«Es gibt keinen Lehrermangel»
Bilder: Daniel Winkler/13 Photo
Seit fast 30 Jahren hat Beat W. Zemp den Dachverband der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer LCH präsidiert. Diesen Juli scheidet er aus dem Amt. Der Pädagoge über seine Vorbilder, den Druck, der auf Lehrpersonen lastet und die Frage, warum er letztendlich Lehrer und nicht Dirigent geworden ist.
Beat W. Zemp, Sie waren viele Jahre der oberste Lehrer der Schweiz und damit ein Vorbild für viele Kolleginnen und Kollegen. Gibt es eine Lehrperson, die Sie selbst sehr beindruckt beziehungsweise geprägt hat?
Gibt es auch schlechte Erinnerungen an Ihre eigene Schulzeit?
Es gab Zeiten, in denen Sie Dirigent werden wollten.
Schulalltag zu integrieren, zum Beispiel dank einer betreuten Hausaufgabenstunde
am Ende eines Schultages. Das würde etwas kosten, wäre aber gut
investiertes Geld, da die Kinder, die zu Hause keine Hilfe bekommen, davon
sehr profitieren würden».
Und warum ist aus diesem Berufswunsch nichts geworden?
Was ist das Wichtigste, dass Ihnen ihre Eltern mitgegeben haben?
Beeindruckend.
Wie kam es zu Ihrem berufspolitischen Engagement?
1989 wurden Sie zum Präsidenten des neu gegründeten Dachverbandes der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH gewählt. Welche Ziele hatten Sie sich gesetzt?
«WhatsApp darf in Zukunft Werbung schalten. Das ist ein
No-Go in der Schule.»
Heute zählt der LCH 53’000 Mitglieder und umfasst alle Stufen- und Fachverbände vom Kindergarten bis zu den Hochschulen und ist damit der grösste Verband von Lehrpersonen in der Schweiz. Gab es auch Ziele, bei denen Sie auf Widerstände, an Ihre Grenzen gestossen sind?
Welche Missstände gilt es noch zu beheben?
Was ist zu tun?
«Es wird nie ein Schulleiter vor
die Klasse treten und sagen: Sorry, wir haben keine
Lehrperson gefunden.»
Es gibt zahlreiche Themen, zu denen Sie in den vergangenen Jahren öffentlich Stellung genommen und Empfehlungen ausgesprochen haben. Eine davon lautete, WhatsApp nicht als Klassenchat zu nutzen.
Was wären die Alternativen?
Apropos Werbung an Schulen. Immer mehr Firmen drängen mit Unterrichtsmaterialen in die Klassenzimmer, um so auf den Unterrichtsstoff einwirken zu könnten.
Sprechen wir über den zunehmenden Lehrermangel. Die Schülerzahlen in der Volksschule werden bis 2025 auf einen historischen Höchststand von 1,04 Millionen ansteigen. Dadurch werden rund 2000 zusätzliche Lehrkräfte benötigt. Gleichzeitig werden viele Lehrkräfte aus geburtenstarken Jahrgängen pensioniert.
Wie bitte?
Worin liegen die Ursachen?
Könnte die hohe Arbeitsbelastung nicht auch ein Grund dafür sein, dass es an qualifizierten Kräften mangelt? Studien zufolge leidet jede dritte Lehrperson mindestens einmal pro Monat unter depressiven Beschwerden, ebenso viele sind Burnout gefährdet. Jede fünfte Lehrperson gibt in den ersten vier Jahren ihren Beruf wieder auf.
Trotzdem kann man dieses Problem nicht an jeden einzelnen Arbeitnehmer zurückdelegieren.
«Lehrer sind heute nicht automatisch Autoritätspersonen.
Autorität muss man sich
erarbeiten – und das ist gut so.»
Aber Lehrpersonen klagen auch über die zunehmende zeitliche Arbeitsbelastung.
Diese repräsentative Studie zeigt allerdings auch auf, dass die Zahl der Überstunden seit der letzten Erhebung vor zehn Jahren um 40 Prozent gesunken ist.
In welcher Weise unterstützt der LCH Lehrpersonen, die sich ausgebrannt fühlen, die nicht mehr können?
Wie erleben Lehrpersonen den allgemeinen Autoritätsverlust, den auch andere Berufsgruppen wie Ärzte oder Pfarrer zu spüren bekommen?
grosser Erfolg, so Zemp.
Wie macht man das?
Aber wir kennen doch alle das Schwarz Peter Spiel: Eltern sagen über Lehrpersonen, dass sie heute keine Erzieher mehr sind, die das Kind ganzheitlich betrachten. Und Lehrerinnen und Lehrer beklagen, dass im Elternhaus keine Erziehung mehr stattfindet und die Eltern alles an die Schule delegieren.
Was wünschen Sie sich von den Eltern?
Und der zweite Wunsch?
Beat W. Zemp über …
Ich bin gegen ein Verbot, aber für klare Handynutzungsregeln.
… eine Schule ohne Hausaufgaben
Ich bin dafür, Hausaufgaben in den Schulalltag zu integrieren, zum Beispiel dank einer betreuten Hausaufgabenstunde am Ende eines Schultages. Das würde etwas kosten, wäre aber gut investiertes Geld, da die Kinder, die zu Hause keine Hilfe bekommen, davon sehr profitieren würden.
… die Einheitsschule
Ich bin kein Befürworter der Einheitsschule. Ich bin auch dagegen, zu früh zu selektieren; aber irgendwann kommt der Moment, in dem man vor allem auch die Stärken stärken muss und nicht nur die Schwächen beschulen kann.
… einen späteren Schulbeginn
Ein späterer Schulbeginn würde vor allem bei Teenagern medizinisch Sinn machen, ist aber kaum umsetzbar. Wollen Sie die verpassten Lektionen am Nachmittag anhängen? Auf den freien Mittwochnachmittag legen oder gar die Pausen kürzen? Dafür findet sich bei
Schülern und bei Eltern, aber auch bei Lehrbetrieben keine Mehrheit.
… eine höhere Gymi-Quote
Ich bin vor allem für mehr Gerechtigkeit: Im Thurgau und in Glarus haben nur
13 Prozent eines Jahrgangs eine gymnasiale Matur, während es in Basel und Genf über 30 Prozent sind. Wenn man davon ausgeht, dass die Intelligenz normal verteilt ist, muss man dafür sorgen, dass alle eine faire Chance haben, eine Matur zu machen, unabhängig
von ihrem Wohnort.
Zur Person:
Gespräch mit Beat W. Zemp. 1955 geboren, wuchs Beat W. Zemp im Kanton Baselland auf. Er studierte Mathematik und Geografie im Hauptfach und Pädagogik im Nebenfach. Anschliessend erwarb er das Gymnasiallehrerdiplom. In den 80er-Jahren startete er seine berufspolitische Laufbahn, 1989 wurde er zum Präsidenten des Dachverbandes der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer LCH gewählt. Nach fast 30 Jahren Amtszeit wird er am 1. August von seiner Nachfolgerin Dagmar Rösler abgelöst. Beat W. Zemp ist verheiratet und wohnt in Frenkendorf BL.