgemässes Begreifen kann ein Kind seine Gefühle rund um das Verlusterlebnis ausdrücken.
Vor allem, sagt Christine Leicht, brauchen sie auch die Erlaubnis für diese Gefühle. Stirbt ein Elternteil, ein Bruder oder eine Schwester, sind die Eltern oder der überlebende Elternteil nur schwer in der Lage, neben der eigenen Trauer und Aufrechterhaltung des Alltags ihr Kind in seinem individuellen Trauerprozess genügend zu unterstützen.
Auch Lehrpersonen sollen Verantwortung übernehmen
Dass es sich bei trauernden Kindern und Jugendlichen nicht um ein Randphänomen handelt, zeigen zahlreiche aktuelle Untersuchungen. Demnach haben knapp 80 Prozent der 16-Jährigen bereits einen Todesfall im engen Verwandten- oder Bekanntenkreis erlebt. Eine Umfrage unter Lehrpersonen hat ergeben, dass bei 69 Prozent von ihnen mindestens ein Schüler oder eine Schülerin in der Klasse sitzt, der oder die im vergangenen Jahr einen Elternteil, einen Freund oder ein Geschwister verloren hat.
Diese Kinder zeigten sich auch plötzlich viel ängstlicher und seien vermehrt in Sorge um die verbliebenen Familienmitglieder. «Das alles ist nach einem solchen Erlebnis völlig normal», sagt Gunther Meinlschmidt. Und es sei auch normal, wenn solche Symptome eine ganze Weile andauern.
Meinlschmidt warnt davor, die Trauer zu pathologisieren. Trauer brauche Zeit. «Die meisten denken, das Trauern sei ein Prozess, der schnell vorbeigehe. Doch er dauert tatsächlich oft länger», sagt der Psychologe. «Viele Menschen unterschätzen auch, dass das Trauern wirklich Energie kostet und die Trauer in sehr unterschiedlichen Gewändern daherkommt.» Erst wenn einem bewusst sei, dass sich Trauer – bei Kindern und Erwachsenen gleichermassen – auch in Wut, Ärger, Frust oder Langeweile zeigen kann, könne man diese Phasen akzeptieren.
Es geht auch um Träume und Pläne
Kinder würden – im Gegensatz zu Erwachsenen – häufig gar nicht richtig als Trauernde wahrgenommen, sagt Trauerbegleiterin Beate Weber. «Sie werden meist erst dann registriert, wenn sie auffällig werden – entweder besonders aggressiv oder besonders still», sagt Weber.
Jeder zweite Jugendliche würde ein Jahr seines Lebens für einen einzigen Tag mit seinem verstorbenen Elternteil hergeben.
Die Frage, wie lange man trauern dürfe, wird in der Fachwelt heftig diskutiert. Die am häufigsten genannten Zahlen liegen bei sechs bis zwölf Monaten. Zwölf Monate deshalb, weil Jahrestagen eine besondere Bedeutung zugesprochen wird. «Es dauert, so lange es eben dauert», sagt Meinlschmidt. «Die Trauer kann auch lange danach noch plötzlich aufbrechen.»
Was, wenn die Trauer nicht vergeht?
Dass ein Kind mit dem Tod eines nahen Menschen tatsächlich nicht klarkommt, zeige sich vor allem bei längerfristigen Veränderungen. Wenn nach mehr als einem halben Jahr nach dem Verlust noch immer massive Ängste den Alltag des Kindes bestimmen, es wieder ins Bett nässt, es zum Störenfried in der Klasse wird oder die schulischen Leistungen dauerhaft einbrechen, kann es ratsam sein, sich an Experten zu wenden.
Zum Beispiel an eine Trauer- und Sterbebegleiterin wie Christine Leicht. Die Bernerin rät vor allem zu altersgerechter Sprache und Ehrlichkeit: nichts beschönigen, nichts leugnen und das Kind mit allen nötigen Informationen versorgen. Denn von einem offenen Umgang mit dem Sterben und dem Tod, sagt Christine Leicht, profitiere es mehrfach: «Es fühlt sich zum einen nicht ausgeschlossen von etwas, das offenbar so enorm ist, dass es alle irgendwie umtreibt», sagt sie. Und: «Zum anderen wird die kindliche Neugier befriedigt: Etwas passiert, und ich will begreifen, was da los ist.»
Bei all diesen Schritten steht die Trauerbegleiterin Familien zur Seite, sowohl in der akuten Phase als auch noch lange danach. Der Bedarf gestaltet sich von Familie zu Familie sehr unterschiedlich. In einer Familie schaute sie zum ersten Mal ein halbes Jahr nach dem Tod der Mutter vorbei und kam dann mehrmals die Woche, bis sich die Abstände immer weiter vergrösserten.
«Zu etwa drei Vierteln widme ich meine Zeit den Kindern, zu einem Viertel berate ich die Eltern», sagt Leicht. Damit die Gefühle der Kinder Ausdruck finden können, bastelt, malt oder musiziert Leicht mit ihnen. Denn oft fehlt ihnen noch das Vokabular, um ihre Gefühle auszudrücken. «Auf diese Weise können sich Kinder besser öffnen und sind bereit zu erzählen», sagt Leicht. «Ich bin eine neutrale Person, das spürt das Kind.» Manchmal sind Schicksale so schlimm, dass auch die Expertin den Austausch sucht und sich mit Kolleginnen und Kollegen bespricht.
Den Verstorbenen einen neuen Platz geben …
Den Verstorbenen einen neuen Platz zu geben ist eine der Aufgaben von Christine Leicht. Dafür philosophiert sie viel mit den Kindern. Wo könnten Grossmami, Mami, Papi jetzt sein? Im Herzen? Im Himmel? Auf einem Stern? «Da ist vieles möglich», sagt Christine Leicht. «Das Einzige, das ich nicht akzeptiere, ist, wenn ein Kind sagt, der Vater sei jetzt in Marokko und komme es in einigen Jahren besuchen.»
Kinder und Erwachsene haben unterschiedliche Bilder vom Verbleib des Verstorbenen.
Zur Autorin:
Links und Buchtipps:
- familientrauerbegleitung.ch
- promethea.ch
- kindertrauer-leicht.ch
- verein-regenbogen.ch
- Petra Jenni-Furrer: Ich habe Dich im Herzen. Pattloch Verlag. 48 Seiten, 19.90 Fr.
- Elfi Nijssen/Eline van Lindenhuizen: Benjamin. Patmos Verlag.
24 Seiten, 14.80 Fr. - André Hötzer: Das Schmetterlingsprinzip. Books on Demand.
56 Seiten, 29.90 Fr. - Theresa Maria Zeitz: Nasse Nasenspitzen-Küsse.
Deutsche Literaturgesellschaft. 39 Seiten, 21.90 Fr. - Claudia Conradin: Ohnmacht, Zuversicht und Liebe.
Books on Demand. 216 Seiten, 24.90 Fr.
Weiterlesen zum Thema Trauer:
- Kinder sollten alles über den Tod erfahren – sagt unser Kolumnist Jesper Juul. Wie sollen wir mit unseren Kindern über den Tod sprechen? Und wie können wir zusammen trauern?
- Frau Nosetti-Bürgi, wie können Familien den Tod eines Elternteils überwinden?Wir haben bei der Psychologin nachgefragt.