Wie ich als Mutter lernte, die Schule zu meistern - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Wie ich als Mutter lernte, die Schule zu meistern

Lesedauer: 5 Minuten

Und plötzlich drängt sich in die Liebesbeziehung zwischen Eltern und Kind ein grosser Rivale: die Schule. Unsere Autorin über Elternabende auf Kinderstühlen, nervöse Mütter und überforderte Väter. Eine Polemik.

Endlich Freitag. Der letzte Schultag vor den Sportferien. Zu Ende gehen ereignisreiche Monate, prall gefüllt mit schulischen Aktivitäten: Elternabende, Räbeliechtli-Umzug, Lesenacht, Advents- und Singkonzerte sowie Elternsprechstunde, Einschulungs- und Übertrittsgespräche reihten sich quasi nahtlos aneinander. Man ahnt: Die wahre Herausforderung des Elterndaseins liegt nicht in der Vereinbarkeit von Karriere Schrägstrich Kind, sondern in der Schule.

Solange der Steigerungslauf durchs Schulsystem noch nicht begonnen hat, ist das Elternleben vergleichsweise leicht. Es erschöpft sich in nächtlichen Weckrufen, entzückenden Spielzeughalden in der ganzen Wohnung und einer natürlichen Abneigung des Kindes gegen wetteradäquate Kleidung. Kaum stolpert der Nachwuchs aber auf die Schulbühne, geht es los mit den neuen Konfrontationsebenen. Statt des schützenden Nebels einer oder zweier Bezugspersonen gibt es plötzlich Unmengen davon: Lehrer, Assistenzlehrer, Heilpädagogen, Sozialarbeiter und Schulleiter. Universen, von deren Existenz das Kind nicht einmal ahnte.

Elternabend auf Kinderstühlchen

Noch umwälzender ist es für die Eltern. Plötzlich drängt sich in die Liebesbeziehung zwischen Eltern und Kind ein grosser Rivale: die Schule. Mein ältester Sohn kam vor sechs Jahren in die erste Klasse. Der Elternabend war ein grosses Ereignis. Aus purem Enthusiasmus habe ich mich dort zur Elternvertreterin wählen lassen, mit dem üblichen, von Eitelkeit nicht ganz freiem Seufzer: Irgendeine muss es ja machen. Kraft meines Amtes habe ich unzählige Elternabende miterlebt. Einer ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Ein Vater beklagte sich sehr: Meinem Kind ist der Schulweg nicht zuzumuten. Die Strasse! Die Lastwagen! Und was, wenn es regnet? Der Gedanke, dass zwölf Minuten unbeaufsichtigter Heimweg für ein Kind auch Freiheit bedeuten kann, war in weiter Ferne. Da, auf den unbequemen Kinderstühlchen, die viel zu langen Beine irgendwo mühsam verstaut, zweifelte ich das erste Mal: Muss es tatsächlich irgendeine machen?

Auch der nächste Elternabend, dieses Mal ging es um die Einschulung, entsprach so ganz und gar nicht dem, was wir Mütter und Väter erwarteten und vielleicht von der Krippe oder Kita her kannten. Ohne Umschweife erzählte die Lehrperson in einer Art Tribunalszene, was sie von Disziplin hält (sehr viel), welcher Stoff zu bewältigen sei (Lesen bis Weihnachten dank Peter und Susi), wer die Kinder auch sonst unterrichtet (Heilpädagogin, Werklehrerin, Musiklehrerin, Computerlehrerin) und welche Art von Papieren (unzählige) es in der nächsten Zeit auszufüllen gebe.

Noten für eine Papierfigur

Spätestens da wurde uns allen klar, wie hoffnungslos passé das Schulmodell unserer Jugend heute ist. Als das Wort Promotionsordnung fiel und uns erklärt wurde, dass auch Vorsingen ebenso wie die Art und Weise, wie der Rand der Papierfigur ausgeschnitten werde, benotet würden, erwog meine Sitznachbarin die Schnapp atmung. Ein Vater schrieb bereits das zweite Blatt seines Notizbuchs voll, Schweissperlen auf der Nase. Ich rutschte auf dem Stuhl herum wie eine driftende Kontinentalplatte.

Dabei kamen Stundenplan, Ersatzstunden-, Notfallstunden-sowie Nachholstundenplan noch gar nicht zur Sprache. Ganz zu schweigen vom Mithelfen beim Schlittschuhbinden oder der Art und Weise, wie man den Geburtstagskuchen (portioniert, mit Servietten) mitzubringen hätte. Schweigen breitete sich aus. Das erwartete Sperrfeuer der Detailfragen blieb aus. Viel zu perplex waren wir Mamas und Papas, die uns doch in den vergangenen zwei Kindergartenjahren eifrig im Loslassen geübt hatten. Und nun dieser geballte Haufen an Information. Ungepolstert. Was passiert da mit unseren Prinzen und Prinzessinnen?

Die Macht zurückerobern

Die kommenden Wochen machten es klar. Denn in der Schule ist jedes Kind, selbst der folgsamste Prinz und die hübscheste Prinzessin, nur eines unter vielen. Gleiche Rechte und gleiche Pflichten gelten hier. Über Nacht werden aus kleinen Wunschkindern kleine Schulbürger. Gut möglich, dass die Lehrerin sogar ein anderes Kind dem meinigen vorzieht, und unweigerlich kommt der Tag, an dem das Kind eine Verbesserung zum zweiten Mal abschreiben oder drei Seiten Rechenaufgaben bewältigen muss, ob es nun darauf Lust hat oder nicht. Mit Sicherheit kommt auch der Moment, wo es wegen einer Dummheit nachsitzen muss oder das Turnzeug vergessen hat und nicht mitturnen darf. Dieser Gedanke ist unangenehm. Manche Eltern schäumen dann vor Empörung und tragen ihren verletzten Stolz in eine E-Mail, ein Gespräch. Noch mehr Nervosität grassiert nur noch in der Mittelstufe, wenn die spielerische Leichtigkeit der Unterstufe abklingt und es darum geht, den Übertritt in die nächstbeste Stufe durchzusetzen. Will man da wirklich dabei sein?

 In der Schule ist jedes Kind, selbst der folgsamste Prinz und die hübscheste Prinzessin, nur eines unter vielen. 

Andererseits gibt es da auch die Gruppe der Eltern, die sich sofort mit dem gesamten Lehrkörper solidarisiert. Zu jedem erdenklichen Anlass Selbstgebackenes beisteuern, ein Zusatzheft mit fakultativen Hausaufgaben einfordern oder nach den Schulanlässen noch freiwillig den Boden wischen. Noch ratloser aber stimmt mich auch nach vielen Jahren jene Spezies, die soziales Lernen als Unfug betrachtet und sich täglich alle Missetaten der anderen Kinder berichten lässt.

Die Dinge, die meine Früchtchen heimlich taten und tun, gehen mich mit wenigen Ausnahmen nichts an, denn: Hat nicht auch jedes Kind das Recht auf ein bisschen unstrukturiertes Eigenleben und Geheimnisse? Wollen wir wirklich alles wissen, was sie täglich treiben? Sind Kontrolle und allumfassender Schutz wirklich kindgerecht? Die Helikopter-Eltern sagen: Ja. Lautstark beklagen sie sich am eigens einberufenen Spezial-Elternabend, bei den Nachbarn und in hartnäckigen Fällen sogar persönlich, dass der Tochter ein, nur ein Handschuh versteckt wurde oder der Sohn auf dem Nachhauseweg mit Kirschsteinen beworfen wurde, sogar zweimal!

Schlichten ist nicht nötig

Auch das ist Schule: Zoff auf dem Pausenplatz. Ein Tummelfeld zwischen Adoration und Aggression. Wo man auch als Zehnjähriger noch prima Verstecken spielen kann und die Pausenknacker kollektiv zerbröselt. Ein Ort aber auch, an dem man sich aus niedrigen Beweggründen voll krass konkrete Beschimpfungen an den Hals wünscht, eine Rauferei vom Zaun bricht oder im Fussballspiel einen sauberen Beinsteller riskiert. Empörte und atemlose Gemüter, manchmal auch körperliche Schrammen gilt es dann am Familientisch zu besänftigen und einige Dutzend vermisste Gegenstände neu anzuschaffen. Ja, auch meinem Kind wurde schon die Mütze in den Bach geworfen, eins an den Kopf gehauen und die Brille verbogen. Der Höhepunkt war ein zuoberst auf dem Index stehendes Schimpfwort, das ein eifersüchtiger Klassenkamerad meinem Erstklässler zurief (und das eigentlich mir galt). Dieser war so irritiert darüber, dass er sogar vergass, beim Mittagessen den Brokkoli auf dem Teller zu ignorieren. Unschöne Geduldsproben, gewiss, doch trotzdem bin ich zum Schluss gelangt: Nein, man muss tatsächlich nicht über alles reden. Ein Schulkind zu haben, bedeutet eben nicht, die individuellen erzieherischen Ideale in einer Art Grundsatzdebatte bei jeder Gelegenheit unaufgefordert zu artikulieren.

 Schule ist Bildung, keine Dienstleistung. Das ist zwar den Lehrpersonen klar, aber leider nicht allen Eltern.

Die Petzerei ihres Kindes zu loben, indem die Eltern ein anderes beschimpfen, obwohl sie nicht einmal dabei waren, dient letztlich nur der Ich-Bezogenheit, nicht aber dem Kind. Gibt es Streit, wird er ausgetragen. Punkt. Ein Kind siegt oder es erlebt eine Niederlage, ohne dass Erwachsene gleich mit Blaulicht und Sirene herbeieilen müssen. Schule ist Bildung, keine Dienstleistung. Das ist zwar den Lehrpersonen klar, aber leider nicht allen Eltern.

Nach sicher 20 durchgestandenen, mehrheitlich launigen und friedvollen Elternabenden wuchs in mir die Erkenntnis, dass die Gefühle, die Eltern eines frischge-backenen Schulkindes überkommen, auf einem unschönen Sentiment basieren: der Eifersucht. Denn mit dem Schuleintritt ergreift eine neue Kraft Besitz von diesem unserem Kind und wird es prägen. Die Lehrer tun dem Kind Gutes, auch wenn sie es niemals so lieben werden wie die eigenen Eltern und obwohl sie versuchen, alle Kinder der Klasse gleich zu behandeln. Das ist scheinbar leicht zu begreifen, emotional aber bleibt es schwierig. Deshalb werden viele Eltern immer misstrauisch sein. 

Es ist gut, wenn die Schule etwas von den Kindern fordert. Und sie ist auch Spass.

Doch sollte die elterliche Energie nicht lieber der Überlegung zufallen, wie man sich in der Diskussion um eine verbesserte Qualität bei Bildung und Erziehung einbringen könnte? Sich aus Kinderstreitigkeiten raushalten: ja! Das bedeutet eben nicht, sich aus der Schule rauszuhalten. Sondern neugierig zu sein und Anteil zu nehmen an dem, was das Kind ausser Haus erlebt. Denn es ist auch gut, wenn die Schule etwas von den Kindern fordert. Und sie ist auch Spass. Museumsbesuche, Realienexpeditionen, Universitätsausflüge, Wanderungen, Schulfeste mit Geisterbahn: Von all dem konnte ich in meiner Schulzeit nur träumen, und selbst ich tat viele interessante Dinge. Also sollten Empörungsschreie in Gelassenheit umgelenkt werden oder zumindest jenen unterbehüteten Kindern zugutekommen, die an den Besuchstagen stets unbesucht bleiben. Oder jenem Kind, das immer zu spät und ohne Frühstück zum Unterricht kommt und Ausflüge verpasst, weil es morgens niemand weckt.

Zur Autorin:


Claudia Landolt ist Mutter von vier Jungs zwischen vier und zwölf Jahren und damit zwingend gelassenheits-erprobt. Allerdings wünscht sie sich manchmal eine Sekretärin für die Erledigung des schulischen Papierkrams.
Claudia Landolt ist Mutter von vier Jungs zwischen vier und zwölf Jahren und damit zwingend gelassenheits-erprobt. Allerdings wünscht sie sich manchmal eine Sekretärin für die Erledigung des schulischen Papierkrams.


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