Grüezi, bonjour, bongiorno!  - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Grüezi, bonjour, bongiorno! 

Lesedauer: 5 Minuten

Immer mehr Mädchen und Buben in der Schweiz wachsen mehrsprachig auf. Sprachwissenschaftlern zufolge wirkt sich dies positiv auf die kognitive Entwicklung des jeweiligen Kindes aus.Vorausgesetzt, der Spracherwerb erfolgt kindgerecht und nach gewissen Regeln.

Nathalie hat eine Deutschschweizer Mutter und einen französischsprachigen Vater aus der Romandie. In der Schweiz aufgewachsen, lernte sie sowohl Schweizerdeutsch als auch Französisch und spricht heute beides gleichermassen. Davon profitiere sie sehr, sagt die heute 24-Jährige, da sie ohne Sprachbarrieren leicht neue Freundschaften knüpfen könne. Zurzeit lässt sich Nathalie zur Lehrerin für die Sekundarstufe ausbilden. Sie möchte in Zukunft Deutsch, Englisch und Französisch als Fremdsprache unterrichten. Ihre zweisprachig ausgerichtete Erziehung beeinflusste auch ihre spätere Berufswahl: «Mein Interesse für Sprachen wurde so geweckt. Ich konnte nicht nur Deutsch und Französisch ohne Mühe in frühster Kindheit lernen, es fiel mir auch leichter, meine zusätzlichen Sprachen, Englisch und Italienisch, zu lernen.» 

Je mehr Sie mit Ihrem Kind  zusammen sind, desto intensiver ist der sprachliche Austausch.

Laut einer Erhebung des Bundesamts für Statistik aus dem Jahr 2015 sind fast 20 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung in der Schweiz zweisprachig. Weitere 4 Prozent geben an, mehr als zwei Hauptsprachen zu beherrschen. Dies beinhaltet die Kompetenz, zwei oder mehr Schweizer Landessprachen als Hauptsprachen (fast) gleichwertig zu sprechen. Am häufigsten ist dabei die Kombination Deutsch/Französisch (10 Prozent) und Deutsch/Italienisch (10 Prozent), gefolgt von Französisch/Italienisch (6 Prozent). Rätoromanisch als Muttersprache geht meistens einher mit dem fliessenden Beherrschen von Deutsch oder Italienisch oder beidem. Mehrsprachigkeit beinhaltet jedoch ebenso, neben einer der vier Landessprachen eine andere Muttersprache zu sprechen. Zu den meistgenannten zählen hier: Englisch, Portugiesisch, Albanisch, Serbisch, Kroatisch und Spanisch. Betrachtet man sowohl die Zeit zu Hause als auch jene am Arbeitsplatz, so sprechen 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung alltäglich zwei oder mehr Sprachen.

Immer mehr junge Schweizer sind mehrsprachig 

Bei der jüngeren Schweizer Wohnbevölkerung (15–24 Jahre) lebt über ein Drittel im Alltag mehrsprachig. Rund 12 Prozent sprechen sogar drei Sprachen und mehr – Tendenz steigend. So wachsen in der Schweiz immer mehr Kinder wie Nathalie mehrsprachig auf. Durch die Zunahme von interkulturellen Paarkonstellationen ergeben sich auch öfter mehrsprachige Eltern. Der häufigste Grund sind Wohnortswechsel. Bei Zuzügen aus dem Ausland kommt oft eine andere Herkunftssprache mit einer Schweizer Landessprache zusammen, oder bei einem Kantonswechsel kann es zu einer neuen Umgebungssprache kommen. 

Kindern lernen schnell und mit hoher Motivation die Umgebungssprache, um neue Freunde zu finden.

Zieht ein französischsprachiges Paar mit Kindern nach Zürich, sprechen die Kinder zum Beispiel zu Hause Französisch, jedoch in der Schule Deutsch. Vielleicht gehen die Kinder aber auch in eine französischsprachige Schule, damit die Herkunftssprache neben der Umgebungssprache besser gefestigt werden kann. Generell lernen Kinder die Umgebungssprache schnell und mit hoher Motivation, um Freunde zu finden und sich mit der Umwelt verständigen zu können. Im Einzelfall kann es jedoch zu ausserordentlich komplexen Konstellationen kommen: Eine Deutschschweizerin spricht Hochdeutsch mit ihrem Partner, welcher aus der Romandie stammt. Nun ziehen sie mit ihrem zweijährigen Sohn nach Norwegen. Das Kind wäre dadurch mit Hochdeutsch, Schweizerdeutsch, Französisch, Norwegisch und  – wie oft in skandinavischen Ländern – mit Englisch konfrontiert. Welche Sprachen soll das Kind nun lernen und wie kann dies geschehen?

Eine Person – eine Sprache 

Auch bei weniger komplexen Sprachkonstellationen ist es lohnenswert, sich Gedanken über die Spracherziehung der Kinder zu machen. Eltern können beispielsweise gemeinsam überlegen, welche Sprachen sie weitergeben möchten und wie sie dies gestalten. Dafür gibt es scheinbar unendlich viele Konstellationen und Modelle. Das populärste und erfolgversprechendste lautet «Eine Person – eine Sprache»; das bedeutet, dass das Kind mit einer Person immer dieselbe Sprache spricht und mit einer anderen Person eine andere Sprache. Die betreffende Person muss kein Elternteil sein, es kann sich dabei genauso gut um Betreuungspersonen, Lehrpersonen oder Grosseltern handeln. Das Konzept «Eine Person – eine Sprache» wurde bereits vielfach in der Praxis getestet und soll das Risiko verringern, dass Kinder Sprachen vermischen. 

Eltern sollten die Sprache (fast) perfekt beherrschen, bevor sie diese ihren Kindern beibringen. 

Auch bei Nathalie wurde diese Regel umgesetzt. Die Mutter sprach mit ihr und ihren Geschwistern konsequent Schweizerdeutsch, der Vater hingegen Französisch. Untereinander sprachen die Eltern Französisch, und die Umgebungssprache war – bis auf ein Schuljahr – für Nathalie auch Französisch. Trotzdem erinnert sich Nathalie nicht, dass ihre Mutter je von ihrer Regel abgewichen wäre. Autoren und Autorinnen wie Elke Montanari raten zur Einhaltung dieser Regel, auch bei Schwierigkeiten. Sie beschreibt, wie die Tochter einer italienischen Mutter es peinlich fand, dass die Mutter mit ihr in der (deutschsprachigen) Öffentlichkeit ausnahmslos Italienisch sprach. Sie wollte so sein wie alle anderen und wünschte sich, dass auch ihre Mutter dieselbe Sprache wie ihre Umgebung sprechen würde. Heute ist die Tochter jedoch froh über ihre zweisprachige Erziehung. 

Die Freude am Kommunizieren

Manchmal braucht es eine gewisse Gelassenheit, wenn das Kind sich weigert und eine Sprache nicht (mehr) sprechen möchte. Montanari schlägt für solche Situationen vor, spielerisch so zu tun, als verstehe man das Kind nicht in der anderen Sprache. Oder den Satz in der anderen Sprache «durchgehen zu lassen» (vor allem bei Kleinkindern), diesen aber in der eigenen Sprache zu wiederholen (siehe Buchtipp). Am Ende gelingt mehrsprachige Erziehung auch ohne das Modell «Eine Person – eine Sprache». Laut Forschungsergebnissen sind die Chancen jedoch höher, dass ein Kind eine Sprache beibehält und auf einem guten Niveau beherrscht. In manchen Familien braucht es auch eine gewisse Flexibilität und individuelle Lösungen: etwa bei häufigerer Abwesenheit einer der sprachprägenden Personen oder wenn ein Familienmitglied die Sprache nicht versteht und sich ausgeschlossen fühlt. Das Wichtigste bleibt aber die Freude am Kommunizieren! Reden wir viel mit unserem Kind? Oder sind wir zu viel unterwegs und das Kind spricht in unserer Abwesenheit (z. B. mit der Tagesmutter oder der Babysitterin) eine andere Sprache? Je mehr Sie mit Ihrem Kind zusammen sind und unternehmen, desto intensiver kann auch der sprachliche Austausch gestaltet werden. 

Muttersprachler verfügen über einen grösseren Wortschatz 

Verliert mein Kind in der globalisierten Welt den Anschluss, wenn es nicht mehrsprachig aufwächst? Wenn die Umgebung Mehrsprachigkeit ermöglicht, ist es in jedem Fall zu empfehlen, diese Chancen auch zu nutzen – vorausgesetzt, es erfolgt nach gewissen Regeln und kindgerecht. Ein Kind soll ohne Druck und Überforderung verschiedene Sprachen mit Freude lernen dürfen. Lange war man überzeugt, eine mehrsprachige Erziehung überfordere Kinder und führe zu Defiziten in Spracherwerb und Entwicklung. Diese Meinung ist jedoch seit den 1970er-Jahren überholt: Kinder können gut zwei oder mehr Sprachen von Geburt an lernen, gewisse Studien deuten sogar auf einen kognitiven Vorteil mehrsprachiger Kinder im Schulalter hin. Wenn zwei Elternteile unterschiedliche Muttersprachen sprechen oder eine Familie umzieht und dadurch eine neue Umgebungssprache hinzukommt, dann bietet es sich an, diese Ressourcen weiterzugeben und zu verankern. Einem Kind eine Sprache beizubringen, die man selbst nicht perfekt beherrscht, ist hingegen umstritten. 

Kinder können gut zwei oder mehr Sprachen von Geburt an lernen.

Von grosser Bedeutung für einen fundierten und korrekten Spracherwerb ist nämlich die Möglichkeit, die Sprache auch richtig hören zu können. Wenn Eltern sich in einer Fremdsprache abmühen, lernen Kinder vor allem eins: die grammatikalischen Fehler der Eltern. Muttersprachler verfügen über einen grösseren Wortschatz und verwenden verschiedene grammatikalische Zeiten müheloser. Für die Weitergabe einer Sprache benötigt es deshalb nicht nur Konsistenz (Beständigkeit, wie die Mehrsprachigkeit umgesetzt wird), sondern auch Kompetenz

Eine Sprache sollte (fast) auf Muttersprachniveau beherrscht werden, bevor man sich dazu entscheidet, diese auch dem Kind beizubringen. Kein Kind wird heutzutage an den häufigsten und wichtigsten Sprachen vorbeikommen. Dies kann man getrost Fachlehrpersonen überlassen, welche dazu ausgebildet wurden, Kindern eine neue Sprache mit Grammatik und Wortlaut kompetent und altersgerecht zu vermitteln. Als Familienmitglied kann man dies allerdings unterstützen. Kinder spielerisch an andere Sprachen heranzuführen, erleichtert den Zugang und weckt das Interesse für eine Sprache. Natürlich kann man einem Kind Farben, Zahlen oder Bezeichnungen für Tiere in einer anderen Sprache beibringen, auch ohne Muttersprachler(in) zu sein. Ergänzend eignen sich Bücher, Spiele, Filme in der Fremdsprache, um den Erwerb zu fördern. 

Die Sprache des Ferienlandes 

Nicht nur Medien in einer anderen Sprache sind interessant, sondern auch Besuche der entsprechenden Regionen. Ein Kind, welches sich jedes Jahr auf die Ferien in Italien oder im Tessin freut, wird mit höherer Motivation lernen, wie man auf Italienisch ein Glace bestellt und wie es mit anderen Kindern kommunizieren kann. Für Eltern mit einer Herkunftssprache, welche nicht Umgebungssprache ist, gibt es in manchen Regionen spezielle Spielgruppen für Kinder.

Dort hören und sprechen nicht nur die Kinder die entsprechende Sprache, sondern auch den Eltern wird die Gelegenheit geboten, sich in ihrer Muttersprache auszutauschen. Besteht ein (positiver) Bezug zur Sprache, ist ein guter Grundstein gelegt. Eltern sollten Fremdsprachen und deren Erwerb nicht abwerten («Bei uns in der Familie kann eh niemand Französisch, das brauchst du nie!»), sondern Kinder dazu ermutigen, neue Sprachen zu lernen («Du kannst ja schon fast besser Englisch als ich!»). Dies fördert die kognitiven Fähigkeiten der Kinder, das leichtere Aneignen weiterer Sprachen und ermöglicht so nicht nur künftige Vorteile in der Berufswelt, sondern auch Freundschaften über geografische Grenzen hinweg.

Bild: fotolia.com


Buchtipp:

Elke Montanari: Mit zwei Sprachen gross werden: mehrsprachige Erziehung in Familie, Kindergarten und Schule. Kösel-Verlag, 2002,  ca. Fr. 25.–

Zur Autorin:

Jacqueline Esslingerist Psychologin und Doktorandin am Institut für Familienforschung und -beratung der Universität Freiburg.
Jacqueline Esslinger
ist Psychologin und Doktorandin am Institut für Familienforschung und -beratung der Universität Freiburg.