«Es gibt keinen Lehrermangel» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Es gibt keinen Lehrermangel»

Lesedauer: 10 Minuten

Seit fast 30 Jahren hat Beat W. Zemp den Dachverband der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer LCH präsidiert. Diesen Juli scheidet er aus dem Amt. Der Pädagoge über seine Vorbilder, den Druck, der auf Lehrpersonen lastet und die Frage, warum er letztendlich Lehrer und nicht Dirigent geworden ist. 

Ein Neubau nah der Zürcher Hardbrücke. Im obersten Stock residiert der Dachverband der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer LCH.Wir werden in ein modern ausgestattetes Besprechungszimmer geführt. Beat W. Zemp komme jeden Moment, heisst es. Der LCH-Präsident hat viel zu tun, es sind die letzten Wochen seiner Amtszeit. Wehmütig sei er deswegen nicht, sagt er, als er kurze Zeit später den Raum betritt. Hände werden geschüttelt, das Gespräch kann beginnen. 

Beat W. Zemp, Sie waren viele Jahre der oberste Lehrer der Schweiz und damit ein Vorbild für viele Kolleginnen und Kollegen. Gibt es eine Lehrperson, die Sie selbst sehr beindruckt beziehungsweise geprägt hat?  

Das war mein Mathematiklehrer am Gymnasium, kaum älter als wir damals. Jugendliche in diesem Alter sind in einer schwierigen Entwicklungsphase, er hat es verstanden, uns trotzdem zu erreichen. Er hat mit einem inneren Feuer unterrichtet, das mich gepackt und motiviert hat. 

Gibt es auch schlechte Erinnerungen an Ihre eigene Schulzeit? 

Leider ja, besonders ein Primarlehrer ist mir negativ in Erinnerung geblieben, er hat uns Schüler regelmässig geschlagen, Angst und Schrecken verbreitet. In den 60er Jahren wurde so etwas gesellschaftlich noch toleriert. Heute wäre dies undenkbar. 

Es gab Zeiten, in denen Sie Dirigent werden wollten. 

Mein Musiklehrer am Gymnasium hat mir die Tür zur Welt der klassischen Musik geöffnet. Ich habe das Dirigentendiplom gemacht und eine Band gegründet.
Beat W. Zemp über eine Schule ohne Hausaufgaben: «Ich bin dafür, Hausaufgaben in den Schulalltag zu integrieren, zum Beispiel dank einer betreuten Hausaufgabenstunde am Ende eines Schultages. Das würde etwas kosten, wäre aber gut investiertes Geld, da die Kinder, die zu Hause keine Hilfe bekommen, davon sehr profitieren würden».
Beat W. Zemp über eine Schule ohne Hausaufgaben: «Ich bin dafür, Hausaufgaben in den
Schulalltag zu integrieren, zum Beispiel dank einer betreuten Hausaufgabenstunde
am Ende eines Schultages. Das würde etwas kosten, wäre aber gut
investiertes Geld, da die Kinder, die zu Hause keine Hilfe bekommen, davon
sehr profitieren würden».

Und warum ist aus diesem Berufswunsch nichts geworden? 

Der Wunsch, Mathematik, Geographie und Pädagogik zu studieren und Gymnasiallehrer zu werden, wurde wohl durch meine Begeisterung für den oben erwähnten Mathematiklehrer geschürt. Also habe ich lange Zeit zwei Leben gelebt, dass des Studenten und Lehrers und das des Musikers und Bandleaders.

Was ist das Wichtigste, dass Ihnen ihre Eltern mitgegeben haben? 

Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Besonders mein Vater hat mich sehr unterstützt. Ein Jahr lang hat er mich beispielsweise fast täglich zum Probelokal meiner Band gefahren. Meine Mutter hat vor allem auf die schulischen Leistungen geschaut. Sie hat immer etwas Druck ausgeübt, was wohl auch ein Grund dafür ist, dass ich Bestnoten von der Primarschule bis zur Universität erzielt habe. 

Beeindruckend. 

Aber nicht immer hilfreich für einen Lehrer, der auch Jugendliche verstehen muss, denen sich mathematische Formeln nicht immer sofort erschliessen. Doch ein guter Lehrer vermag auch das Interesse derjenigen Kinder zu wecken, bei denen sein Fach nicht auf Platz 1 der Hitliste steht. Dies war stets mein Ziel. 

Wie kam es zu Ihrem berufspolitischen Engagement?

Dies ist der Verdienst eines ehemaligen Kollegen. Er hat mich gefragt, ob ich mich im Lehrerverein Baselland engagieren möchte. Zu jener Zeit wurde mir bewusst, dass die Unterrichtsbedingungen massgeblich von der Politik geprägt werden, daher wollte ich mich dort einsetzen und übernahm schliesslich das Vizepräsidium dieses Vereins.

1989 wurden Sie zum Präsidenten des neu gegründeten Dachverbandes der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH gewählt. Welche Ziele hatten Sie sich gesetzt?

Der LCH sollte durch den Zusammenschluss der Lehrerverbände auf allen Ebenen die notwendige Kraft und Professionalität entwickeln, um den stetigen Wandel im Bildungswesen aktiv mitgestalten zu können. Ein anderes Ziel war die Professionalisierung der Kommunikation. Es brauchte einen Verband, der Sprachrohr der Lehrerschaft wurde. Ein grosser Teil meiner Arbeit als Präsident des LCH umfasst bis heute Medienarbeit. Es vergeht kaum ein Tag ohne eine Stellungnahme in den Medien.

«WhatsApp darf in Zukunft Werbung schalten. Das ist ein
No-Go in der Schule.»

Heute zählt der LCH 53’000 Mitglieder und umfasst alle Stufen- und Fachverbände vom Kindergarten bis zu den Hochschulen und ist damit der grösste Verband von Lehrpersonen in der Schweiz. Gab es auch Ziele, bei denen Sie auf Widerstände, an Ihre Grenzen gestossen sind? 

Natürlich musste ich mehr als einmal erfahren, dass man in der Bildungspolitik einen langen Atem braucht. So ist es uns beispielsweise noch immer nicht gelungen, den Wildwuchs an unterschiedlichsten Diplomen für die Primarlehrpersonen auf ein erträgliches Mass zurückzuschneiden. Ebenso muss die Ausbildung der Primarlehrer von Bachelor- auf Masterniveau angehoben werden, um so auf die stark gestiegenen Anforderungen an die Lehrpersonen reagieren zu können. Die Schweiz ist Schlusslicht bei der Dauer der Primarlehrerausbildung in ganz Europa. Das ärgert mich wirklich. 

Welche Missstände gilt es noch zu beheben? 

Es gelingt uns einfach nicht, die Bildungslaufbahn vom sozioökonomischen Status des Elternhauses zu entkoppeln und für mehr Chancengerechtigkeit zu sorgen.  

Was ist zu tun? 

Der Staat muss sich den Ausbau der Frühförderung und der schulergänzenden Betreuung zur Aufgabe machen. Andere Länder haben beispielsweise Entwicklungspläne für das Alter «0 bis 4 Jahre» erarbeitet. Die Primarschule ist nicht immer in der Lage, die Rückstände, die bei manchen Kindern aus bildungsfernen Schichten in den ersten Lebensjahren entstehen, aufzuholen. Wenn Sie hierzulande den Bildungsgrad und das Einkommen einer Familie anschauen, können Sie mit grosser Wahrscheinlichkeit sagen, ob das Kind eine Matura macht oder nicht. 

«Es wird nie ein Schulleiter vor
die Klasse treten und sagen: Sorry, wir haben keine
Lehrperson gefunden.»

Es gibt zahlreiche Themen, zu denen Sie in den vergangenen Jahren öffentlich Stellung genommen und Empfehlungen ausgesprochen haben. Eine davon lautete, WhatsApp nicht als Klassenchat zu nutzen. 

Viele haben mich anfangs kritisiert. Das sei unrealistisch, hiess es. Mittlerweile sind alle kantonalen Datenschützer auf unsere Linie umgeschwenkt und haben uns recht gegeben. Der Kurznachrichtendienst sammelt Daten und gibt sie an Facebook weiter. Darüber hinaus ist die fünfjährige Sperrfrist abgelaufen, in der WhatsApp keine Werbung schalten durfte. Das ist in Zukunft möglich. Ein No-Go für die Schule. 

Was wären die Alternativen?

Zuerst einmal: Ein schweizweites Verbot von WhatsApp an Schulen ist nicht durchsetzbar, weil keine staatliche Stelle ein solches Verbot aussprechen könnte. Wir haben Kantons- beziehungsweise Gemeindehoheit an den öffentlichen Schulen. Trotzdem brauchen wir für unsere Schulen einen Massengerdienst, der die neuen Datenschutzbestimmungen erfüllt. Wichtig ist, dass die Daten wirklich geschützt sind, dass die Server in der Schweiz sind und dass die europäische Datenschutzgrundverordnung eingehalten wird. All diese Dinge müssen sauber geregelt werden. Es gibt bereits gute Alternativen, und neue kommen laufend dazu.

Apropos Werbung an Schulen. Immer mehr Firmen drängen mit Unterrichtsmaterialen in die Klassenzimmer, um so auf den Unterrichtsstoff einwirken zu könnten. 

Grundsätzlich ist es ja erfreulich, wenn eine Firma Verantwortung in ihrer Branche übernehmen will und zusätzlich zu den Steuern Geld für den Bildungsbereich bereit stellen will. Es ist einfach die Frage, wie dies geschieht, denn die Unabhängigkeit von Lehre und Forschung ist das zentrale Gut, das es zu schützen gilt. Auch in der Volksschule. Besonders kritisch wird es, wenn unterrichtsergänzende Lehrmittel mit Firmenlogos und Produktwerbung an Schülerinnen und Schüler abgegeben werden. Der LCH hat aus diesem Grund eine Charta mit restriktiven Leitlinien für Schulsponsoring herausgegeben. Zahlreiche Unternehmen, zivilgesellschaftliche Organisationen und Stiftungen haben diese bereits unterzeichnet.
Beat W. Zemps berufspolitische Karriere begann in den 1980er-Jahren und beanspruchte ihn sein ganzes Berufsleben. Seine private Leidenschaft gilt der Musik und dem Sport. Für beides hat er bald wieder mehr Zeit.
Beat W. Zemps berufspolitische Karriere begann in den 1980er-Jahren und beanspruchte ihn sein ganzes Berufsleben. Seine private Leidenschaft gilt der Musik und dem Sport. Für beides hat er bald wieder mehr Zeit.

Sprechen wir über den zunehmenden Lehrermangel. Die Schülerzahlen in der Volksschule werden bis 2025 auf einen historischen Höchststand von 1,04 Millionen ansteigen. Dadurch werden rund 2000 zusätzliche Lehrkräfte benötigt. Gleichzeitig werden viele Lehrkräfte aus geburtenstarken Jahrgängen pensioniert.

Es gibt keinen Lehrermangel. 

Wie bitte? 

Den darf es gar nicht geben. Es müssen immer alle Stellen bei Schulbeginn besetzt sein. Es wird nie die Situation eintreten, in der ein Schulleiter vor eine Klasse tritt und sagt: Sorry, wir haben keine Lehrperson gefunden, ihr dürft nach Hause gehen. Wir sprechen daher nicht von einem quantitativen sondern von einem qualitativen Lehrermangel. Lehrpersonen müssen heute zunehmend stufenfremden oder fachfremden Unterricht erteilen oder es müssen sogar Personen eingestellt werden, die gar keine pädagogische Ausbildung mitbringen. Einige Kantone setzen beispielsweise als Notmassnahme Studierende bereits vor Studienabschluss in den Klassen ein oder holen bereits pensionierte Lehrpersonen zurück. 

Worin liegen die Ursachen? 

Hauptgrund sind die ungenügenden Arbeits- und Anstellungsbedingungen und die fehlenden Laufbahnentwicklungen. Bei besseren Bedingungen würden sich auch mehr talentierte Männer und Quereinsteigerinnen für den Beruf interessieren. Der LCH fordert daher zeitgemässe und verlässliche Arbeitsbedingungen, insbesondere für Kindergartenlehrpersonen. Deren Löhne haben mit den gestiegenen Anforderungen nicht Schritt gehalten.

Könnte die hohe Arbeitsbelastung nicht auch ein Grund dafür sein, dass es an qualifizierten Kräften mangelt? Studien zufolge leidet jede dritte Lehrperson mindestens einmal pro Monat unter depressiven Beschwerden, ebenso viele sind Burnout gefährdet. Jede fünfte Lehrperson gibt in den ersten vier Jahren ihren Beruf wieder auf.

Ich kenne diese Zahlen und sie sollten uns zu denken geben. Wir haben in der Schweiz die höchsten Jahresarbeitszeiten in ganz Europa. Wenn wir unsere Arbeitsbelastung auf ein in Westeuropa übliches Mass herunterfahren würden, müssten wir drei bis vier Lektionen weniger Unterricht pro Woche geben. Somit ist die Gesundheitsgefährdung auch ein Stück weit hausgemacht. 

Trotzdem kann man dieses Problem nicht an jeden einzelnen Arbeitnehmer zurückdelegieren. 

Definitiv! Wir unternehmen diesbezüglich einiges. Mit einem Schulhaus-Check und CO2-Messgeräten für Unterrichtsräume wollen wir die Schulen sensibilisieren, für ein gesünderes Raumklima zu sorgen. Das Bundesamt für Gesundheit hat eine Studie zu diesem Thema herausgegeben. Dabei wurde das Raumklima von 100 Schulhäusern arbeitsmedizinisch  geprüft. Ziel war es, durch ein optimales Lüftungsverhalten die CO2 Grenzwerte einzuhalten. Doch je nach baulichen Verhältnissen ist dies während des Unterrichts gar nicht möglich. Auch die Platz-, Licht- und Schallverhältnisse sind manchenorts kritisch. Der Arbeitsplatz Schule kann daher mit der Zeit krank machen.

«Lehrer sind heute nicht automatisch Autoritätspersonen.
Autorität muss man sich
erarbeiten – und das ist gut so.»

Aber Lehrpersonen klagen auch über die zunehmende zeitliche Arbeitsbelastung.

Lehrerinnen und Lehrer leisten in der Deutschschweiz durchschnittlich 13 Prozent unbezahlte Überzeit, ohne sie kompensieren zu können. Je nach Schulstufe arbeiten Lehrpersonen auf eine 100-Prozent-Stelle umgerechnet zwischen 2086 und 2222 Jahresstunden statt der kantonal vorgegebenen Referenzarbeitszeit von 1916 Stunden. Dies hat eine wissenschaftliche Arbeitszeiterhebung ergeben, an der 11’000 Deutschschweizer Lehrpersonen teilgenommen haben. 

Diese repräsentative Studie zeigt allerdings auch auf, dass die Zahl der Überstunden seit der letzten Erhebung vor zehn Jahren um 40 Prozent gesunken ist. 

Das ist richtig. Dieser Befund ist allerdings trügerisch: Viele Lehrkräfte reduzieren nämlich ihr Vollzeit-Pensum, um eine Überlastung zu vermeiden. Doch diese Strategie geht für die wenigsten auf: Je tiefer das Arbeitspensum ist, um so mehr Überstunden fallen an. Wer weniger als 50 Prozent angestellt ist, arbeitet 22 bis 25 Prozent unbezahlt zu viel. Es ist der hohe ethische Anspruch an den eigenen Unterricht, der dazu führt, dass man überproportional viel arbeitet und die vielen zusätzlichen Tätigkeiten, die man nicht anteilsmässig leisten kann wie die Teilnahme an Konventen, Elterngesprächen oder Weiterbildungskursen.

In welcher Weise unterstützt der LCH Lehrpersonen, die sich ausgebrannt fühlen, die nicht mehr können?

Es gibt private Hilfsangebote und arbeitsmedizinische Einrichtungen. Doch diese sind oft  ausgebucht. Andere Kollegen nutzen diese Angebote erst gar nicht. Ganz nach dem Motto: Wenn ich zugebe, dass ich ein Burnout als Lehrperson habe, sieht es so aus, als ob ich schlechten Unterricht gebe und den Anforderungen nicht mehr gewachsen bin. Daher haben wir dieses Thema aus dem Tabubereich herausgeholt und eine Sensibilisierungskampagne für die Gesundheit von Lehrpersonen am Arbeitsplatz gemacht. Der Rückgang der unbezahlten Überstunden ist ein erster Erfolg unserer Kampagne.

Wie erleben Lehrpersonen den allgemeinen Autoritätsverlust, den auch andere Berufsgruppen wie Ärzte oder Pfarrer zu spüren bekommen? 

Die jungen Lehrer, die heute an die Schulen kommen, haben gar nicht mehr den Anspruch eine Autoritätsperson zu sein, wie das früher der Fall war. Heute liegt die Autorität nicht mehr in der Rolle – man muss sie sich erarbeiten und das ist gut so. 
Dass in Schulen Zivildienstleistende eingesetzt werden dürfen, sei ein  grosser Erfolg, so Zemp.
Dass in Schulen Zivildienstleistende eingesetzt werden dürfen, sei ein
 grosser Erfolg, so Zemp.

Wie macht man das? 

In dem man authentisch ist vor der Klasse. Jede einzelne Lehrperson prägt dadurch das Image der gesamten Berufsgruppe. 

Aber wir kennen doch alle das Schwarz Peter Spiel: Eltern sagen über Lehrpersonen, dass sie heute keine Erzieher mehr sind, die das Kind ganzheitlich betrachten. Und Lehrerinnen und Lehrer beklagen, dass im Elternhaus keine Erziehung mehr stattfindet und die Eltern alles an die Schule delegieren. 

Gegenseitige Schuldzuweisungen bringen uns nicht weiter. Vielmehr müssen sich heute Lehrpersonen als Kollegium zusammenraufen und klare Verhaltensregeln aufstellen, die sie dann konsequent umsetzen. Der Einzelkämpfer hat heute keine Chance mehr. Ganz viele Schulen sind den Weg gegangen und haben Schulleitbilder entworfen, Verhaltensregeln aufgestellt, Positionspapiere zu verschiedensten pädagogischen Problemen aufgestellt. Das gibt Sicherheit.  Das Gleiche gilt natürlich auch für die Eltern. Ich bin ein Verfechter der Elternmitwirkung. Die Schule ist als professioneller Partner froh, wenn sie auch einen Elternrat als Ansprechperson hat. Beispielsweise um Regeln auszuhandeln und diese dann gemeinsam durchzusetzen. 

Was wünschen Sie sich von den Eltern? 

Ich habe zwei Wünsche, einer richtet sich an die Eltern: Nehmt bei schulischen Problemen erst Kontakt mit der betreffenden Lehrperson auf, bevor ihr zum Schulleiter oder gar zum Anwalt geht. Die allermeisten Eltern machen das gut und richtig. Ich rede hier von den 5 bis 10 Prozent renitenten Müttern oder Vätern, die sich entweder gar nicht um ihre Kinder kümmern oder sie dann überbehüten.

Und der zweite Wunsch? 

Die Bildungsdirektionen müssten Ombudsstellen für Eltern einrichten. Es wäre wichtig, dass Eltern, die mit ihren Anliegen bei der Schule kein Gehör finden, eine Stelle haben, die Streitfälle auf einer möglichst tiefen Schwelle schlichten kann, bevor diese weiter eskalieren.

Beat W. Zemp über …

… ein Handyverbot an Schulen
Ich bin gegen ein Verbot, aber für klare Handynutzungsregeln.

… eine Schule ohne Hausaufgaben
Ich bin dafür, Hausaufgaben in den Schulalltag zu integrieren, zum Beispiel dank einer betreuten Hausaufgabenstunde am Ende eines Schultages. Das würde etwas kosten, wäre aber gut investiertes Geld, da die Kinder, die zu Hause keine Hilfe bekommen, davon sehr profitieren würden.

… die Einheitsschule
Ich bin kein Befürworter der Einheitsschule. Ich bin auch dagegen, zu früh zu selektieren; aber irgendwann kommt der Moment, in dem man vor allem auch die Stärken stärken muss und nicht nur die Schwächen beschulen kann.

… einen späteren Schulbeginn
Ein späterer Schulbeginn würde vor allem bei Teenagern medizinisch Sinn machen, ist aber kaum umsetzbar. Wollen Sie die verpassten Lektionen am Nachmittag anhängen? Auf den freien Mittwochnachmittag legen oder gar die Pausen kürzen? Dafür findet sich bei
Schülern und bei Eltern, aber auch bei Lehrbetrieben keine Mehrheit.

… eine höhere Gymi-Quote
Ich bin vor allem für mehr Gerechtigkeit: Im Thurgau und in Glarus haben nur
13 Prozent eines Jahrgangs eine gymnasiale Matur, während es in Basel und Genf über 30 Prozent sind. Wenn man davon ausgeht, dass die Intelligenz normal verteilt ist, muss man dafür sorgen, dass alle eine faire Chance haben, eine Matur zu machen, unabhängig
von ihrem Wohnort.


Zur Person:

Die Fritz+Fränzi-Redaktoren Evelin Hartmann und Nik Niethammer im Gespräch mit Beat W. Zemp. 1955 geboren, wuchs Beat W. Zemp im Kanton Baselland auf. Er studierte Mathematik und Geografie im Hauptfach und Pädagogik im Nebenfach. Anschliessend erwarb er das Gymnasiallehrerdiplom. In den 80er-Jahren startete er seine berufspolitische Laufbahn, 1989 wurde er zum Präsidenten des Dachverbandes der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer LCH gewählt. Nach fast 30 Jahren Amtszeit wird er am 1. August von seiner Nachfolgerin Dagmar Rösler abgelöst. Beat W. Zemp ist verheiratet und wohnt in Frenkendorf BL.
Die Fritz+Fränzi-Redaktoren Evelin Hartmann und Nik Niethammer im
Gespräch mit Beat W. Zemp. 1955 geboren, wuchs Beat W. Zemp im Kanton Baselland auf. Er studierte Mathematik und Geografie im Hauptfach und Pädagogik im Nebenfach. Anschliessend erwarb er das Gymnasiallehrerdiplom. In den 80er-Jahren startete er seine berufspolitische Laufbahn, 1989 wurde er zum Präsidenten des Dachverbandes der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer LCH gewählt. Nach fast 30 Jahren Amtszeit wird er am 1. August von seiner Nachfolgerin Dagmar Rösler abgelöst. Beat W. Zemp ist verheiratet und wohnt in Frenkendorf BL.