Alleinerziehende – wir schaffen das
Sie machen täglich den Spagat zwischen Kindererziehung und Job: alleinerziehende Mütter und Väter. Im komplizierten Alltag kämpfen viele von ihnen mit finanziellen Schwierigkeiten. Und der Gewissheit, ihren Kindern nicht immer gerecht zu werden.
Noch vor 40 Jahren eine gesellschaftliche Randerscheinung, wird diese Familienkonstellation neben der klassischen Kleinfamilie mehr und mehr zum Normalfall. So hat sich die Zahl der Alleinerziehenden seit 1970 verdoppelt. Bereits jedes achte Kind lebt in einem Einelternhaushalt und in fast jeder Schulklasse sitzen heute zwei oder drei Kinder, die allein mit ihrer Mutter aufwachsen.
Jedes achte Kind in der Schweiz lebt heute in einem Einelternhaushalt.
17 Uhr: Den Computer runterfahren, das Nötigste einkaufen. 18 Uhr: den Jüngsten bei der Nachbarin abholen. 19 Uhr: Abendessen. Dann die 13-jährige Tochter Vokabeln abfragen. Schimpfen. Trösten. 20 Uhr: Wäsche in die Maschine. 20.30 Uhr: Den 6-Jährigen unter Protest ins Bett bringen. 21 Uhr: Küche putzen. 22 Uhr: Wäsche in den Trockner. 23 Uhr: Wäsche falten. Verräumen. 23.30 Uhr: Den Kinderrucksack für den morgigen Klassenausflug packen. Todmüde ins Bett fallen.
Ein zentraler Grund für die Armut Alleinerziehender ist die unzureichende Existenzsicherung. Viele alleinerziehende Mütter arbeiten Teilzeit, nicht selten im Stundenlohn, in Kleinstpensen oder mit unregelmässigen Arbeitszeiten. Davon sind gerade niedrig qualifizierte Frauen betroffen. «Oft hören sie bereits im Bewerbungsgespräch, dass ihnen die nötige Flexibilität fehle», sagt Bettina Fredrich, sie leitet die Fachstelle Sozialpolitik bei der Caritas.
Für eine Verbesserung der beruflichen Situation wäre oftmals eine Weiter- oder Zusatzqualifizierung nötig. Wer aber seinen Tag bis auf die Minute genau takten muss, um den Spagat zwischen Job, Haushalt und Kindern alleine zu managen, hat für Abend- oder Wochenendkurse erst recht keine Zeit. Und so lautet das Credo vieler Alleinerziehender: Verzicht – in erster Linie bei sich selbst. Beim Nachwuchs wollen die wenigsten Alleinerziehenden sparen. Und doch sind auch die Kinder benachteiligt. Bettina Fredrich: «Die fehlenden Finanzen führen dazu, dass Kinder weniger Zugang zu früher Förderung haben, was ihre Entwicklung beeinträchtigt.» Ferien sind selten möglich, und selbst Geschenke für anstehende Kindergeburtstage zu besorgen, ist für die Mütter finanziell herausfordernd. «Das macht viele dieser Kinder zu Aussenseitern», weiss die Caritas-Mitarbeiterin.
Alleinerziehende Mütter leiden doppelt so oft an Depressionen wie verheiratete.
Nur: Gleichberechtigt geht die Aufgabenteilung auch in den meisten «Papi-Mami-Kind-Familien» nicht zu und her. Laut dem Bundesamt für Statistik arbeiten über die Hälfte der Frauen Teilzeit, bei den Männern steigt der Anteil hingegen nicht über 16 Prozent. Die Väter, die wegen Erziehung und Hausarbeit ihr Pensum reduzieren, sind in der Schweiz demnach noch immer in der Minderheit. Kein Wunder also, dass es auch nach der Trennung die Frauen sind, die sich um die Kinder kümmern. Der Vater zahlt Alimente fürs Kind oder wäre zumindest dazu verpflichtet; doch es drücken sich viele – oder sie zahlen zu wenig. Laut Caritas bezieht jede fünfte Alleinerziehende Sozialhilfe.
Jede sechste Einelternfamilie in der Schweiz ist von Armut betroffen.
Manche Frauen entscheiden sich sogar ganz bewusst für ein Kind – obwohl der passende Mann dazu fehlt. Letzteres ist für sie kein Grund, auf Kinderglück zu verzichten. Die erfolgreiche Juristin, die mit 38 Jahren beruflich zwar viel erreicht hat, aber gerade in keiner Beziehung lebt, ist so ein Beispiel. Und tatsächlich: Leiter grosser Samenbanken in der Schweiz berichten von einer zunehmenden Nachfrage von alleinstehenden Frauen. Allerdings dürfen sie diese Klientinnengruppe zwar beraten, müssen sie aber dann an eine Klinik im Ausland verweisen. In Spanien beispielsweise ist, anders als hierzulande, die künstliche Befruchtung auch alleinstehenden Frauen gestattet. Ist das Kind auf der Welt, unterstützen Nannys oder Au-pairs die Mutter bei der Kinderbetreuung. An finanziellen Mitteln mangelt es ihr nicht.
Zugegeben: Diese Fälle sind nach wie vor die Ausnahme. Aber auch Edith Schwab, Präsidentin des European Network of Single Parent Families, bestätigt: «Alleinerziehende stehen heute grundsätzlich mitten in der Gesellschaft.» Noch in den 70er und 80er Jahren sei es eine «Schande» gewesen, als Mutter ohne Mann dazustehen.
Das Stigma ist weg: Alleinerziehende stehen heute mitten in der Gesellschaft.
Eine dieser Frauen ist Franziskas Tochter, die mit ihren beiden Kindern ebenfalls in Trennung lebt. Sie habe viele Freunde, sei gesellschaftlich integriert und könne sich mit anderen Müttern austauschen. Franziska: «Für mich war das damals unmöglich. Ich hatte keine Freundinnen und versuchte möglichst nicht aufzufallen.»
Einem gewissen Rechtfertigungsdruck sieht sich aber auch die 42-jährige Tochter ausgesetzt: «Wir haben einen Mittagstisch mit ein paar Mädchen aus der Klasse meiner Tochter. Ich achte immer darauf, dass ich sehr gesund und ausgewogen koche», sagt sie. Brokkoli und Bio-Plätzli oder Dinkelteig-Pizza mit einer Schüssel Salat. «Irgendwann sagt mir eine der Mütter, dass ihre Tochter das Essen bei mir etwas ‹anstrengend› fände. Ich solle doch einfach mal ‹Pommes oder so› servieren, riet sie mir. Ich fiel aus allen Wolken, weil mir klar wurde, wie angestrengt ich mich verhalte.»
Alles richtig machen, den Kindern das Beste mit auf den Weg geben, nicht das Bild der überforderten Mutter abgeben – obwohl der Vater fehlt. Das ist das Mantra vieler Alleinerziehenden.
Alleinerziehend zu sein, bedeutet die doppelte Arbeit, doppelt so viele Tränen, aber auch doppelt so viele Umarmungen, doppelt so viel Spass, doppelt so viel Liebe.
Würde man diese Single-Eltern fragen, ob sie sich hilflos und verlassen fühlen, würde einem wohl ein mehrheitliches «Sicher nicht!» entgegenschallen. Einelternfamilien haben viele Gesichter.
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